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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Reichsdeutschen und die Deutsch-(Österreicher

Stellung einzuräumen, die sich die Magyaren in einer sehr ähnlichen Lage
in Ungarn gesichert haben? Deutsche oder deutschsprechende Beamte haben
allerdings unter Metternich und dann wieder in den Jahren der verschrieenen
Reaktion nicht nur Osterreich, sondern auch Ungarn regiert, aber wahrlich nicht
um des Deutschtums willen, und sie haben dies dadurch verhaßt gemacht als
ein Werkzeug zur Knechtung. Denn längst vor 1848 waren die Tschechen
und Magyaren zum Bewußtsein ihres Volkstums erwacht, für sie war die
Erhebung von 1848/49 vor allem ein Kampf gegen das Deutschtum. Und
als sie mit Waffengewalt niedergeworfen waren, und der alte Absolutismus
wieder regierte, da hat es doch ein so gut österreichischer und ideal gerichteter
Staatsmann wie Graf Leo Thun, der große Reformator des österreichischen
Unterrichtswesens, ausdrücklich als seine Aufgabe bezeichnet, die Eigentümlichkeit
jeder Nationalität zu pflegen; von einer Germanisirung wollte er nichts
wissen. Als dann nach 1359 der Absolutismus abermals zusammenbrach,
verfolgte der liberale Zentralist Schmerling allerdings ein Ziel wie etwa
Joseph II., wenn auch mit modernen Mitteln, aber niemals haben sich ihm
die Tschechen, Polen, Magyaren und Italiener gebeugt, und sein österreichischer
Gesamtreichstag blieb ein Traum. Dann versuchte es Veleredi seit 1865 mit
dem Föderalismus, den er nur durch die Klerikalen und die nichtdeutschen
Nationalitäten Hütte durchsetzen können, der also diesen zu größerer Selb¬
ständigkeit verhelfen mußte. Mit solchen Bundesgenossen begann man 1866
den Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland, nicht viel anders als einst
Ferdinand II.! Und gesetzt auch den Fall, er wäre sür Österreich siegreich
verlaufen, so hätte Österreich doch niemals daran gedacht, das übrige Deutsch¬
land in eine engere bundesstaatliche Verbindung mit sich zu bringen, also sein
Deutschtum so zu stärken, daß es die Herrschaft hätte behaupten können, denn
die mit ihm verbündeten Mittelstaateu schlugen sich um ihrer ungeschmälerten
Souveränität willen, und außerdem hatte sich Österreich in einem geheimen
Vertrage mit Frankreich ausdrücklich verpflichtet, keine engere Verbindung als
bisher mit den deutschen Staaten einzugehen.

Nach der Katastrophe von 1866 trat wieder ein jäher Systemwechsel ein.
Mit dem Ausgleich zwischeu Österreich und Ungarn kamen in Österreich nicht
etwa die Slawen, sondern die Schöpfer der Verfassung, die Deutsch-Liberalen,
ans Ruder und behaupteten diese Herrschaft zwölf volle Jahre lang, bis 1879,
trotz der Opposition der Tschechen. Gerade in diese Jahre fällt eine Reihe ver¬
hängnisvoller Fehler. Statt die ehemaligen deutschen Bundesländer in ein ab¬
geschlossenes Ganze zu verwandeln, wo den Deutschen die parlamentarische Mehr¬
heit sicher gewesen wäre, und statt Galizien und Dalmatien eine Sonderstellung
zu gewähren, ähnlich wie sie die klugem Magyaren den Kroaten einräumten,
statt also diesen Ländern nur in gewissen allgemeinen Reichsangelegenheiten das
Stimmrecht im Reichsrate zu geben, im übrigen sie sich selbst zu überlassen,


Die Reichsdeutschen und die Deutsch-(Österreicher

Stellung einzuräumen, die sich die Magyaren in einer sehr ähnlichen Lage
in Ungarn gesichert haben? Deutsche oder deutschsprechende Beamte haben
allerdings unter Metternich und dann wieder in den Jahren der verschrieenen
Reaktion nicht nur Osterreich, sondern auch Ungarn regiert, aber wahrlich nicht
um des Deutschtums willen, und sie haben dies dadurch verhaßt gemacht als
ein Werkzeug zur Knechtung. Denn längst vor 1848 waren die Tschechen
und Magyaren zum Bewußtsein ihres Volkstums erwacht, für sie war die
Erhebung von 1848/49 vor allem ein Kampf gegen das Deutschtum. Und
als sie mit Waffengewalt niedergeworfen waren, und der alte Absolutismus
wieder regierte, da hat es doch ein so gut österreichischer und ideal gerichteter
Staatsmann wie Graf Leo Thun, der große Reformator des österreichischen
Unterrichtswesens, ausdrücklich als seine Aufgabe bezeichnet, die Eigentümlichkeit
jeder Nationalität zu pflegen; von einer Germanisirung wollte er nichts
wissen. Als dann nach 1359 der Absolutismus abermals zusammenbrach,
verfolgte der liberale Zentralist Schmerling allerdings ein Ziel wie etwa
Joseph II., wenn auch mit modernen Mitteln, aber niemals haben sich ihm
die Tschechen, Polen, Magyaren und Italiener gebeugt, und sein österreichischer
Gesamtreichstag blieb ein Traum. Dann versuchte es Veleredi seit 1865 mit
dem Föderalismus, den er nur durch die Klerikalen und die nichtdeutschen
Nationalitäten Hütte durchsetzen können, der also diesen zu größerer Selb¬
ständigkeit verhelfen mußte. Mit solchen Bundesgenossen begann man 1866
den Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland, nicht viel anders als einst
Ferdinand II.! Und gesetzt auch den Fall, er wäre sür Österreich siegreich
verlaufen, so hätte Österreich doch niemals daran gedacht, das übrige Deutsch¬
land in eine engere bundesstaatliche Verbindung mit sich zu bringen, also sein
Deutschtum so zu stärken, daß es die Herrschaft hätte behaupten können, denn
die mit ihm verbündeten Mittelstaateu schlugen sich um ihrer ungeschmälerten
Souveränität willen, und außerdem hatte sich Österreich in einem geheimen
Vertrage mit Frankreich ausdrücklich verpflichtet, keine engere Verbindung als
bisher mit den deutschen Staaten einzugehen.

Nach der Katastrophe von 1866 trat wieder ein jäher Systemwechsel ein.
Mit dem Ausgleich zwischeu Österreich und Ungarn kamen in Österreich nicht
etwa die Slawen, sondern die Schöpfer der Verfassung, die Deutsch-Liberalen,
ans Ruder und behaupteten diese Herrschaft zwölf volle Jahre lang, bis 1879,
trotz der Opposition der Tschechen. Gerade in diese Jahre fällt eine Reihe ver¬
hängnisvoller Fehler. Statt die ehemaligen deutschen Bundesländer in ein ab¬
geschlossenes Ganze zu verwandeln, wo den Deutschen die parlamentarische Mehr¬
heit sicher gewesen wäre, und statt Galizien und Dalmatien eine Sonderstellung
zu gewähren, ähnlich wie sie die klugem Magyaren den Kroaten einräumten,
statt also diesen Ländern nur in gewissen allgemeinen Reichsangelegenheiten das
Stimmrecht im Reichsrate zu geben, im übrigen sie sich selbst zu überlassen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/490>, abgerufen am 29.12.2024.