Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.Volk und Jugend vielleicht nicht die Glücklichsten, auch nicht schlechthin die Allerbesten. Wir Und mit allen jenen Eigenschaften bleiben wir eben auch im Volke einiger¬ Doch genug. Wir wollen aber auch gar nicht dem Leben der Jugend Volk und Jugend vielleicht nicht die Glücklichsten, auch nicht schlechthin die Allerbesten. Wir Und mit allen jenen Eigenschaften bleiben wir eben auch im Volke einiger¬ Doch genug. Wir wollen aber auch gar nicht dem Leben der Jugend <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0470" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226056"/> <fw type="header" place="top"> Volk und Jugend</fw><lb/> <p xml:id="ID_1160" prev="#ID_1159"> vielleicht nicht die Glücklichsten, auch nicht schlechthin die Allerbesten. Wir<lb/> kommen über die Unreife der Jugend nie so ganz hinaus, wie wir möchten,<lb/> und wie wirs uns einbilden mögen, handeln doch oft genug wieder nach<lb/> augenblicklichem Antrieb statt verständig, hoffen und wünschen das, was unsre<lb/> Kraft nie erreichen wird, vergessen so mancherlei Lehre, die eigentlich in unsern<lb/> Kopf und in unser Herz gehen sollte, machen uns Spiel und Spielerei in<lb/> mancherlei Form zurecht, wachsen nicht recht über die innern Widersprüche<lb/> hinaus zur Einheit und sind im Innersten nicht die ganzen Männer, nicht die<lb/> „großen Leute," wie wir bei den Kindern heißen. Davon, daß in unsrer<lb/> Zeit der Überreizung bei vielen echten Kindern der Zeit und auf den Höhen des<lb/> Lebens Anzeichen einer gewissen unfreiwilligen Rückkehr zur Stufe des Kindlichen<lb/> oder Kindischen auftreten, soll gar nicht einmal besonders die Rede sein; es<lb/> ließe sich da von dem Siege des bloß impulsiver Lebens und von der Scheu<lb/> vor zusammenhängendem Innenleben vieles berichten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1161"> Und mit allen jenen Eigenschaften bleiben wir eben auch im Volke einiger¬<lb/> maßen stecken. Nicht bloß, daß wir von dem Boden, dem wir entstammen,<lb/> etwas an uns behalten, von der Empfindungsweise des Volksstammes, von<lb/> dem Tonfall der Mundart, sondern es bleibt uns doch auch etwas von dem,<lb/> was das Volk zum Volke macht, nämlich Abhängigkeit des Einzelnen von der<lb/> Menge, deren Glied er ist, ein Stück Herdennatur also; auch auf deu innerlich<lb/> Unabhängigsten unter uns wirkt die Stimmung der Umgebung, und was man<lb/> ein Publikum nennt oder geradezu ein gebildetes Publikum, das unterliegt in<lb/> seiner Weise ungefähr allen jenen Gesetzen des körperlichen Zusammenseins,<lb/> der Anhäufung, die für das Leben der Volksmenge als solcher gelten. Auch<lb/> ein Publikum bildet ein großes lebendiges Wesen ohne zentrale Organe und<lb/> doch von sehr empfindlichen Nervenleben, nicht eben schwer zu elektrisiren oder<lb/> zu hypnotisiren, aber weit weniger fähig zu maßvoller Erwägung, zu be¬<lb/> gründeter Entscheidung, zu der Bewegung auf feinern Linien. Und die Ab¬<lb/> hängigkeit von der Anschauungsweise der geschlossenen Umgebung, also des<lb/> Standes, ist gerade auf deu höchsten Gesellschaftsstufen wieder ebenso entwickelt<lb/> wie bei dem einfachen Volke. Was „all die Leute" sagen und thun, was<lb/> „die Welt" sagt, „die Gesellschaft" thut, das hat hüben wie drüben gleiche<lb/> Macht; und die Herrschaft bestimmter Formen des Verkehrs, deren Bestand<lb/> beim Volke, dem Landvolk besonders, durch ruhige Gewöhnung gesichert wird,<lb/> wird droben zum ängstlichen Herzensanliegen, zum Gegenstände beständiger<lb/> kleiner Sorge oder auch lächerlich feierlicher Hingebung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1162" next="#ID_1163"> Doch genug. Wir wollen aber auch gar nicht dem Leben der Jugend<lb/> fremd werden und nicht dem des Volkes. Wie die Natur und auch die ge¬<lb/> schichtlich entwickelte Wirklichkeit keine festen Grenzlinien gezogen oder gelassen<lb/> hat, mögen auch die Übergänge im Fluß bleiben. Wir verstehen die Jugend<lb/> doch hinlänglich nur, wenn wir selbst noch ein Stück Jugend in unsern Adern</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0470]
Volk und Jugend
vielleicht nicht die Glücklichsten, auch nicht schlechthin die Allerbesten. Wir
kommen über die Unreife der Jugend nie so ganz hinaus, wie wir möchten,
und wie wirs uns einbilden mögen, handeln doch oft genug wieder nach
augenblicklichem Antrieb statt verständig, hoffen und wünschen das, was unsre
Kraft nie erreichen wird, vergessen so mancherlei Lehre, die eigentlich in unsern
Kopf und in unser Herz gehen sollte, machen uns Spiel und Spielerei in
mancherlei Form zurecht, wachsen nicht recht über die innern Widersprüche
hinaus zur Einheit und sind im Innersten nicht die ganzen Männer, nicht die
„großen Leute," wie wir bei den Kindern heißen. Davon, daß in unsrer
Zeit der Überreizung bei vielen echten Kindern der Zeit und auf den Höhen des
Lebens Anzeichen einer gewissen unfreiwilligen Rückkehr zur Stufe des Kindlichen
oder Kindischen auftreten, soll gar nicht einmal besonders die Rede sein; es
ließe sich da von dem Siege des bloß impulsiver Lebens und von der Scheu
vor zusammenhängendem Innenleben vieles berichten.
Und mit allen jenen Eigenschaften bleiben wir eben auch im Volke einiger¬
maßen stecken. Nicht bloß, daß wir von dem Boden, dem wir entstammen,
etwas an uns behalten, von der Empfindungsweise des Volksstammes, von
dem Tonfall der Mundart, sondern es bleibt uns doch auch etwas von dem,
was das Volk zum Volke macht, nämlich Abhängigkeit des Einzelnen von der
Menge, deren Glied er ist, ein Stück Herdennatur also; auch auf deu innerlich
Unabhängigsten unter uns wirkt die Stimmung der Umgebung, und was man
ein Publikum nennt oder geradezu ein gebildetes Publikum, das unterliegt in
seiner Weise ungefähr allen jenen Gesetzen des körperlichen Zusammenseins,
der Anhäufung, die für das Leben der Volksmenge als solcher gelten. Auch
ein Publikum bildet ein großes lebendiges Wesen ohne zentrale Organe und
doch von sehr empfindlichen Nervenleben, nicht eben schwer zu elektrisiren oder
zu hypnotisiren, aber weit weniger fähig zu maßvoller Erwägung, zu be¬
gründeter Entscheidung, zu der Bewegung auf feinern Linien. Und die Ab¬
hängigkeit von der Anschauungsweise der geschlossenen Umgebung, also des
Standes, ist gerade auf deu höchsten Gesellschaftsstufen wieder ebenso entwickelt
wie bei dem einfachen Volke. Was „all die Leute" sagen und thun, was
„die Welt" sagt, „die Gesellschaft" thut, das hat hüben wie drüben gleiche
Macht; und die Herrschaft bestimmter Formen des Verkehrs, deren Bestand
beim Volke, dem Landvolk besonders, durch ruhige Gewöhnung gesichert wird,
wird droben zum ängstlichen Herzensanliegen, zum Gegenstände beständiger
kleiner Sorge oder auch lächerlich feierlicher Hingebung.
Doch genug. Wir wollen aber auch gar nicht dem Leben der Jugend
fremd werden und nicht dem des Volkes. Wie die Natur und auch die ge¬
schichtlich entwickelte Wirklichkeit keine festen Grenzlinien gezogen oder gelassen
hat, mögen auch die Übergänge im Fluß bleiben. Wir verstehen die Jugend
doch hinlänglich nur, wenn wir selbst noch ein Stück Jugend in unsern Adern
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