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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Reichsdeutschen und die Deutsch-Österreicher

Böhmen als einen Lehnsmann des deutschen Volkes (was er beiläufig niemals ge¬
wesen ist, er war der Vasall des deutschen Königs), dem sein Lehen auch entzogen
werden könne, und will lieber Hochverräter als Volksverräter heißen. Ist das
Benehmen der Tschechen unvernünftig, so sind solche Worte im Munde deutscher
Österreicher unverzeihlich unklug, denn sie schärfen den Gegnern, die doch jetzt
in der Mehrheit siud, nur die Waffe, beleidigen die Dhnastie aufs schwerste
und machen es für die Deutschen im Reiche sehr schwierig, für die bedrängten
Volksgenossen jenseits des Erzgebirges und des Böhmerwaldes einzutreten.

Gewiß, unsre wärmsten Sympathien gehören ihnen; wenn sie zu uns
kommen, um einmal ihr Herz auszuschütten, so sind sie willkommen, und wenn
auch rcichsdcutsche Arbeitgeber damit beginnen, ihre tschechischen Arbeiter zu ent¬
lassen, so ist das nur die gerechte Vergeltung sür viel ärgere Dinge in Böhmen.
Aber sobald die Deutsch-Österreicher mit dem Zerfall ihres Staates zurechnen
beginnen, müssen wir ihnen rundweg sagen: das würde auch nichts helfen und
uns unermeßlich schaden. Ein Zerfall Österreichs wäre eine ungeheure Re¬
volution, bedeutete eine völlige Verschiebung der europäischen Machtverhältnisse,
und ein Anschluß der Westhülftc an das deutsche Reich wäre nur in der Form
eines lockern Staatenbundes möglich, in der Form unsers Bundesstaats un¬
möglich. Wer das bestreitet, wer Deutsch-Österreich kurzweg in unser Reich auf¬
nehmen will, mit dem ist nicht zu reden, der versteht nicht einmal das Abe der
deutschen Politik und beweist nur, daß er aus der Geschichte nichts gelernt hat.
Man stelle sich den deutschen Reichstag vor, auf Grund des allgemeinen Wahl¬
rechts durch österreichische Abgeordnete verstärkt! Die Tschechen und Slowenen
würden sich, wenn sie überhaupt kämen, den Polen anschließen, mich die
Deutschen würden ganz überwiegend klerikale Vertreter schicken, also das ohnehin
schon übermächtige Zentrum verstärken. Mit einem solchen Reichstage ließe
sich überhaupt uicht regieren, keinesfalls in nationaldeutschem Sinne. Daheim
aber in Böhmen und Mähren würde der Nationalitätenhader fortdauern, und
wir könnten doch die Tschechen weder gcrmanisiren noch nustreibeu, namentlich
uicht mit einem solchen Reichstage. Auch wenn Deutsch-Österreich nur in losere
staatenbündische Verbindung mit uns träte, würde sich das Verhältnis der
Nationalitäten dort nicht ändern. Kurz, wir würden die Einheit unsers Reiches
lockern, im Süden einen ganz unsichern, durch innern Hader beständig zer¬
rissenen schwachen Bundesgenossen erwerben, Ungarn einen: ungewissen Schick¬
sale überlassen und Galizien den Russen in die Hände liefern. Kann das
das Ziel einer vernünftigen deutschen Politik sein?

Allerdings, eins wird man in Wien und Prag recht ernsthaft erwägen
müssen, ehe man in dieser Art von Gleichberechtigungspvlitik weitergeht. Ein
Österreich, das von derartigem grimmigen Nationalitätenhader zerrissen wird,
und wo die Todfeinde des Deutschtums, die Tschechen mit den Klerikalen und
Feudalen, den Ton angeben, könnte für uns aufhören ein sichrer und wert-


Die Reichsdeutschen und die Deutsch-Österreicher

Böhmen als einen Lehnsmann des deutschen Volkes (was er beiläufig niemals ge¬
wesen ist, er war der Vasall des deutschen Königs), dem sein Lehen auch entzogen
werden könne, und will lieber Hochverräter als Volksverräter heißen. Ist das
Benehmen der Tschechen unvernünftig, so sind solche Worte im Munde deutscher
Österreicher unverzeihlich unklug, denn sie schärfen den Gegnern, die doch jetzt
in der Mehrheit siud, nur die Waffe, beleidigen die Dhnastie aufs schwerste
und machen es für die Deutschen im Reiche sehr schwierig, für die bedrängten
Volksgenossen jenseits des Erzgebirges und des Böhmerwaldes einzutreten.

Gewiß, unsre wärmsten Sympathien gehören ihnen; wenn sie zu uns
kommen, um einmal ihr Herz auszuschütten, so sind sie willkommen, und wenn
auch rcichsdcutsche Arbeitgeber damit beginnen, ihre tschechischen Arbeiter zu ent¬
lassen, so ist das nur die gerechte Vergeltung sür viel ärgere Dinge in Böhmen.
Aber sobald die Deutsch-Österreicher mit dem Zerfall ihres Staates zurechnen
beginnen, müssen wir ihnen rundweg sagen: das würde auch nichts helfen und
uns unermeßlich schaden. Ein Zerfall Österreichs wäre eine ungeheure Re¬
volution, bedeutete eine völlige Verschiebung der europäischen Machtverhältnisse,
und ein Anschluß der Westhülftc an das deutsche Reich wäre nur in der Form
eines lockern Staatenbundes möglich, in der Form unsers Bundesstaats un¬
möglich. Wer das bestreitet, wer Deutsch-Österreich kurzweg in unser Reich auf¬
nehmen will, mit dem ist nicht zu reden, der versteht nicht einmal das Abe der
deutschen Politik und beweist nur, daß er aus der Geschichte nichts gelernt hat.
Man stelle sich den deutschen Reichstag vor, auf Grund des allgemeinen Wahl¬
rechts durch österreichische Abgeordnete verstärkt! Die Tschechen und Slowenen
würden sich, wenn sie überhaupt kämen, den Polen anschließen, mich die
Deutschen würden ganz überwiegend klerikale Vertreter schicken, also das ohnehin
schon übermächtige Zentrum verstärken. Mit einem solchen Reichstage ließe
sich überhaupt uicht regieren, keinesfalls in nationaldeutschem Sinne. Daheim
aber in Böhmen und Mähren würde der Nationalitätenhader fortdauern, und
wir könnten doch die Tschechen weder gcrmanisiren noch nustreibeu, namentlich
uicht mit einem solchen Reichstage. Auch wenn Deutsch-Österreich nur in losere
staatenbündische Verbindung mit uns träte, würde sich das Verhältnis der
Nationalitäten dort nicht ändern. Kurz, wir würden die Einheit unsers Reiches
lockern, im Süden einen ganz unsichern, durch innern Hader beständig zer¬
rissenen schwachen Bundesgenossen erwerben, Ungarn einen: ungewissen Schick¬
sale überlassen und Galizien den Russen in die Hände liefern. Kann das
das Ziel einer vernünftigen deutschen Politik sein?

Allerdings, eins wird man in Wien und Prag recht ernsthaft erwägen
müssen, ehe man in dieser Art von Gleichberechtigungspvlitik weitergeht. Ein
Österreich, das von derartigem grimmigen Nationalitätenhader zerrissen wird,
und wo die Todfeinde des Deutschtums, die Tschechen mit den Klerikalen und
Feudalen, den Ton angeben, könnte für uns aufhören ein sichrer und wert-


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[0493] Die Reichsdeutschen und die Deutsch-Österreicher Böhmen als einen Lehnsmann des deutschen Volkes (was er beiläufig niemals ge¬ wesen ist, er war der Vasall des deutschen Königs), dem sein Lehen auch entzogen werden könne, und will lieber Hochverräter als Volksverräter heißen. Ist das Benehmen der Tschechen unvernünftig, so sind solche Worte im Munde deutscher Österreicher unverzeihlich unklug, denn sie schärfen den Gegnern, die doch jetzt in der Mehrheit siud, nur die Waffe, beleidigen die Dhnastie aufs schwerste und machen es für die Deutschen im Reiche sehr schwierig, für die bedrängten Volksgenossen jenseits des Erzgebirges und des Böhmerwaldes einzutreten. Gewiß, unsre wärmsten Sympathien gehören ihnen; wenn sie zu uns kommen, um einmal ihr Herz auszuschütten, so sind sie willkommen, und wenn auch rcichsdcutsche Arbeitgeber damit beginnen, ihre tschechischen Arbeiter zu ent¬ lassen, so ist das nur die gerechte Vergeltung sür viel ärgere Dinge in Böhmen. Aber sobald die Deutsch-Österreicher mit dem Zerfall ihres Staates zurechnen beginnen, müssen wir ihnen rundweg sagen: das würde auch nichts helfen und uns unermeßlich schaden. Ein Zerfall Österreichs wäre eine ungeheure Re¬ volution, bedeutete eine völlige Verschiebung der europäischen Machtverhältnisse, und ein Anschluß der Westhülftc an das deutsche Reich wäre nur in der Form eines lockern Staatenbundes möglich, in der Form unsers Bundesstaats un¬ möglich. Wer das bestreitet, wer Deutsch-Österreich kurzweg in unser Reich auf¬ nehmen will, mit dem ist nicht zu reden, der versteht nicht einmal das Abe der deutschen Politik und beweist nur, daß er aus der Geschichte nichts gelernt hat. Man stelle sich den deutschen Reichstag vor, auf Grund des allgemeinen Wahl¬ rechts durch österreichische Abgeordnete verstärkt! Die Tschechen und Slowenen würden sich, wenn sie überhaupt kämen, den Polen anschließen, mich die Deutschen würden ganz überwiegend klerikale Vertreter schicken, also das ohnehin schon übermächtige Zentrum verstärken. Mit einem solchen Reichstage ließe sich überhaupt uicht regieren, keinesfalls in nationaldeutschem Sinne. Daheim aber in Böhmen und Mähren würde der Nationalitätenhader fortdauern, und wir könnten doch die Tschechen weder gcrmanisiren noch nustreibeu, namentlich uicht mit einem solchen Reichstage. Auch wenn Deutsch-Österreich nur in losere staatenbündische Verbindung mit uns träte, würde sich das Verhältnis der Nationalitäten dort nicht ändern. Kurz, wir würden die Einheit unsers Reiches lockern, im Süden einen ganz unsichern, durch innern Hader beständig zer¬ rissenen schwachen Bundesgenossen erwerben, Ungarn einen: ungewissen Schick¬ sale überlassen und Galizien den Russen in die Hände liefern. Kann das das Ziel einer vernünftigen deutschen Politik sein? Allerdings, eins wird man in Wien und Prag recht ernsthaft erwägen müssen, ehe man in dieser Art von Gleichberechtigungspvlitik weitergeht. Ein Österreich, das von derartigem grimmigen Nationalitätenhader zerrissen wird, und wo die Todfeinde des Deutschtums, die Tschechen mit den Klerikalen und Feudalen, den Ton angeben, könnte für uns aufhören ein sichrer und wert-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/493>, abgerufen am 24.07.2024.