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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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mehr gezahlt hat, als durch den Wert der jeweiligen Bauausführung gedeckt
war. Dagegen können die Bauhandwerker niemals auf eine Befriedigung ihrer
Forderungen rechnen, denn ihre etwaigen Vormerkungen sind bei der Zwangs¬
versteigerung rettungslos "ausgefallen"; von dem Bauunternehmer ist nichts
zu holen, und mit der Bank, der jetzt wieder das Grundstück gehört, haben
sie in keinerlei Rechtsverhältnis gestanden, können also auch an sie keinen
Anspruch erheben.

Auf diesen Punkt beziehen sich die Klagen über "Bauschwindel." So
begreiflich sie sind, eins wird doch dabei regelmäßig übersehen oder verschwiegen:
kein einziger Bauhandwerker ist über die völlige Zahlungsunfähigkeit seines
Schuldners, des Bauunternehmers, in Zweifel oder gar in Irrtum gewesen;
jeder weiß, daß die einzige und ausschließliche Möglichkeit seiner Befriedigung
in den von der Bank gewährten Vaugeldern und in ihrer ordnungsmäßigen
Verwendung durch den Bauunternehmer liegt. Will man also durch gesetzliche
Maßregeln (Bauschöffenämter oder gar eine allgemeine Strafvvrschrift) das
mittellose Unternehmertum aus dem Baugeschäft verdrängen, so ist damit allein
den Bauhandwerkern wenig geholfen; denselben Erfolg könnten sie schon heute
damit erreichen, daß sie den Bauunternehmern keinen Kredit gewährten, sondern
stets unmittelbare Verpflichtung des Baugeldgcbers verlangten. Hier sitzt aber
eben der Haken: der eigentliche Geldgeber will sich auf eine unmittelbare Be¬
stellung und auf eignes Risiko nicht einlassen, und er wird das in Zukunft
unter dem Drucke drohender Polizei- und Strafvvrschriften noch weniger wollen
als jetzt. Wie man aber einerseits dem Handwerker die Gelegenheit zu Bau¬
aufträgen ungeschmälert erhalten, andrerseits den Kreis der Besteller auf die
wirklich zahlungsfähigen beschränken soll, das ist eine Aufgabe, die sich der
Lösung entzieht, wenigstens der Lösung auf privatrechtlichen Gebiete.

Als wirkliche Ungerechtigkeit wird nach meiner vielfachen Beobachtung der
Verlust der Forderungen auch nur insofern einPfunden, als ihm ein großer
Gewinn des Baugeldgebers gegenübersteht. Ein solcher Gewinn liegt nicht
bloß in den Zwischenzinsen und Provisionen, sondern vor allem in dem Unter¬
schiede zwischen der Summe der an den Bauunternehmer gezählten Bauenden
und dem Werte des mehr oder weniger fertigen Bauwerks, und wenn in der
zweiten oder dritten Hand die völlige Vollendung des Hauses und die endgiltige
HhPothekenregnlirung gelingt, in dem höhern Kaufpreise, der dann ausgezahlt
wird. Dieser Gewinn im Vergleich mit dem eignen Verlust ist die eigentliche
Triebfeder für die vielen Bauprozesse, die von Vauhandwertern nicht gegen
den Bauunternehmer, denn das würde die Kosten nicht lohnen, sondern gegen
den Baugeldgeber so erbittert und so aussichtslos geführt zu werden pflegen.

Wer mit juristischer Terminologie vertraut ist, sieht sofort, daß es sich
hier um einen Bereicheruugsanspruch handelt: der Handwerker hat ohne
Empfang einer Gegenleistung einen Neubau errichten helfen, der Vaugeldgeber


Grenzboten III 1807 W
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mehr gezahlt hat, als durch den Wert der jeweiligen Bauausführung gedeckt
war. Dagegen können die Bauhandwerker niemals auf eine Befriedigung ihrer
Forderungen rechnen, denn ihre etwaigen Vormerkungen sind bei der Zwangs¬
versteigerung rettungslos „ausgefallen"; von dem Bauunternehmer ist nichts
zu holen, und mit der Bank, der jetzt wieder das Grundstück gehört, haben
sie in keinerlei Rechtsverhältnis gestanden, können also auch an sie keinen
Anspruch erheben.

Auf diesen Punkt beziehen sich die Klagen über „Bauschwindel." So
begreiflich sie sind, eins wird doch dabei regelmäßig übersehen oder verschwiegen:
kein einziger Bauhandwerker ist über die völlige Zahlungsunfähigkeit seines
Schuldners, des Bauunternehmers, in Zweifel oder gar in Irrtum gewesen;
jeder weiß, daß die einzige und ausschließliche Möglichkeit seiner Befriedigung
in den von der Bank gewährten Vaugeldern und in ihrer ordnungsmäßigen
Verwendung durch den Bauunternehmer liegt. Will man also durch gesetzliche
Maßregeln (Bauschöffenämter oder gar eine allgemeine Strafvvrschrift) das
mittellose Unternehmertum aus dem Baugeschäft verdrängen, so ist damit allein
den Bauhandwerkern wenig geholfen; denselben Erfolg könnten sie schon heute
damit erreichen, daß sie den Bauunternehmern keinen Kredit gewährten, sondern
stets unmittelbare Verpflichtung des Baugeldgcbers verlangten. Hier sitzt aber
eben der Haken: der eigentliche Geldgeber will sich auf eine unmittelbare Be¬
stellung und auf eignes Risiko nicht einlassen, und er wird das in Zukunft
unter dem Drucke drohender Polizei- und Strafvvrschriften noch weniger wollen
als jetzt. Wie man aber einerseits dem Handwerker die Gelegenheit zu Bau¬
aufträgen ungeschmälert erhalten, andrerseits den Kreis der Besteller auf die
wirklich zahlungsfähigen beschränken soll, das ist eine Aufgabe, die sich der
Lösung entzieht, wenigstens der Lösung auf privatrechtlichen Gebiete.

Als wirkliche Ungerechtigkeit wird nach meiner vielfachen Beobachtung der
Verlust der Forderungen auch nur insofern einPfunden, als ihm ein großer
Gewinn des Baugeldgebers gegenübersteht. Ein solcher Gewinn liegt nicht
bloß in den Zwischenzinsen und Provisionen, sondern vor allem in dem Unter¬
schiede zwischen der Summe der an den Bauunternehmer gezählten Bauenden
und dem Werte des mehr oder weniger fertigen Bauwerks, und wenn in der
zweiten oder dritten Hand die völlige Vollendung des Hauses und die endgiltige
HhPothekenregnlirung gelingt, in dem höhern Kaufpreise, der dann ausgezahlt
wird. Dieser Gewinn im Vergleich mit dem eignen Verlust ist die eigentliche
Triebfeder für die vielen Bauprozesse, die von Vauhandwertern nicht gegen
den Bauunternehmer, denn das würde die Kosten nicht lohnen, sondern gegen
den Baugeldgeber so erbittert und so aussichtslos geführt zu werden pflegen.

Wer mit juristischer Terminologie vertraut ist, sieht sofort, daß es sich
hier um einen Bereicheruugsanspruch handelt: der Handwerker hat ohne
Empfang einer Gegenleistung einen Neubau errichten helfen, der Vaugeldgeber


Grenzboten III 1807 W
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/553>, abgerufen am 29.12.2024.