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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Aus unsrer Gstinark

Die Allsiedlung deutscher Bauer" mit Hilfe des Hundertmillionenfonds wird
allen polnischen Angriffen und deutschen Bemänglungen zum Trotz von der
Königlichen Ansiedlungskvmmisston weitergeführt und dadurch die polonisireude
Wirkung der Rentengütcrgesetze wenigstens teilweise aufgehoben. Ja es läßt
sich annehmen, daß die Staatsregierung einer Verstärkung des Fonds und dem
Weiterbestande der Kommission über das Jahr 1906 hinaus geneigt ist. Um
die Stellung des Fiskus in den Ausiedluugsproviuzen zu verstärken, werden
dort, besonders in Westpreußen, durch die Forstverwaltung ganze Quadrat¬
meilen Waldboden und Ödland, zum Teil aus kassubisch-polnischen Händen,
erworben und aufgeforstet. Würden von ihr Forstarbeiter aus dein Westen
herangezogen und ansässig gemacht, so würde sie damit dem Deutschtum neue
Heimstätten bereiten; ob sie es thut, darüber war es nicht möglich, genaueres
zu erfahren.

Während die Staatsregierung bereits mitten im Kampfe steht, fangen die
Deutschen erst an, mobil zu machen; nur allmählich wird ihnen klar, welch
furchtbare Gefahr dem Deutschtum und damit jedem einzelnen Deutschen aus
dem Anwachsen des polnischen Elements und aus seiner moralischen und
materiellen Erhebung ans die Dauer erwachsen muß; nur allmählich wird ihnen
bewußt, daß es nicht genügt, im Privatleben ein honetter Mann zu sein, seine
Pflicht gegen Weib und Kind zu erfüllen und seines Geschäfts oder Amts ge¬
wissenhaft zu walten, sondern daß alle Deutschen für alle ihre Stammes-
genossen, wie die Polen es für die Polen thun, einzustehen und zu ihrem
Teil den Nationalitätenkampf, so unerquicklich und ungemütlich er sein mag,
mit durchzukämpfen haben. Das unsern Nachbarvölkern, besonders den Polen,
zur zweiten Natur gewordne Nationalgefühl ist in den hiesigen Deutschen an
der Sprachgrenze ganz besonders schwach. In den meisten ist es nur latent,
ja es wird wohl gar als ein unbequemer Luxus über Bord geworfen; wo es
erwacht, da macht es sich leider eher in hochtrabenden Reden und in Vor¬
würfen gegen andre, besonders gegen die Regierung, oder in Ausschreitungen
gegen die Polen Luft, als daß es zu einer das ganze Wesen durch¬
dringenden und erwärmenden Flamme würde und sich in uneigennützige,
unermüdliche Thätigkeit für die Stammesgenossen umsetzte. Der höchst¬
stehende und reichste Pole sieht in dem letzten Bettler seinen Stammverwandten
und behandelt ihn mit der Leutseligkeit, die immer eine gute Eigenschaft des
Polnischen Adels gewesen ist. Als vor kurzem zwei polnischen Vereinen in
Miloslaw die Abhaltung eines Svmmerfestes verboten worden war, lud Herr
von Kvscielski die Mitglieder, um "ihre Bitterkeit über das Verbot zu
mildern," in seinen Schloßpark zu einem Familienfeste ein, bewirtete die An¬
wesenden reichlich mit Speise und Trank und führte nach der Tafel selbst
die Polonaise an. Wo würde ein Deutscher dergleichen thun? Gesellschaftlich
und politisch zerklüftet, gehen sie jeder seinen eignen Weg und sorgen jeder


Grenzboten III 18V7 50
Aus unsrer Gstinark

Die Allsiedlung deutscher Bauer» mit Hilfe des Hundertmillionenfonds wird
allen polnischen Angriffen und deutschen Bemänglungen zum Trotz von der
Königlichen Ansiedlungskvmmisston weitergeführt und dadurch die polonisireude
Wirkung der Rentengütcrgesetze wenigstens teilweise aufgehoben. Ja es läßt
sich annehmen, daß die Staatsregierung einer Verstärkung des Fonds und dem
Weiterbestande der Kommission über das Jahr 1906 hinaus geneigt ist. Um
die Stellung des Fiskus in den Ausiedluugsproviuzen zu verstärken, werden
dort, besonders in Westpreußen, durch die Forstverwaltung ganze Quadrat¬
meilen Waldboden und Ödland, zum Teil aus kassubisch-polnischen Händen,
erworben und aufgeforstet. Würden von ihr Forstarbeiter aus dein Westen
herangezogen und ansässig gemacht, so würde sie damit dem Deutschtum neue
Heimstätten bereiten; ob sie es thut, darüber war es nicht möglich, genaueres
zu erfahren.

Während die Staatsregierung bereits mitten im Kampfe steht, fangen die
Deutschen erst an, mobil zu machen; nur allmählich wird ihnen klar, welch
furchtbare Gefahr dem Deutschtum und damit jedem einzelnen Deutschen aus
dem Anwachsen des polnischen Elements und aus seiner moralischen und
materiellen Erhebung ans die Dauer erwachsen muß; nur allmählich wird ihnen
bewußt, daß es nicht genügt, im Privatleben ein honetter Mann zu sein, seine
Pflicht gegen Weib und Kind zu erfüllen und seines Geschäfts oder Amts ge¬
wissenhaft zu walten, sondern daß alle Deutschen für alle ihre Stammes-
genossen, wie die Polen es für die Polen thun, einzustehen und zu ihrem
Teil den Nationalitätenkampf, so unerquicklich und ungemütlich er sein mag,
mit durchzukämpfen haben. Das unsern Nachbarvölkern, besonders den Polen,
zur zweiten Natur gewordne Nationalgefühl ist in den hiesigen Deutschen an
der Sprachgrenze ganz besonders schwach. In den meisten ist es nur latent,
ja es wird wohl gar als ein unbequemer Luxus über Bord geworfen; wo es
erwacht, da macht es sich leider eher in hochtrabenden Reden und in Vor¬
würfen gegen andre, besonders gegen die Regierung, oder in Ausschreitungen
gegen die Polen Luft, als daß es zu einer das ganze Wesen durch¬
dringenden und erwärmenden Flamme würde und sich in uneigennützige,
unermüdliche Thätigkeit für die Stammesgenossen umsetzte. Der höchst¬
stehende und reichste Pole sieht in dem letzten Bettler seinen Stammverwandten
und behandelt ihn mit der Leutseligkeit, die immer eine gute Eigenschaft des
Polnischen Adels gewesen ist. Als vor kurzem zwei polnischen Vereinen in
Miloslaw die Abhaltung eines Svmmerfestes verboten worden war, lud Herr
von Kvscielski die Mitglieder, um „ihre Bitterkeit über das Verbot zu
mildern," in seinen Schloßpark zu einem Familienfeste ein, bewirtete die An¬
wesenden reichlich mit Speise und Trank und führte nach der Tafel selbst
die Polonaise an. Wo würde ein Deutscher dergleichen thun? Gesellschaftlich
und politisch zerklüftet, gehen sie jeder seinen eignen Weg und sorgen jeder


Grenzboten III 18V7 50
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[0449] Aus unsrer Gstinark Die Allsiedlung deutscher Bauer» mit Hilfe des Hundertmillionenfonds wird allen polnischen Angriffen und deutschen Bemänglungen zum Trotz von der Königlichen Ansiedlungskvmmisston weitergeführt und dadurch die polonisireude Wirkung der Rentengütcrgesetze wenigstens teilweise aufgehoben. Ja es läßt sich annehmen, daß die Staatsregierung einer Verstärkung des Fonds und dem Weiterbestande der Kommission über das Jahr 1906 hinaus geneigt ist. Um die Stellung des Fiskus in den Ausiedluugsproviuzen zu verstärken, werden dort, besonders in Westpreußen, durch die Forstverwaltung ganze Quadrat¬ meilen Waldboden und Ödland, zum Teil aus kassubisch-polnischen Händen, erworben und aufgeforstet. Würden von ihr Forstarbeiter aus dein Westen herangezogen und ansässig gemacht, so würde sie damit dem Deutschtum neue Heimstätten bereiten; ob sie es thut, darüber war es nicht möglich, genaueres zu erfahren. Während die Staatsregierung bereits mitten im Kampfe steht, fangen die Deutschen erst an, mobil zu machen; nur allmählich wird ihnen klar, welch furchtbare Gefahr dem Deutschtum und damit jedem einzelnen Deutschen aus dem Anwachsen des polnischen Elements und aus seiner moralischen und materiellen Erhebung ans die Dauer erwachsen muß; nur allmählich wird ihnen bewußt, daß es nicht genügt, im Privatleben ein honetter Mann zu sein, seine Pflicht gegen Weib und Kind zu erfüllen und seines Geschäfts oder Amts ge¬ wissenhaft zu walten, sondern daß alle Deutschen für alle ihre Stammes- genossen, wie die Polen es für die Polen thun, einzustehen und zu ihrem Teil den Nationalitätenkampf, so unerquicklich und ungemütlich er sein mag, mit durchzukämpfen haben. Das unsern Nachbarvölkern, besonders den Polen, zur zweiten Natur gewordne Nationalgefühl ist in den hiesigen Deutschen an der Sprachgrenze ganz besonders schwach. In den meisten ist es nur latent, ja es wird wohl gar als ein unbequemer Luxus über Bord geworfen; wo es erwacht, da macht es sich leider eher in hochtrabenden Reden und in Vor¬ würfen gegen andre, besonders gegen die Regierung, oder in Ausschreitungen gegen die Polen Luft, als daß es zu einer das ganze Wesen durch¬ dringenden und erwärmenden Flamme würde und sich in uneigennützige, unermüdliche Thätigkeit für die Stammesgenossen umsetzte. Der höchst¬ stehende und reichste Pole sieht in dem letzten Bettler seinen Stammverwandten und behandelt ihn mit der Leutseligkeit, die immer eine gute Eigenschaft des Polnischen Adels gewesen ist. Als vor kurzem zwei polnischen Vereinen in Miloslaw die Abhaltung eines Svmmerfestes verboten worden war, lud Herr von Kvscielski die Mitglieder, um „ihre Bitterkeit über das Verbot zu mildern," in seinen Schloßpark zu einem Familienfeste ein, bewirtete die An¬ wesenden reichlich mit Speise und Trank und führte nach der Tafel selbst die Polonaise an. Wo würde ein Deutscher dergleichen thun? Gesellschaftlich und politisch zerklüftet, gehen sie jeder seinen eignen Weg und sorgen jeder Grenzboten III 18V7 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/449>, abgerufen am 29.12.2024.