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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Reichsdeutschen und die Deutsch-"Österreicher

gewährten ihnen die deutschen Liberalen nicht nur die volle innere Selbständig¬
keit, sodaß das Halbruthenische Galizien der rohen Herrschaft des polnischen
Adels, Dalmatien den Kroaten ausgeliefert wurde, sondern auch vollen Anteil
am Ncichsrate, schufen also in diesem selbst die Möglichkeit einer slawischen Mehr¬
heit und für die stets geschlossene polnische Partei die Gelegenheit, die ausschlag¬
gebende Stellung zu gewinnen, die sie heute einnimmt. Dann versäumten sie es,
das Deutsche ausdrücklich als Staatssprache festzusetzen, was sie mit viel besserm
Rechte als die Magyaren für ihre Sprache in Ungarn hätten thun können, eines¬
teils, weil ein solches Gesetz in Galizien und Dalmatien undurchführbar gewesen
wäre, andrerseits, weil sie trotz aller geschichtlichen Erfahrungen eine Gefähr¬
dung dieser Stellung des Deutschen für ganz unmöglich hielten. Sodann gaben
sie ruhig die weitere Ausbreitung eines slawischen Schulwesens zu, und endlich
untergruben sie die Stellung ihres eignen Ministeriums, indem sie sich 1878
kurzsichtig der unvermeidlichen Besetzung Bosniens widersetzten und damit das
Kaiserhaus wie das Heer schwer beleidigten, die beide darin eine Entschädigung
für die Gebietsverluste und Niederlagen seit 1859 sahen. Darüber brach 1879
ihre Herrschaft zusammen, und die "Versvhnungspolitik" des Grafen Taaffe
suchte die slawischen Stämme durch immer neue Zugeständnisse, namentlich aus
dem Gebiete der Amtssprache und des Unterrichtswesens, zu gewinnen. Das
gelang natürlich nicht, weil die Slawen in Böhmen, Mähren und Krain im
Grunde nicht die Gleichberechtigung, sondern die Alleinherrschaft wollen, und
das Höchste, was Tanffe erreichte, war, wie ein Österreicher einmal schlagend,
übrigens nicht im ironischen Sinne, sondern im vollen Ernste anerkennend be¬
merkte, "die moderirte Unzufriedenheit aller Nationalitäten," immerhin kein ganz
übles Ergebnis für Österreich, da es die nationalen Neigungen keines seiner
Stämme völlig befriedigen kann. Aber praktisch bedeutete es allerdings das
allmähliche Zurückdrängen des Deutschen in der Verwaltung und in der Schule,
sogar im Heere, derart, daß die Zahl der deutschsprechenden Unteroffiziere längst
nicht mehr genügt, und die volle Kenntnis der deutschen "Armeesprache" selbst bei
den Offizieren wesentlich zurückgegangen ist, sodaß unter Umständen Patrouillen
verschiedner Regimenter sich gar nicht mehr miteinander verständigen können,
eine erbauliche Aussicht für den Kriegsfall!

Was also jetzt geschieht, das ist die Folge der unglücklichen Verteilung
der Nationalitäten im Kaiserstaate und alter, schwerer Fehler der Deutschen
selbst, und was die "polnische Regierung" jetzt thut, das ist die Fortsetzung
der "Versöhnungspolitik" des Grafen Taaffe.

Ein Ausweg aus diesem Wirrsal ist weit und breit nicht zu entdecke".
Die Deutschen haben vorläufig das Parlament gelähmt und also die ganze
Regierungsmaschinc zum Stillstand gebracht, in dem entscheidenden Augenblick,
wo der Ausgleich mit Ungarn zu stände kommen muß, wenn der Dualismus
nicht aus den Fugen gehen soll. Aber sie sind jetzt so wenig einig wie früher.


Die Reichsdeutschen und die Deutsch-«Österreicher

gewährten ihnen die deutschen Liberalen nicht nur die volle innere Selbständig¬
keit, sodaß das Halbruthenische Galizien der rohen Herrschaft des polnischen
Adels, Dalmatien den Kroaten ausgeliefert wurde, sondern auch vollen Anteil
am Ncichsrate, schufen also in diesem selbst die Möglichkeit einer slawischen Mehr¬
heit und für die stets geschlossene polnische Partei die Gelegenheit, die ausschlag¬
gebende Stellung zu gewinnen, die sie heute einnimmt. Dann versäumten sie es,
das Deutsche ausdrücklich als Staatssprache festzusetzen, was sie mit viel besserm
Rechte als die Magyaren für ihre Sprache in Ungarn hätten thun können, eines¬
teils, weil ein solches Gesetz in Galizien und Dalmatien undurchführbar gewesen
wäre, andrerseits, weil sie trotz aller geschichtlichen Erfahrungen eine Gefähr¬
dung dieser Stellung des Deutschen für ganz unmöglich hielten. Sodann gaben
sie ruhig die weitere Ausbreitung eines slawischen Schulwesens zu, und endlich
untergruben sie die Stellung ihres eignen Ministeriums, indem sie sich 1878
kurzsichtig der unvermeidlichen Besetzung Bosniens widersetzten und damit das
Kaiserhaus wie das Heer schwer beleidigten, die beide darin eine Entschädigung
für die Gebietsverluste und Niederlagen seit 1859 sahen. Darüber brach 1879
ihre Herrschaft zusammen, und die „Versvhnungspolitik" des Grafen Taaffe
suchte die slawischen Stämme durch immer neue Zugeständnisse, namentlich aus
dem Gebiete der Amtssprache und des Unterrichtswesens, zu gewinnen. Das
gelang natürlich nicht, weil die Slawen in Böhmen, Mähren und Krain im
Grunde nicht die Gleichberechtigung, sondern die Alleinherrschaft wollen, und
das Höchste, was Tanffe erreichte, war, wie ein Österreicher einmal schlagend,
übrigens nicht im ironischen Sinne, sondern im vollen Ernste anerkennend be¬
merkte, „die moderirte Unzufriedenheit aller Nationalitäten," immerhin kein ganz
übles Ergebnis für Österreich, da es die nationalen Neigungen keines seiner
Stämme völlig befriedigen kann. Aber praktisch bedeutete es allerdings das
allmähliche Zurückdrängen des Deutschen in der Verwaltung und in der Schule,
sogar im Heere, derart, daß die Zahl der deutschsprechenden Unteroffiziere längst
nicht mehr genügt, und die volle Kenntnis der deutschen „Armeesprache" selbst bei
den Offizieren wesentlich zurückgegangen ist, sodaß unter Umständen Patrouillen
verschiedner Regimenter sich gar nicht mehr miteinander verständigen können,
eine erbauliche Aussicht für den Kriegsfall!

Was also jetzt geschieht, das ist die Folge der unglücklichen Verteilung
der Nationalitäten im Kaiserstaate und alter, schwerer Fehler der Deutschen
selbst, und was die „polnische Regierung" jetzt thut, das ist die Fortsetzung
der „Versöhnungspolitik" des Grafen Taaffe.

Ein Ausweg aus diesem Wirrsal ist weit und breit nicht zu entdecke».
Die Deutschen haben vorläufig das Parlament gelähmt und also die ganze
Regierungsmaschinc zum Stillstand gebracht, in dem entscheidenden Augenblick,
wo der Ausgleich mit Ungarn zu stände kommen muß, wenn der Dualismus
nicht aus den Fugen gehen soll. Aber sie sind jetzt so wenig einig wie früher.


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[0491] Die Reichsdeutschen und die Deutsch-«Österreicher gewährten ihnen die deutschen Liberalen nicht nur die volle innere Selbständig¬ keit, sodaß das Halbruthenische Galizien der rohen Herrschaft des polnischen Adels, Dalmatien den Kroaten ausgeliefert wurde, sondern auch vollen Anteil am Ncichsrate, schufen also in diesem selbst die Möglichkeit einer slawischen Mehr¬ heit und für die stets geschlossene polnische Partei die Gelegenheit, die ausschlag¬ gebende Stellung zu gewinnen, die sie heute einnimmt. Dann versäumten sie es, das Deutsche ausdrücklich als Staatssprache festzusetzen, was sie mit viel besserm Rechte als die Magyaren für ihre Sprache in Ungarn hätten thun können, eines¬ teils, weil ein solches Gesetz in Galizien und Dalmatien undurchführbar gewesen wäre, andrerseits, weil sie trotz aller geschichtlichen Erfahrungen eine Gefähr¬ dung dieser Stellung des Deutschen für ganz unmöglich hielten. Sodann gaben sie ruhig die weitere Ausbreitung eines slawischen Schulwesens zu, und endlich untergruben sie die Stellung ihres eignen Ministeriums, indem sie sich 1878 kurzsichtig der unvermeidlichen Besetzung Bosniens widersetzten und damit das Kaiserhaus wie das Heer schwer beleidigten, die beide darin eine Entschädigung für die Gebietsverluste und Niederlagen seit 1859 sahen. Darüber brach 1879 ihre Herrschaft zusammen, und die „Versvhnungspolitik" des Grafen Taaffe suchte die slawischen Stämme durch immer neue Zugeständnisse, namentlich aus dem Gebiete der Amtssprache und des Unterrichtswesens, zu gewinnen. Das gelang natürlich nicht, weil die Slawen in Böhmen, Mähren und Krain im Grunde nicht die Gleichberechtigung, sondern die Alleinherrschaft wollen, und das Höchste, was Tanffe erreichte, war, wie ein Österreicher einmal schlagend, übrigens nicht im ironischen Sinne, sondern im vollen Ernste anerkennend be¬ merkte, „die moderirte Unzufriedenheit aller Nationalitäten," immerhin kein ganz übles Ergebnis für Österreich, da es die nationalen Neigungen keines seiner Stämme völlig befriedigen kann. Aber praktisch bedeutete es allerdings das allmähliche Zurückdrängen des Deutschen in der Verwaltung und in der Schule, sogar im Heere, derart, daß die Zahl der deutschsprechenden Unteroffiziere längst nicht mehr genügt, und die volle Kenntnis der deutschen „Armeesprache" selbst bei den Offizieren wesentlich zurückgegangen ist, sodaß unter Umständen Patrouillen verschiedner Regimenter sich gar nicht mehr miteinander verständigen können, eine erbauliche Aussicht für den Kriegsfall! Was also jetzt geschieht, das ist die Folge der unglücklichen Verteilung der Nationalitäten im Kaiserstaate und alter, schwerer Fehler der Deutschen selbst, und was die „polnische Regierung" jetzt thut, das ist die Fortsetzung der „Versöhnungspolitik" des Grafen Taaffe. Ein Ausweg aus diesem Wirrsal ist weit und breit nicht zu entdecke». Die Deutschen haben vorläufig das Parlament gelähmt und also die ganze Regierungsmaschinc zum Stillstand gebracht, in dem entscheidenden Augenblick, wo der Ausgleich mit Ungarn zu stände kommen muß, wenn der Dualismus nicht aus den Fugen gehen soll. Aber sie sind jetzt so wenig einig wie früher.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/491>, abgerufen am 24.07.2024.