Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Einiges von der deutschen Rechtseinheit

Richtung noch ganz andre Ausblicke. Prüfen wir ihn einmal an einer be¬
sonders brennenden Frage, an den Klagen der Bauhandwerker. Zum bessern
Verständnis vergegenwärtige man sich zunächst den (für Berlin) typischen Ver¬
lauf eines Bau--Unternehmens/")

Eine "kapitalkräftige" Persönlichkeit, gewöhnlich eine Aktiengesellschaft oder
eine größere Bank, besitzt ein Grundstück, das sie durch Bebauung zu ver¬
werten wünscht. Für den schlichten Menschenverstand wäre es das Nächst¬
liegende, daß die Besitzerin selbst den Bau in die Hand nähme und entweder
selbst die nötigen Verträge mit den einzelnen Handwerkern und Lieferanten
unmittelbar abschlösse oder die Ausführung des Baues im ganzen einem zu¬
verlässigen und leistungsfähigen Baumeister übertrüge. Das geschieht aber
nicht, sondern es erscheint ein "Bauunternehmer." Seine erste und notwendigste
Eigenschaft ist, daß er selbst nichts, keinen Pfennig und kein Pfandstück besitzt;
Bauunternehmer, die aus eignen Mitteln oder auf eignen Kredit die Stempel-
und Gerichtskosten ihres Vertrags aufbringen können, gehören zu den gesuchten
Seltenheiten ihres Fachs. An diesen Bauunternehmer wird das Grundstück
sür einen beliebigen Kaufpreis verkauft; der Kaufvertrag wird notariell mit
peinlichster Korrektheit abgeschlossen, das Grundstück wird auf den Namen des
Bauunternehmers im Grundbuch ungeschrieben, der Kaufpreis als Hypothek
eingetragen. Daneben verpflichtet sich die Verkäuferin (oder ein Dritter), dem
Bauunternehmer "Baugelder" zu gewähren, d. h. es wird im Grundbuch an
erster Stelle auf ihren Namen eine "Baugelderhypothek" von ausreichender
Höhe eingetragen, und sie gewährt, je nach dem Fortschreiten des Baues, dem
Bauunternehmer die Mittel zur Bezahlung der Handwerker und Lieferanten
bis zur Höhe der Vaugelderhypvthek. Der Eigentümer des Grundstücks schließt
nun auf seinen eignen Namen die Verträge mit den Handwerkern und Liefe¬
ranten ab, und der Bau beginnt. Geht alles seinen geordneten Gang, so kann
hierbei jeder auf seine Rechnung kommen; tritt aber irgend ein unerwartetes
Ereignis ein, ist z. V. das Baugeld von vornherein zu knapp bemessen ge¬
wesen, oder trifft den Bau ein Unfall, der die Baukosten erhöht, oder gelingt
es einem frühern Gläubiger des Bauunternehmers, bei diesem einen größer"
Betrag der Baugelder zu pfänden, so gerät der Bau ins Stocken; der Bau¬
unternehmer kann die fälligen Zahlungen ans den ihm von der Bank gewährten
Vauraten nicht vollständig bestreiten; einzelne Handwerker weigern sich, weitern
Kredit zu geben, und stellen die Arbeit ein, der Bau bleibt liegen; schließlich
bringt die Bank als erste Hypothekengläubigeriu das Grundstück zur Zwangs¬
versteigerung und ersteht es für ihre Vangelder- und Kaufgeldhypvthek selbst.
Einen Schaden kann sie nicht erleiden, da sie an den Bauunternehmer niemals



^ Meine Ausführungen MM sich ausschließlich auf Beobachtungen im Gerichtssaal und
in der Anwnltsswbe,
Einiges von der deutschen Rechtseinheit

Richtung noch ganz andre Ausblicke. Prüfen wir ihn einmal an einer be¬
sonders brennenden Frage, an den Klagen der Bauhandwerker. Zum bessern
Verständnis vergegenwärtige man sich zunächst den (für Berlin) typischen Ver¬
lauf eines Bau—Unternehmens/")

Eine „kapitalkräftige" Persönlichkeit, gewöhnlich eine Aktiengesellschaft oder
eine größere Bank, besitzt ein Grundstück, das sie durch Bebauung zu ver¬
werten wünscht. Für den schlichten Menschenverstand wäre es das Nächst¬
liegende, daß die Besitzerin selbst den Bau in die Hand nähme und entweder
selbst die nötigen Verträge mit den einzelnen Handwerkern und Lieferanten
unmittelbar abschlösse oder die Ausführung des Baues im ganzen einem zu¬
verlässigen und leistungsfähigen Baumeister übertrüge. Das geschieht aber
nicht, sondern es erscheint ein „Bauunternehmer." Seine erste und notwendigste
Eigenschaft ist, daß er selbst nichts, keinen Pfennig und kein Pfandstück besitzt;
Bauunternehmer, die aus eignen Mitteln oder auf eignen Kredit die Stempel-
und Gerichtskosten ihres Vertrags aufbringen können, gehören zu den gesuchten
Seltenheiten ihres Fachs. An diesen Bauunternehmer wird das Grundstück
sür einen beliebigen Kaufpreis verkauft; der Kaufvertrag wird notariell mit
peinlichster Korrektheit abgeschlossen, das Grundstück wird auf den Namen des
Bauunternehmers im Grundbuch ungeschrieben, der Kaufpreis als Hypothek
eingetragen. Daneben verpflichtet sich die Verkäuferin (oder ein Dritter), dem
Bauunternehmer „Baugelder" zu gewähren, d. h. es wird im Grundbuch an
erster Stelle auf ihren Namen eine „Baugelderhypothek" von ausreichender
Höhe eingetragen, und sie gewährt, je nach dem Fortschreiten des Baues, dem
Bauunternehmer die Mittel zur Bezahlung der Handwerker und Lieferanten
bis zur Höhe der Vaugelderhypvthek. Der Eigentümer des Grundstücks schließt
nun auf seinen eignen Namen die Verträge mit den Handwerkern und Liefe¬
ranten ab, und der Bau beginnt. Geht alles seinen geordneten Gang, so kann
hierbei jeder auf seine Rechnung kommen; tritt aber irgend ein unerwartetes
Ereignis ein, ist z. V. das Baugeld von vornherein zu knapp bemessen ge¬
wesen, oder trifft den Bau ein Unfall, der die Baukosten erhöht, oder gelingt
es einem frühern Gläubiger des Bauunternehmers, bei diesem einen größer«
Betrag der Baugelder zu pfänden, so gerät der Bau ins Stocken; der Bau¬
unternehmer kann die fälligen Zahlungen ans den ihm von der Bank gewährten
Vauraten nicht vollständig bestreiten; einzelne Handwerker weigern sich, weitern
Kredit zu geben, und stellen die Arbeit ein, der Bau bleibt liegen; schließlich
bringt die Bank als erste Hypothekengläubigeriu das Grundstück zur Zwangs¬
versteigerung und ersteht es für ihre Vangelder- und Kaufgeldhypvthek selbst.
Einen Schaden kann sie nicht erleiden, da sie an den Bauunternehmer niemals



^ Meine Ausführungen MM sich ausschließlich auf Beobachtungen im Gerichtssaal und
in der Anwnltsswbe,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0552" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226138"/>
            <fw type="header" place="top"> Einiges von der deutschen Rechtseinheit</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1386" prev="#ID_1385"> Richtung noch ganz andre Ausblicke. Prüfen wir ihn einmal an einer be¬<lb/>
sonders brennenden Frage, an den Klagen der Bauhandwerker. Zum bessern<lb/>
Verständnis vergegenwärtige man sich zunächst den (für Berlin) typischen Ver¬<lb/>
lauf eines Bau&#x2014;Unternehmens/")</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1387" next="#ID_1388"> Eine &#x201E;kapitalkräftige" Persönlichkeit, gewöhnlich eine Aktiengesellschaft oder<lb/>
eine größere Bank, besitzt ein Grundstück, das sie durch Bebauung zu ver¬<lb/>
werten wünscht. Für den schlichten Menschenverstand wäre es das Nächst¬<lb/>
liegende, daß die Besitzerin selbst den Bau in die Hand nähme und entweder<lb/>
selbst die nötigen Verträge mit den einzelnen Handwerkern und Lieferanten<lb/>
unmittelbar abschlösse oder die Ausführung des Baues im ganzen einem zu¬<lb/>
verlässigen und leistungsfähigen Baumeister übertrüge. Das geschieht aber<lb/>
nicht, sondern es erscheint ein &#x201E;Bauunternehmer." Seine erste und notwendigste<lb/>
Eigenschaft ist, daß er selbst nichts, keinen Pfennig und kein Pfandstück besitzt;<lb/>
Bauunternehmer, die aus eignen Mitteln oder auf eignen Kredit die Stempel-<lb/>
und Gerichtskosten ihres Vertrags aufbringen können, gehören zu den gesuchten<lb/>
Seltenheiten ihres Fachs. An diesen Bauunternehmer wird das Grundstück<lb/>
sür einen beliebigen Kaufpreis verkauft; der Kaufvertrag wird notariell mit<lb/>
peinlichster Korrektheit abgeschlossen, das Grundstück wird auf den Namen des<lb/>
Bauunternehmers im Grundbuch ungeschrieben, der Kaufpreis als Hypothek<lb/>
eingetragen. Daneben verpflichtet sich die Verkäuferin (oder ein Dritter), dem<lb/>
Bauunternehmer &#x201E;Baugelder" zu gewähren, d. h. es wird im Grundbuch an<lb/>
erster Stelle auf ihren Namen eine &#x201E;Baugelderhypothek" von ausreichender<lb/>
Höhe eingetragen, und sie gewährt, je nach dem Fortschreiten des Baues, dem<lb/>
Bauunternehmer die Mittel zur Bezahlung der Handwerker und Lieferanten<lb/>
bis zur Höhe der Vaugelderhypvthek. Der Eigentümer des Grundstücks schließt<lb/>
nun auf seinen eignen Namen die Verträge mit den Handwerkern und Liefe¬<lb/>
ranten ab, und der Bau beginnt. Geht alles seinen geordneten Gang, so kann<lb/>
hierbei jeder auf seine Rechnung kommen; tritt aber irgend ein unerwartetes<lb/>
Ereignis ein, ist z. V. das Baugeld von vornherein zu knapp bemessen ge¬<lb/>
wesen, oder trifft den Bau ein Unfall, der die Baukosten erhöht, oder gelingt<lb/>
es einem frühern Gläubiger des Bauunternehmers, bei diesem einen größer«<lb/>
Betrag der Baugelder zu pfänden, so gerät der Bau ins Stocken; der Bau¬<lb/>
unternehmer kann die fälligen Zahlungen ans den ihm von der Bank gewährten<lb/>
Vauraten nicht vollständig bestreiten; einzelne Handwerker weigern sich, weitern<lb/>
Kredit zu geben, und stellen die Arbeit ein, der Bau bleibt liegen; schließlich<lb/>
bringt die Bank als erste Hypothekengläubigeriu das Grundstück zur Zwangs¬<lb/>
versteigerung und ersteht es für ihre Vangelder- und Kaufgeldhypvthek selbst.<lb/>
Einen Schaden kann sie nicht erleiden, da sie an den Bauunternehmer niemals</p><lb/>
            <note xml:id="FID_58" place="foot"> ^ Meine Ausführungen MM sich ausschließlich auf Beobachtungen im Gerichtssaal und<lb/>
in der Anwnltsswbe,</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0552] Einiges von der deutschen Rechtseinheit Richtung noch ganz andre Ausblicke. Prüfen wir ihn einmal an einer be¬ sonders brennenden Frage, an den Klagen der Bauhandwerker. Zum bessern Verständnis vergegenwärtige man sich zunächst den (für Berlin) typischen Ver¬ lauf eines Bau—Unternehmens/") Eine „kapitalkräftige" Persönlichkeit, gewöhnlich eine Aktiengesellschaft oder eine größere Bank, besitzt ein Grundstück, das sie durch Bebauung zu ver¬ werten wünscht. Für den schlichten Menschenverstand wäre es das Nächst¬ liegende, daß die Besitzerin selbst den Bau in die Hand nähme und entweder selbst die nötigen Verträge mit den einzelnen Handwerkern und Lieferanten unmittelbar abschlösse oder die Ausführung des Baues im ganzen einem zu¬ verlässigen und leistungsfähigen Baumeister übertrüge. Das geschieht aber nicht, sondern es erscheint ein „Bauunternehmer." Seine erste und notwendigste Eigenschaft ist, daß er selbst nichts, keinen Pfennig und kein Pfandstück besitzt; Bauunternehmer, die aus eignen Mitteln oder auf eignen Kredit die Stempel- und Gerichtskosten ihres Vertrags aufbringen können, gehören zu den gesuchten Seltenheiten ihres Fachs. An diesen Bauunternehmer wird das Grundstück sür einen beliebigen Kaufpreis verkauft; der Kaufvertrag wird notariell mit peinlichster Korrektheit abgeschlossen, das Grundstück wird auf den Namen des Bauunternehmers im Grundbuch ungeschrieben, der Kaufpreis als Hypothek eingetragen. Daneben verpflichtet sich die Verkäuferin (oder ein Dritter), dem Bauunternehmer „Baugelder" zu gewähren, d. h. es wird im Grundbuch an erster Stelle auf ihren Namen eine „Baugelderhypothek" von ausreichender Höhe eingetragen, und sie gewährt, je nach dem Fortschreiten des Baues, dem Bauunternehmer die Mittel zur Bezahlung der Handwerker und Lieferanten bis zur Höhe der Vaugelderhypvthek. Der Eigentümer des Grundstücks schließt nun auf seinen eignen Namen die Verträge mit den Handwerkern und Liefe¬ ranten ab, und der Bau beginnt. Geht alles seinen geordneten Gang, so kann hierbei jeder auf seine Rechnung kommen; tritt aber irgend ein unerwartetes Ereignis ein, ist z. V. das Baugeld von vornherein zu knapp bemessen ge¬ wesen, oder trifft den Bau ein Unfall, der die Baukosten erhöht, oder gelingt es einem frühern Gläubiger des Bauunternehmers, bei diesem einen größer« Betrag der Baugelder zu pfänden, so gerät der Bau ins Stocken; der Bau¬ unternehmer kann die fälligen Zahlungen ans den ihm von der Bank gewährten Vauraten nicht vollständig bestreiten; einzelne Handwerker weigern sich, weitern Kredit zu geben, und stellen die Arbeit ein, der Bau bleibt liegen; schließlich bringt die Bank als erste Hypothekengläubigeriu das Grundstück zur Zwangs¬ versteigerung und ersteht es für ihre Vangelder- und Kaufgeldhypvthek selbst. Einen Schaden kann sie nicht erleiden, da sie an den Bauunternehmer niemals ^ Meine Ausführungen MM sich ausschließlich auf Beobachtungen im Gerichtssaal und in der Anwnltsswbe,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/552
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/552>, abgerufen am 29.12.2024.