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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^89?

der nervösen Unruhe Lenbachs vergleicht, wird es schwer, zu entscheiden, wem
von beiden Künstlern das größere Maß von Vertrauen auf seine Wahrheits¬
liebe zu schenken ist. Es fällt uns nicht ein, die Genialität Lenbachs in Frage
zu stelle" oder auch uur an ihr herumzunörgeln. Als Porträtmaler ist er
aber ein Gewaltmensch, der nur seiner Subjektivität, seiner Laune nachgiebt,
und dem es nicht darauf ankommt, einen einfachen Bankdirektor zu einem
Ritter des Geistes zu stempeln oder ihn gar durch absonderliche Jnszenirung
in seine Galerie wirklicher Helden hineinzuschmuggeln, weil ihm der Mann
aus irgend einem Grunde gefällt. Dabei ist Lenbach Damen gegenüber viel
nachsichtiger und galanter, als man es dem Künstler zutrauen sollte, der
während seiner glänzenden Laufbahn in seinen Umgangsformen nichts von der
erquickenden Derbheit des bajuvarischeu Stammes eingebüßt hat. Wo man
die Gelegenheit hat, seine Damcnbildnisse mit der Wirklichkeit zu vergleichen,
wird man fast immer ein Plus zu Gunsten der Portrütirten feststellen können.
Jede der drei Ausstellungen bietet Belege für diese Beobachtung.

Daß eine Sammelausstcllung von Gemälden Karl Beckers, des ersten
wirklichen Koloristen der Berliner Schule, der um die Mitte der fünfziger
Jahre durch seine venezianischen Szenen eine vollständige Umwälzung in der
Berliner Künstlerschaft hervorrief, nur ein historisches Interesse haben würde,
war vorauszusehen. Völlig unerwartet war aber der Eindruck, den die Ge¬
samtausstellung Liebermauns hervorgerufen hat. Das große Publikum hat
für solche naturalistischen Experimente kein Interesse. Die künstlerisch und
litterarisch fein gebildeten Laien lachen, machen spöttische Bemerkungen, ärgern
sich auch wohl darüber -- aber einen Eindruck auf sie machen diese Bilder, Zeich¬
nungen, Radirungen und Lithographien nicht. Und es wird auch so bleiben,
wenn noch mehr Blätter von Licbermann für öffentliche Sammlungen an¬
gekauft werden. Sie werden in der Mappe totes Kapital bleiben -- das ist
schon jetzt vorauszusehen. Die engere Gemeinde Liebermanns aber, d. h. die,
die ihn auf den Schild gehoben und schließlich durchgesetzt haben, ist von der
Berliner Sammelausstelluug nicht sehr erbaut. Es sind Bilder aus Lieber¬
mauns früherer Zeit darunter, die, ohne anziehend zu sein, doch eine gewisse
koloristische Begabung verraten. Das gilt den Hohenpriestern Liebermanuscher
Kunst schon als veraltet, als ein abtrünniges Werk. Sie, die jahrelang jedes
seiner Werke kritiklos angestaunt haben, stimmen schon ein Klagelied über den
Stillstand Liebermanns an, das auf die Weise des Unglückspropheten Jeremias
gestimmt ist. Vielleicht hat Liebermann die große goldne Medaille nur be¬
kommen, weil seine Berliner Gesamtausstellung den Eindruck eines gemäßigten
Rückschritts macht. In Dresden hat er freilich durch das Doppelbildnis seiner
Eltern und ein Damenbildnis, bei denen sich Roheit der Auffassung und
Roheit der malerischen Behandlung zu einer vollkommnen Harmonie vereinigen,
die Besorgnisse seiner Verehrer etwas zerstreut. Aber sie fangen doch schon


Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^89?

der nervösen Unruhe Lenbachs vergleicht, wird es schwer, zu entscheiden, wem
von beiden Künstlern das größere Maß von Vertrauen auf seine Wahrheits¬
liebe zu schenken ist. Es fällt uns nicht ein, die Genialität Lenbachs in Frage
zu stelle» oder auch uur an ihr herumzunörgeln. Als Porträtmaler ist er
aber ein Gewaltmensch, der nur seiner Subjektivität, seiner Laune nachgiebt,
und dem es nicht darauf ankommt, einen einfachen Bankdirektor zu einem
Ritter des Geistes zu stempeln oder ihn gar durch absonderliche Jnszenirung
in seine Galerie wirklicher Helden hineinzuschmuggeln, weil ihm der Mann
aus irgend einem Grunde gefällt. Dabei ist Lenbach Damen gegenüber viel
nachsichtiger und galanter, als man es dem Künstler zutrauen sollte, der
während seiner glänzenden Laufbahn in seinen Umgangsformen nichts von der
erquickenden Derbheit des bajuvarischeu Stammes eingebüßt hat. Wo man
die Gelegenheit hat, seine Damcnbildnisse mit der Wirklichkeit zu vergleichen,
wird man fast immer ein Plus zu Gunsten der Portrütirten feststellen können.
Jede der drei Ausstellungen bietet Belege für diese Beobachtung.

Daß eine Sammelausstcllung von Gemälden Karl Beckers, des ersten
wirklichen Koloristen der Berliner Schule, der um die Mitte der fünfziger
Jahre durch seine venezianischen Szenen eine vollständige Umwälzung in der
Berliner Künstlerschaft hervorrief, nur ein historisches Interesse haben würde,
war vorauszusehen. Völlig unerwartet war aber der Eindruck, den die Ge¬
samtausstellung Liebermauns hervorgerufen hat. Das große Publikum hat
für solche naturalistischen Experimente kein Interesse. Die künstlerisch und
litterarisch fein gebildeten Laien lachen, machen spöttische Bemerkungen, ärgern
sich auch wohl darüber — aber einen Eindruck auf sie machen diese Bilder, Zeich¬
nungen, Radirungen und Lithographien nicht. Und es wird auch so bleiben,
wenn noch mehr Blätter von Licbermann für öffentliche Sammlungen an¬
gekauft werden. Sie werden in der Mappe totes Kapital bleiben — das ist
schon jetzt vorauszusehen. Die engere Gemeinde Liebermanns aber, d. h. die,
die ihn auf den Schild gehoben und schließlich durchgesetzt haben, ist von der
Berliner Sammelausstelluug nicht sehr erbaut. Es sind Bilder aus Lieber¬
mauns früherer Zeit darunter, die, ohne anziehend zu sein, doch eine gewisse
koloristische Begabung verraten. Das gilt den Hohenpriestern Liebermanuscher
Kunst schon als veraltet, als ein abtrünniges Werk. Sie, die jahrelang jedes
seiner Werke kritiklos angestaunt haben, stimmen schon ein Klagelied über den
Stillstand Liebermanns an, das auf die Weise des Unglückspropheten Jeremias
gestimmt ist. Vielleicht hat Liebermann die große goldne Medaille nur be¬
kommen, weil seine Berliner Gesamtausstellung den Eindruck eines gemäßigten
Rückschritts macht. In Dresden hat er freilich durch das Doppelbildnis seiner
Eltern und ein Damenbildnis, bei denen sich Roheit der Auffassung und
Roheit der malerischen Behandlung zu einer vollkommnen Harmonie vereinigen,
die Besorgnisse seiner Verehrer etwas zerstreut. Aber sie fangen doch schon


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[0432] Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^89? der nervösen Unruhe Lenbachs vergleicht, wird es schwer, zu entscheiden, wem von beiden Künstlern das größere Maß von Vertrauen auf seine Wahrheits¬ liebe zu schenken ist. Es fällt uns nicht ein, die Genialität Lenbachs in Frage zu stelle» oder auch uur an ihr herumzunörgeln. Als Porträtmaler ist er aber ein Gewaltmensch, der nur seiner Subjektivität, seiner Laune nachgiebt, und dem es nicht darauf ankommt, einen einfachen Bankdirektor zu einem Ritter des Geistes zu stempeln oder ihn gar durch absonderliche Jnszenirung in seine Galerie wirklicher Helden hineinzuschmuggeln, weil ihm der Mann aus irgend einem Grunde gefällt. Dabei ist Lenbach Damen gegenüber viel nachsichtiger und galanter, als man es dem Künstler zutrauen sollte, der während seiner glänzenden Laufbahn in seinen Umgangsformen nichts von der erquickenden Derbheit des bajuvarischeu Stammes eingebüßt hat. Wo man die Gelegenheit hat, seine Damcnbildnisse mit der Wirklichkeit zu vergleichen, wird man fast immer ein Plus zu Gunsten der Portrütirten feststellen können. Jede der drei Ausstellungen bietet Belege für diese Beobachtung. Daß eine Sammelausstcllung von Gemälden Karl Beckers, des ersten wirklichen Koloristen der Berliner Schule, der um die Mitte der fünfziger Jahre durch seine venezianischen Szenen eine vollständige Umwälzung in der Berliner Künstlerschaft hervorrief, nur ein historisches Interesse haben würde, war vorauszusehen. Völlig unerwartet war aber der Eindruck, den die Ge¬ samtausstellung Liebermauns hervorgerufen hat. Das große Publikum hat für solche naturalistischen Experimente kein Interesse. Die künstlerisch und litterarisch fein gebildeten Laien lachen, machen spöttische Bemerkungen, ärgern sich auch wohl darüber — aber einen Eindruck auf sie machen diese Bilder, Zeich¬ nungen, Radirungen und Lithographien nicht. Und es wird auch so bleiben, wenn noch mehr Blätter von Licbermann für öffentliche Sammlungen an¬ gekauft werden. Sie werden in der Mappe totes Kapital bleiben — das ist schon jetzt vorauszusehen. Die engere Gemeinde Liebermanns aber, d. h. die, die ihn auf den Schild gehoben und schließlich durchgesetzt haben, ist von der Berliner Sammelausstelluug nicht sehr erbaut. Es sind Bilder aus Lieber¬ mauns früherer Zeit darunter, die, ohne anziehend zu sein, doch eine gewisse koloristische Begabung verraten. Das gilt den Hohenpriestern Liebermanuscher Kunst schon als veraltet, als ein abtrünniges Werk. Sie, die jahrelang jedes seiner Werke kritiklos angestaunt haben, stimmen schon ein Klagelied über den Stillstand Liebermanns an, das auf die Weise des Unglückspropheten Jeremias gestimmt ist. Vielleicht hat Liebermann die große goldne Medaille nur be¬ kommen, weil seine Berliner Gesamtausstellung den Eindruck eines gemäßigten Rückschritts macht. In Dresden hat er freilich durch das Doppelbildnis seiner Eltern und ein Damenbildnis, bei denen sich Roheit der Auffassung und Roheit der malerischen Behandlung zu einer vollkommnen Harmonie vereinigen, die Besorgnisse seiner Verehrer etwas zerstreut. Aber sie fangen doch schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/432>, abgerufen am 24.07.2024.