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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Reute und Rohertrag

nisse des Bebcmers gedeckt werden können. Jeder Boden, der mehr einbringt,
bringt Rente, die entweder in den Verbrauch vieler Einzelnen oder weniger
Einzelnen oder keines Einzelnen, sondern der Gesamtheit übergeht. Sinken
nun die Getreidepreise, nämlich zugleich gegen Geld und alle andern Waren, so wird
der schlechteste Boden undankbar gegen seinen Bcbauer, dieser gewinnt wohl
seinen Mundbedarf, aber nicht mehr genug, um seine andern Bedürfnisse zu
decken. Dann verläßt er diese Arbeit, mag er nun Tagelöhner oder Pächter
oder Besitzer sein, vorausgesetzt, daß er bessern Unterhalt findet. Wenn in
frühern Jahrhunderten der Landbau in gleicher Weise undankbar wurde, so
wird der Arbeiter meist keinen bessern Unterhalt gefunden haben. Dann mußte
er beim Acker bleiben und mit geringerm zufrieden sein, wenn er es nicht
vorzog, auszuwandern. Aber für den Bürger der heutigen europäischen
Kulturstaaten giebt es solchen Unterhalt. Er verfertigt nämlich Waren,
um dafür auf dem Weltmarkt seine Bedürfnisse einzutauschen; und bei dieser
Arbeit erntet er Korn so gut, als wenn er hinter dem Pfluge herginge, und
Margarine und Fleisch noch obendrein. Warum soll er also mühselig die
heimatliche Scholle beackern, wenn er auf diese Weise mehr erhält? Wirklich,
wenn die Aufgabe der Wirtschaftspolitik nur die wäre, dem Volke so viel
Güter zu schaffen, als im Augenblick zu haben sind, so wäre es Sünde, in
diese Vorgänge einzugreifen. Daß das Brot billig ist, ist ein Segen; und
daß die Löhne hoch sind, ist auch ein Segen. Es ist, als wenn die Deutschen
ein ihren Grenzen neues fruchtbares Land entdeckt oder erobert Hütten. In
solchem Glücksfälle müßte auch die Rente sinken, und dann könnte man mit
Recht sagen: Laßt die Besitzer des alten Bodeus klagen! Ihre Interessen
stehen gegen die aller andern Bürger. Wir sind durch diese Eroberung nicht
ärmer, sondern reicher geworden. Aber ach! die Landgüter, auf denen die
Deutschen neuerdings ihr billiges Korn bauen, liegen jenseits der Meere außer
allem Bereich unsrer politischen Macht. Wir könne" weder mit unsern
Regimentern hiu, noch mit den Schiffen, die wir noch nicht haben. Es ist
nicht nur möglich, sondern sicher, daß die Amerikaner über kurz oder lang ihr
Brot selber essen werden und ihre Maschinen banen lernen werden, ebenso
wie wir es in den letzten Menschenaltern gelernt haben. Dann wird aus
dem fruchtbaren Handel: Ware gegen Korn ein einfacher Tauschhandel werden,
etwa wie Nürnberger Tand gegen Petroleum; und wir werden, um billiges
Brot zu haben, wieder vor eine andre Thür gehen müssen. Freilich machen
das die Engländer anch so. Aber die haben, wo sie Handel treiben, auch die
Politische Macht. Sie sind überall zu Hause, wo wir nur geduldet sind.
Unsre Sicherheit liegt jetzt lediglich bei der Gewandtheit unsrer Handlungs¬
reisender und bei der Bescheidenheit unsrer Politik, die sich nirgends lästig
machen darf! Die Ausfuhr darf nicht gefährdet werden; denn ohne diese giebt
es keine Einfuhr, und die Einfuhr brauchen wir zum Volksuuterhalt. Hätten
wir mit einemmale keine Ausfuhr mehr, so würden wir kein Getreide kaufen


Reute und Rohertrag

nisse des Bebcmers gedeckt werden können. Jeder Boden, der mehr einbringt,
bringt Rente, die entweder in den Verbrauch vieler Einzelnen oder weniger
Einzelnen oder keines Einzelnen, sondern der Gesamtheit übergeht. Sinken
nun die Getreidepreise, nämlich zugleich gegen Geld und alle andern Waren, so wird
der schlechteste Boden undankbar gegen seinen Bcbauer, dieser gewinnt wohl
seinen Mundbedarf, aber nicht mehr genug, um seine andern Bedürfnisse zu
decken. Dann verläßt er diese Arbeit, mag er nun Tagelöhner oder Pächter
oder Besitzer sein, vorausgesetzt, daß er bessern Unterhalt findet. Wenn in
frühern Jahrhunderten der Landbau in gleicher Weise undankbar wurde, so
wird der Arbeiter meist keinen bessern Unterhalt gefunden haben. Dann mußte
er beim Acker bleiben und mit geringerm zufrieden sein, wenn er es nicht
vorzog, auszuwandern. Aber für den Bürger der heutigen europäischen
Kulturstaaten giebt es solchen Unterhalt. Er verfertigt nämlich Waren,
um dafür auf dem Weltmarkt seine Bedürfnisse einzutauschen; und bei dieser
Arbeit erntet er Korn so gut, als wenn er hinter dem Pfluge herginge, und
Margarine und Fleisch noch obendrein. Warum soll er also mühselig die
heimatliche Scholle beackern, wenn er auf diese Weise mehr erhält? Wirklich,
wenn die Aufgabe der Wirtschaftspolitik nur die wäre, dem Volke so viel
Güter zu schaffen, als im Augenblick zu haben sind, so wäre es Sünde, in
diese Vorgänge einzugreifen. Daß das Brot billig ist, ist ein Segen; und
daß die Löhne hoch sind, ist auch ein Segen. Es ist, als wenn die Deutschen
ein ihren Grenzen neues fruchtbares Land entdeckt oder erobert Hütten. In
solchem Glücksfälle müßte auch die Rente sinken, und dann könnte man mit
Recht sagen: Laßt die Besitzer des alten Bodeus klagen! Ihre Interessen
stehen gegen die aller andern Bürger. Wir sind durch diese Eroberung nicht
ärmer, sondern reicher geworden. Aber ach! die Landgüter, auf denen die
Deutschen neuerdings ihr billiges Korn bauen, liegen jenseits der Meere außer
allem Bereich unsrer politischen Macht. Wir könne» weder mit unsern
Regimentern hiu, noch mit den Schiffen, die wir noch nicht haben. Es ist
nicht nur möglich, sondern sicher, daß die Amerikaner über kurz oder lang ihr
Brot selber essen werden und ihre Maschinen banen lernen werden, ebenso
wie wir es in den letzten Menschenaltern gelernt haben. Dann wird aus
dem fruchtbaren Handel: Ware gegen Korn ein einfacher Tauschhandel werden,
etwa wie Nürnberger Tand gegen Petroleum; und wir werden, um billiges
Brot zu haben, wieder vor eine andre Thür gehen müssen. Freilich machen
das die Engländer anch so. Aber die haben, wo sie Handel treiben, auch die
Politische Macht. Sie sind überall zu Hause, wo wir nur geduldet sind.
Unsre Sicherheit liegt jetzt lediglich bei der Gewandtheit unsrer Handlungs¬
reisender und bei der Bescheidenheit unsrer Politik, die sich nirgends lästig
machen darf! Die Ausfuhr darf nicht gefährdet werden; denn ohne diese giebt
es keine Einfuhr, und die Einfuhr brauchen wir zum Volksuuterhalt. Hätten
wir mit einemmale keine Ausfuhr mehr, so würden wir kein Getreide kaufen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/499>, abgerufen am 29.12.2024.