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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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vom Idealismus in der Wissenschaft

und seinein warmen Gefühle das entscheidende Wort, und daher brachte auch
der emsigste Fleiß in ihm gewöhnlich nicht das hervor, was frommt, weil es
die Sache so fordert, sondern nur das, was seine eigne Seele erfüllte und nach
Äußerung verlangte. Wie quälte ihn z. B. sein Leben lang der Gedanke um
ein Drama, seit der Zeit, wo er als Jüngling Goethe seine Gedanken ent¬
wickelt hatte, bis in sein höheres Alter, dessen (nie erreichter) Wunsch eine
Bühuenaufführuug war und blieb! So hatte ihm denn doch die Muse wohl
ein Danaergeschenk in die Wiege gelegt. Aber niemand kann den Seidenwurm,
so lange er lebt, hindern, zu spinnen. Es soll ja nur gezeigt werden, wie
sich ein reich begabter Mensch den Ertrag seines Lebens selbst gestaltet hat,
äußerlich, indem er sich an einen Ort bindet, der seinem selbstgewählten Berufe
nicht günstig ist, innerlich, indem er den Antrieben einer höhern Bildung mehr
gehorcht, als es die praktische Welt mit ihren nun einmal sür jeden einzelnen
zugeschnittenen Aufgaben erlaubt. Wem des Dichters Wort gilt: "Dn bist
dir nur des einen Triebs bewußt," der hat leicht kämpfen auf der Rennbahn
des Lebens. Von den übrigen zahlen ja freilich nicht alle des Wissens Gut
mit dem Herzen, aber doch viele. Und die, die manches nicht erreichten, dafür
aber ihr volles Herz vom Kampfplatz unversehrt zurückbrachten, möchten es
wohl kaum anders machen, wenn das Leben für sie noch einmal von neuem
begönne.

Das Leben, dem dieses Buch gewidmet ist, umschloß einen Schatz von
Herzensgüte und Charaktertüchtigkeit, wie er uns nicht so leicht wieder aus
einer Gelehrtenbiographie entgegenleuchten wird. Denn diese Selbstlosigkeit
eines Maunes, der nach dem Zuschnitt seiner Verhältnisse Wohl Ansprüche
hätte machen können, wird nicht bloß, wie man zu sagen pflegt, heute immer
seltner, sondern sie ist zu allen Zeiten selten gewesen.

Hagen hatte auf äußere Güter niemals Wert gelegt. Daß seine Fran
einmal sehr reich werden würde, konnte er nicht wissen, und als er es erfuhr,
berührte es ihn fast unangenehm. Sie stammte aus einem Handelshause in
Braunsberg, das zu den angesehensten in Preußen gehörte und in den Be¬
freiungskriegen ein Vermögen für das Vaterland geopfert hatte. Ihr Kapital
stand im Geschäft und konnte später nicht, ohne diesem Verlegenheit zu bereiten,
gekündigt werden, und obwohl die Firma in andre Hände übergegangen war
und nur noch den Namen des seligen Großvaters Östreich trug, konnten sich
die Ehegatten nicht entschließen, an ihre eigne Sicherheit zu denken und da¬
durch vielleicht mit zum Falle des Hauses beizutragen. Als aber dennoch
Anfang der vierziger Jahre das Hans liquidiren mußte, konnten die übrigen
Gläubiger nur so befriedigt werden, daß Hagen und seine Frau auf den größten
Teil ihrer Ansprüche verzichteten. Sie thaten es um des ehrenreichen Namens
des Großvaters willen. Als die Abrechnung kam, zeigte sich der Verlust noch
größer. Hagen -- so erzählt das Buch -- arbeitete gerade an den "Künstler¬
geschichten," als er den Brief erhielt. Nachdem er ihn durchflogen, schrieb er


vom Idealismus in der Wissenschaft

und seinein warmen Gefühle das entscheidende Wort, und daher brachte auch
der emsigste Fleiß in ihm gewöhnlich nicht das hervor, was frommt, weil es
die Sache so fordert, sondern nur das, was seine eigne Seele erfüllte und nach
Äußerung verlangte. Wie quälte ihn z. B. sein Leben lang der Gedanke um
ein Drama, seit der Zeit, wo er als Jüngling Goethe seine Gedanken ent¬
wickelt hatte, bis in sein höheres Alter, dessen (nie erreichter) Wunsch eine
Bühuenaufführuug war und blieb! So hatte ihm denn doch die Muse wohl
ein Danaergeschenk in die Wiege gelegt. Aber niemand kann den Seidenwurm,
so lange er lebt, hindern, zu spinnen. Es soll ja nur gezeigt werden, wie
sich ein reich begabter Mensch den Ertrag seines Lebens selbst gestaltet hat,
äußerlich, indem er sich an einen Ort bindet, der seinem selbstgewählten Berufe
nicht günstig ist, innerlich, indem er den Antrieben einer höhern Bildung mehr
gehorcht, als es die praktische Welt mit ihren nun einmal sür jeden einzelnen
zugeschnittenen Aufgaben erlaubt. Wem des Dichters Wort gilt: „Dn bist
dir nur des einen Triebs bewußt," der hat leicht kämpfen auf der Rennbahn
des Lebens. Von den übrigen zahlen ja freilich nicht alle des Wissens Gut
mit dem Herzen, aber doch viele. Und die, die manches nicht erreichten, dafür
aber ihr volles Herz vom Kampfplatz unversehrt zurückbrachten, möchten es
wohl kaum anders machen, wenn das Leben für sie noch einmal von neuem
begönne.

Das Leben, dem dieses Buch gewidmet ist, umschloß einen Schatz von
Herzensgüte und Charaktertüchtigkeit, wie er uns nicht so leicht wieder aus
einer Gelehrtenbiographie entgegenleuchten wird. Denn diese Selbstlosigkeit
eines Maunes, der nach dem Zuschnitt seiner Verhältnisse Wohl Ansprüche
hätte machen können, wird nicht bloß, wie man zu sagen pflegt, heute immer
seltner, sondern sie ist zu allen Zeiten selten gewesen.

Hagen hatte auf äußere Güter niemals Wert gelegt. Daß seine Fran
einmal sehr reich werden würde, konnte er nicht wissen, und als er es erfuhr,
berührte es ihn fast unangenehm. Sie stammte aus einem Handelshause in
Braunsberg, das zu den angesehensten in Preußen gehörte und in den Be¬
freiungskriegen ein Vermögen für das Vaterland geopfert hatte. Ihr Kapital
stand im Geschäft und konnte später nicht, ohne diesem Verlegenheit zu bereiten,
gekündigt werden, und obwohl die Firma in andre Hände übergegangen war
und nur noch den Namen des seligen Großvaters Östreich trug, konnten sich
die Ehegatten nicht entschließen, an ihre eigne Sicherheit zu denken und da¬
durch vielleicht mit zum Falle des Hauses beizutragen. Als aber dennoch
Anfang der vierziger Jahre das Hans liquidiren mußte, konnten die übrigen
Gläubiger nur so befriedigt werden, daß Hagen und seine Frau auf den größten
Teil ihrer Ansprüche verzichteten. Sie thaten es um des ehrenreichen Namens
des Großvaters willen. Als die Abrechnung kam, zeigte sich der Verlust noch
größer. Hagen — so erzählt das Buch — arbeitete gerade an den „Künstler¬
geschichten," als er den Brief erhielt. Nachdem er ihn durchflogen, schrieb er


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[0522] vom Idealismus in der Wissenschaft und seinein warmen Gefühle das entscheidende Wort, und daher brachte auch der emsigste Fleiß in ihm gewöhnlich nicht das hervor, was frommt, weil es die Sache so fordert, sondern nur das, was seine eigne Seele erfüllte und nach Äußerung verlangte. Wie quälte ihn z. B. sein Leben lang der Gedanke um ein Drama, seit der Zeit, wo er als Jüngling Goethe seine Gedanken ent¬ wickelt hatte, bis in sein höheres Alter, dessen (nie erreichter) Wunsch eine Bühuenaufführuug war und blieb! So hatte ihm denn doch die Muse wohl ein Danaergeschenk in die Wiege gelegt. Aber niemand kann den Seidenwurm, so lange er lebt, hindern, zu spinnen. Es soll ja nur gezeigt werden, wie sich ein reich begabter Mensch den Ertrag seines Lebens selbst gestaltet hat, äußerlich, indem er sich an einen Ort bindet, der seinem selbstgewählten Berufe nicht günstig ist, innerlich, indem er den Antrieben einer höhern Bildung mehr gehorcht, als es die praktische Welt mit ihren nun einmal sür jeden einzelnen zugeschnittenen Aufgaben erlaubt. Wem des Dichters Wort gilt: „Dn bist dir nur des einen Triebs bewußt," der hat leicht kämpfen auf der Rennbahn des Lebens. Von den übrigen zahlen ja freilich nicht alle des Wissens Gut mit dem Herzen, aber doch viele. Und die, die manches nicht erreichten, dafür aber ihr volles Herz vom Kampfplatz unversehrt zurückbrachten, möchten es wohl kaum anders machen, wenn das Leben für sie noch einmal von neuem begönne. Das Leben, dem dieses Buch gewidmet ist, umschloß einen Schatz von Herzensgüte und Charaktertüchtigkeit, wie er uns nicht so leicht wieder aus einer Gelehrtenbiographie entgegenleuchten wird. Denn diese Selbstlosigkeit eines Maunes, der nach dem Zuschnitt seiner Verhältnisse Wohl Ansprüche hätte machen können, wird nicht bloß, wie man zu sagen pflegt, heute immer seltner, sondern sie ist zu allen Zeiten selten gewesen. Hagen hatte auf äußere Güter niemals Wert gelegt. Daß seine Fran einmal sehr reich werden würde, konnte er nicht wissen, und als er es erfuhr, berührte es ihn fast unangenehm. Sie stammte aus einem Handelshause in Braunsberg, das zu den angesehensten in Preußen gehörte und in den Be¬ freiungskriegen ein Vermögen für das Vaterland geopfert hatte. Ihr Kapital stand im Geschäft und konnte später nicht, ohne diesem Verlegenheit zu bereiten, gekündigt werden, und obwohl die Firma in andre Hände übergegangen war und nur noch den Namen des seligen Großvaters Östreich trug, konnten sich die Ehegatten nicht entschließen, an ihre eigne Sicherheit zu denken und da¬ durch vielleicht mit zum Falle des Hauses beizutragen. Als aber dennoch Anfang der vierziger Jahre das Hans liquidiren mußte, konnten die übrigen Gläubiger nur so befriedigt werden, daß Hagen und seine Frau auf den größten Teil ihrer Ansprüche verzichteten. Sie thaten es um des ehrenreichen Namens des Großvaters willen. Als die Abrechnung kam, zeigte sich der Verlust noch größer. Hagen — so erzählt das Buch — arbeitete gerade an den „Künstler¬ geschichten," als er den Brief erhielt. Nachdem er ihn durchflogen, schrieb er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/522>, abgerufen am 24.07.2024.