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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die großen Uniistausstellungen des Jahres ^3H?

das willenlose Opfer des Photographen gewesen ist. Unter diesen Künstlern,
die zum großen Teil mehr durch die Masse ihrer Arbeiten, als durch die Kraft
ihrer Persönlichkeit wirken, sind in erster Reihe die vertreten, die immer und
für alles zu haben sind, weil ihr künstlerisches Gepäck immer mobil ist, immer
von einer Ausstellung zur andern reist. Zuvörderst die Zeichner der Münchner
Fliegenden Blätter und der illustrirten Blätter, die in Berlin erscheinen. Sie
sind in einem schweren Irrtum, wenn sie glauben, daß die Ausstellung ihrer
Originalzeichnungen nach deren Reproduktion noch irgend ein künstlerisches
Interesse errege. Sie arbeiten ja mit der reproduzirenden Technik in innigster
Gemeinschaft zusammen, sie müssen ihr in die Hand arbeiten, damit sie nur
alles klar und schon herausbringt, und so genießt der Kunstfreund, der jetzt
mit den Originalzeichnungen bekannt wird, die Enttäuschung, daß die Originale
in ihrer Größe und Leere langweilig wirken, obwohl ihn die verkleinerten
Kopien, die er vorher in den Zeitschriften gesehen hat, höchlich amüsirt haben.
Geheimnisse der Werkstatt vor dem großen Publikum zu enthüllen ist immer
gefährlich, selbst bei großen Künstlern.

Eine Ausnahme machen die beiden in Rom lebenden Spanier Jvsv
Venllinre y Gil und Josv Villcgas, zwei Männer, die uns den Gegensatz
zwischen romanischem und germanischem Knnsttempcrament so drastisch veran¬
schaulichen, wie es keine lange ästhetische Abhandlung vermöchte. Wir denken
dabei an die deutschen Maler der alten Überlieferung, nicht an die modernen,
die jedem fremdländischen Hansnarren nachlaufen und seine Manier nachahmen.
Diese beiden Spanier sind, wenn wir ein Gleichnis aus der Philosophie an¬
wenden dürfen, Anhänger der Empirie, der Synthese und der Analyse zugleich.
Ihre Einzelstudien heften sich mit gleichem Ernst an einen Stein, eine Mauer,
einen Stuhl, ein Kircheninneres, einen schmutzigen Straßenwinkel, sie setzen aus
diesen Studien eine Einheit zusammen, die dem Auge als eine Schöpfung
aus einem Guß, ohne Nähte, ohne Flickwerk erscheint, und in diesen Rahmen
stellen sie Menschen hinein, denen sie so tief in die Herzen zu sehen wissen,
wie es bei Romanen, die ihre Gesichtsmaske besser zu beherrschen wissen als
die Germanen, möglich ist. Sie begnügen sich auch meist mit neutralen Figuren
aus dem Volke oder mit Personen aus der Geschichte, bei denen man niemals
kontrolliren kann, wie tief die Charakteristik des Künstlers ist, und wie sie der
Wirklichkeit entspricht. Die Bildnismalerei im modernen Sinne, d. h. die
liefe psychologische Analyse eines Menschen, die sich in jedem Zuge seines
Antlitzes kundgeben soll, ist den modernen Spaniern und Italienern fremd.
Sie sind Realisten und begnügen sich mit der Wiedergabe dessen, was sie mit
gesunden Augen ohne tiefe psychologische Studien gesehen haben. Wenn man
aber die vornehme Haltung, die sich nicht allein in den Bildnisstndien, sondern
auch in den geschichtlichen Darstellungen von Villegas, Szenen ans der
venezianischen Dogengeschichte des fünfzehnten Jahrhunderts, kundgiebt, mit


Die großen Uniistausstellungen des Jahres ^3H?

das willenlose Opfer des Photographen gewesen ist. Unter diesen Künstlern,
die zum großen Teil mehr durch die Masse ihrer Arbeiten, als durch die Kraft
ihrer Persönlichkeit wirken, sind in erster Reihe die vertreten, die immer und
für alles zu haben sind, weil ihr künstlerisches Gepäck immer mobil ist, immer
von einer Ausstellung zur andern reist. Zuvörderst die Zeichner der Münchner
Fliegenden Blätter und der illustrirten Blätter, die in Berlin erscheinen. Sie
sind in einem schweren Irrtum, wenn sie glauben, daß die Ausstellung ihrer
Originalzeichnungen nach deren Reproduktion noch irgend ein künstlerisches
Interesse errege. Sie arbeiten ja mit der reproduzirenden Technik in innigster
Gemeinschaft zusammen, sie müssen ihr in die Hand arbeiten, damit sie nur
alles klar und schon herausbringt, und so genießt der Kunstfreund, der jetzt
mit den Originalzeichnungen bekannt wird, die Enttäuschung, daß die Originale
in ihrer Größe und Leere langweilig wirken, obwohl ihn die verkleinerten
Kopien, die er vorher in den Zeitschriften gesehen hat, höchlich amüsirt haben.
Geheimnisse der Werkstatt vor dem großen Publikum zu enthüllen ist immer
gefährlich, selbst bei großen Künstlern.

Eine Ausnahme machen die beiden in Rom lebenden Spanier Jvsv
Venllinre y Gil und Josv Villcgas, zwei Männer, die uns den Gegensatz
zwischen romanischem und germanischem Knnsttempcrament so drastisch veran¬
schaulichen, wie es keine lange ästhetische Abhandlung vermöchte. Wir denken
dabei an die deutschen Maler der alten Überlieferung, nicht an die modernen,
die jedem fremdländischen Hansnarren nachlaufen und seine Manier nachahmen.
Diese beiden Spanier sind, wenn wir ein Gleichnis aus der Philosophie an¬
wenden dürfen, Anhänger der Empirie, der Synthese und der Analyse zugleich.
Ihre Einzelstudien heften sich mit gleichem Ernst an einen Stein, eine Mauer,
einen Stuhl, ein Kircheninneres, einen schmutzigen Straßenwinkel, sie setzen aus
diesen Studien eine Einheit zusammen, die dem Auge als eine Schöpfung
aus einem Guß, ohne Nähte, ohne Flickwerk erscheint, und in diesen Rahmen
stellen sie Menschen hinein, denen sie so tief in die Herzen zu sehen wissen,
wie es bei Romanen, die ihre Gesichtsmaske besser zu beherrschen wissen als
die Germanen, möglich ist. Sie begnügen sich auch meist mit neutralen Figuren
aus dem Volke oder mit Personen aus der Geschichte, bei denen man niemals
kontrolliren kann, wie tief die Charakteristik des Künstlers ist, und wie sie der
Wirklichkeit entspricht. Die Bildnismalerei im modernen Sinne, d. h. die
liefe psychologische Analyse eines Menschen, die sich in jedem Zuge seines
Antlitzes kundgeben soll, ist den modernen Spaniern und Italienern fremd.
Sie sind Realisten und begnügen sich mit der Wiedergabe dessen, was sie mit
gesunden Augen ohne tiefe psychologische Studien gesehen haben. Wenn man
aber die vornehme Haltung, die sich nicht allein in den Bildnisstndien, sondern
auch in den geschichtlichen Darstellungen von Villegas, Szenen ans der
venezianischen Dogengeschichte des fünfzehnten Jahrhunderts, kundgiebt, mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/431>, abgerufen am 24.07.2024.