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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

nationalen Zionistenkougreß" abgehalten. Als Programm der neuen Bewegung hat
der Kongreß, wie die Zeitungen berichten, folgende Sätze aufgestellt: "Der Zionismus
erstrebt für das jüdische Volk die Schaffung einer rechtlich gesicherten Heimstätte in
Palästina. Zur Erreichung dieses Zieles nimmt der Kongreß folgende Mittel in
Aussicht: 1. zweckdienliche Förderung der Besiedlung Palästinas mit jüdischem Acker¬
bauern und Gewerbetreibenden; 2. Gliederung und Zusammenfassung der gesamten
Judenschaft durch geeignete örtliche und allgemeine Veranstaltungen ans der Grund¬
lage der Landesgesetze; 3. Stärkung des jüdischen Nationalgefühls und Volks¬
bewußtseins; 4. vorbereitende Schritte zur Erlangung der für die Erreichung des
zionistischen Zieles notwendigen Zustimmung der Behörden." Die Bewegung ver¬
dient das volle Interesse der gebildeten Kreise namentlich in Deutschland, auch
wenn man von den Einzelheiten der zionistischen Pläne und der mit ihr zusammen¬
hängenden religiös-dogmatischen Streitfragen innerhalb des Judentums absieht.
Thatsache ist, daß die Masse der gebildeten Juden Dentschlnnds, und das ist zugleich
die Masse der wohlhabenden und reichen, der zionistischen Bewegung nicht nur
fern, sondern sogar ausgesprochen ablehnend gegenüber steht, und daß auch die
große Mehrzahl der Rabbiner in Deutschland entschieden gegen sie Stellung nimmt.
Diese Juden wollen nicht als besondre, dem Deutschtum fremde Nation aufgefaßt
sei" und als solche zusammenhalten und ihre Interessen verfolgen, sondern nur als
besondre Religionsgesellschaft, wobei natürlich die religiös völlig Gleichgiltigen in
großer Zahl mit unterlaufen. Dem gegenüber stellen die Zivilisten die namentlich
im Osten Europas, aber doch auch in Deutschland noch immer in großer Zahl
vorhandnen, im wesentlich mir jüdisch-national gebildeten und sich als Nationaljuden
fühlenden, meist, namentlich in den Kulturländern, wenig begüterten, zum Teil sogar
in kläglich vcrkommnen wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Teile des Juden¬
tums dar. Diese", soweit sie religiös sind, ist die nationale Selbständigkeit und
Absonderung und die Hoffnung auf die Wiederherstellung der jüdischen Nation in
Palästina ein Teil, und zwar der wichtigste, lebendigste, mit der innigsten Hingebung
gepflegte Teil der Religion selbst. Sie haben damit bisher im praktischen Sinne nicht
Politik getrieben, obwohl es sich von jeher um ein politisches Endziel, um politische
Hoffnungen gehandelt hat. Die Hoffnung war ihnen alles, und sie war durchaus
religiös. Das scheint jetzt anders werden zu sollen, man scheint praktisch zionistische
Politik treiben zu wollen, und dabei denken nun wohl auch nicht religiös gesinnte
Juden, die wirtschaftlich und Politisch unzufricdnen und revolutionären, vielfach
ihre Rechnung zu finden. Die schweizerischen Blätter für Wirtschafts- und Sozial¬
politik bringen in ihrer kürzlich erschienenen Ur. 16 (1897) einen kurzen Aufsatz
über den Zionismus, um den sie, wie sie sagen, einen hervorragenden Anhänger
dieser Bewegung gebeten haben. Der Inhalt ist sehr bemerkenswert, auch wenn
er vielleicht nicht ganz der Auffassung der zionistischen Masse entspricht. Die Zio¬
nismen, sagt der Verfasser, seien Nationaljuden. Sie wüßten, daß es in der mo¬
dernen "Nativnalitätsära" einer fremden Nation sehr schwer falle, zerstreut unter
den Nationen zu leben. Eine solche Nation müsse entweder ökonomisch oder mo¬
ralisch verkommen. Die Zionisten wollten deshalb "vermittelst einer planmäßigen
Emigration der Juden nach Palästina hier einen Judenstaat ins Leben rufen."
Sie wollten aber dabei auch namentlich "die Veränderung der ökonomischen Lebens¬
weise der Juden herbeiführen, ans dem jüdischen Handels- und Krämervolk ein
landwirtschaftlich und industriell arbeitendes Volk machen." Der Zionismus sei
keine Partei, aber trotzdem werde er "mit der Sicherheit und Kraft eines mechanisch
wirkenden Naturgesetzes eine Gruppirung der Juden in Klassen herbeiführen," denn


Maßgebliches und Unmaßgebliches

nationalen Zionistenkougreß" abgehalten. Als Programm der neuen Bewegung hat
der Kongreß, wie die Zeitungen berichten, folgende Sätze aufgestellt: „Der Zionismus
erstrebt für das jüdische Volk die Schaffung einer rechtlich gesicherten Heimstätte in
Palästina. Zur Erreichung dieses Zieles nimmt der Kongreß folgende Mittel in
Aussicht: 1. zweckdienliche Förderung der Besiedlung Palästinas mit jüdischem Acker¬
bauern und Gewerbetreibenden; 2. Gliederung und Zusammenfassung der gesamten
Judenschaft durch geeignete örtliche und allgemeine Veranstaltungen ans der Grund¬
lage der Landesgesetze; 3. Stärkung des jüdischen Nationalgefühls und Volks¬
bewußtseins; 4. vorbereitende Schritte zur Erlangung der für die Erreichung des
zionistischen Zieles notwendigen Zustimmung der Behörden." Die Bewegung ver¬
dient das volle Interesse der gebildeten Kreise namentlich in Deutschland, auch
wenn man von den Einzelheiten der zionistischen Pläne und der mit ihr zusammen¬
hängenden religiös-dogmatischen Streitfragen innerhalb des Judentums absieht.
Thatsache ist, daß die Masse der gebildeten Juden Dentschlnnds, und das ist zugleich
die Masse der wohlhabenden und reichen, der zionistischen Bewegung nicht nur
fern, sondern sogar ausgesprochen ablehnend gegenüber steht, und daß auch die
große Mehrzahl der Rabbiner in Deutschland entschieden gegen sie Stellung nimmt.
Diese Juden wollen nicht als besondre, dem Deutschtum fremde Nation aufgefaßt
sei» und als solche zusammenhalten und ihre Interessen verfolgen, sondern nur als
besondre Religionsgesellschaft, wobei natürlich die religiös völlig Gleichgiltigen in
großer Zahl mit unterlaufen. Dem gegenüber stellen die Zivilisten die namentlich
im Osten Europas, aber doch auch in Deutschland noch immer in großer Zahl
vorhandnen, im wesentlich mir jüdisch-national gebildeten und sich als Nationaljuden
fühlenden, meist, namentlich in den Kulturländern, wenig begüterten, zum Teil sogar
in kläglich vcrkommnen wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Teile des Juden¬
tums dar. Diese», soweit sie religiös sind, ist die nationale Selbständigkeit und
Absonderung und die Hoffnung auf die Wiederherstellung der jüdischen Nation in
Palästina ein Teil, und zwar der wichtigste, lebendigste, mit der innigsten Hingebung
gepflegte Teil der Religion selbst. Sie haben damit bisher im praktischen Sinne nicht
Politik getrieben, obwohl es sich von jeher um ein politisches Endziel, um politische
Hoffnungen gehandelt hat. Die Hoffnung war ihnen alles, und sie war durchaus
religiös. Das scheint jetzt anders werden zu sollen, man scheint praktisch zionistische
Politik treiben zu wollen, und dabei denken nun wohl auch nicht religiös gesinnte
Juden, die wirtschaftlich und Politisch unzufricdnen und revolutionären, vielfach
ihre Rechnung zu finden. Die schweizerischen Blätter für Wirtschafts- und Sozial¬
politik bringen in ihrer kürzlich erschienenen Ur. 16 (1897) einen kurzen Aufsatz
über den Zionismus, um den sie, wie sie sagen, einen hervorragenden Anhänger
dieser Bewegung gebeten haben. Der Inhalt ist sehr bemerkenswert, auch wenn
er vielleicht nicht ganz der Auffassung der zionistischen Masse entspricht. Die Zio¬
nismen, sagt der Verfasser, seien Nationaljuden. Sie wüßten, daß es in der mo¬
dernen „Nativnalitätsära" einer fremden Nation sehr schwer falle, zerstreut unter
den Nationen zu leben. Eine solche Nation müsse entweder ökonomisch oder mo¬
ralisch verkommen. Die Zionisten wollten deshalb „vermittelst einer planmäßigen
Emigration der Juden nach Palästina hier einen Judenstaat ins Leben rufen."
Sie wollten aber dabei auch namentlich „die Veränderung der ökonomischen Lebens¬
weise der Juden herbeiführen, ans dem jüdischen Handels- und Krämervolk ein
landwirtschaftlich und industriell arbeitendes Volk machen." Der Zionismus sei
keine Partei, aber trotzdem werde er „mit der Sicherheit und Kraft eines mechanisch
wirkenden Naturgesetzes eine Gruppirung der Juden in Klassen herbeiführen," denn


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[0526] Maßgebliches und Unmaßgebliches nationalen Zionistenkougreß" abgehalten. Als Programm der neuen Bewegung hat der Kongreß, wie die Zeitungen berichten, folgende Sätze aufgestellt: „Der Zionismus erstrebt für das jüdische Volk die Schaffung einer rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina. Zur Erreichung dieses Zieles nimmt der Kongreß folgende Mittel in Aussicht: 1. zweckdienliche Förderung der Besiedlung Palästinas mit jüdischem Acker¬ bauern und Gewerbetreibenden; 2. Gliederung und Zusammenfassung der gesamten Judenschaft durch geeignete örtliche und allgemeine Veranstaltungen ans der Grund¬ lage der Landesgesetze; 3. Stärkung des jüdischen Nationalgefühls und Volks¬ bewußtseins; 4. vorbereitende Schritte zur Erlangung der für die Erreichung des zionistischen Zieles notwendigen Zustimmung der Behörden." Die Bewegung ver¬ dient das volle Interesse der gebildeten Kreise namentlich in Deutschland, auch wenn man von den Einzelheiten der zionistischen Pläne und der mit ihr zusammen¬ hängenden religiös-dogmatischen Streitfragen innerhalb des Judentums absieht. Thatsache ist, daß die Masse der gebildeten Juden Dentschlnnds, und das ist zugleich die Masse der wohlhabenden und reichen, der zionistischen Bewegung nicht nur fern, sondern sogar ausgesprochen ablehnend gegenüber steht, und daß auch die große Mehrzahl der Rabbiner in Deutschland entschieden gegen sie Stellung nimmt. Diese Juden wollen nicht als besondre, dem Deutschtum fremde Nation aufgefaßt sei» und als solche zusammenhalten und ihre Interessen verfolgen, sondern nur als besondre Religionsgesellschaft, wobei natürlich die religiös völlig Gleichgiltigen in großer Zahl mit unterlaufen. Dem gegenüber stellen die Zivilisten die namentlich im Osten Europas, aber doch auch in Deutschland noch immer in großer Zahl vorhandnen, im wesentlich mir jüdisch-national gebildeten und sich als Nationaljuden fühlenden, meist, namentlich in den Kulturländern, wenig begüterten, zum Teil sogar in kläglich vcrkommnen wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Teile des Juden¬ tums dar. Diese», soweit sie religiös sind, ist die nationale Selbständigkeit und Absonderung und die Hoffnung auf die Wiederherstellung der jüdischen Nation in Palästina ein Teil, und zwar der wichtigste, lebendigste, mit der innigsten Hingebung gepflegte Teil der Religion selbst. Sie haben damit bisher im praktischen Sinne nicht Politik getrieben, obwohl es sich von jeher um ein politisches Endziel, um politische Hoffnungen gehandelt hat. Die Hoffnung war ihnen alles, und sie war durchaus religiös. Das scheint jetzt anders werden zu sollen, man scheint praktisch zionistische Politik treiben zu wollen, und dabei denken nun wohl auch nicht religiös gesinnte Juden, die wirtschaftlich und Politisch unzufricdnen und revolutionären, vielfach ihre Rechnung zu finden. Die schweizerischen Blätter für Wirtschafts- und Sozial¬ politik bringen in ihrer kürzlich erschienenen Ur. 16 (1897) einen kurzen Aufsatz über den Zionismus, um den sie, wie sie sagen, einen hervorragenden Anhänger dieser Bewegung gebeten haben. Der Inhalt ist sehr bemerkenswert, auch wenn er vielleicht nicht ganz der Auffassung der zionistischen Masse entspricht. Die Zio¬ nismen, sagt der Verfasser, seien Nationaljuden. Sie wüßten, daß es in der mo¬ dernen „Nativnalitätsära" einer fremden Nation sehr schwer falle, zerstreut unter den Nationen zu leben. Eine solche Nation müsse entweder ökonomisch oder mo¬ ralisch verkommen. Die Zionisten wollten deshalb „vermittelst einer planmäßigen Emigration der Juden nach Palästina hier einen Judenstaat ins Leben rufen." Sie wollten aber dabei auch namentlich „die Veränderung der ökonomischen Lebens¬ weise der Juden herbeiführen, ans dem jüdischen Handels- und Krämervolk ein landwirtschaftlich und industriell arbeitendes Volk machen." Der Zionismus sei keine Partei, aber trotzdem werde er „mit der Sicherheit und Kraft eines mechanisch wirkenden Naturgesetzes eine Gruppirung der Juden in Klassen herbeiführen," denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/526>, abgerufen am 29.12.2024.