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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Jeremias Gotthelf

ist ganz einfach der tierische Zustand, wie er auch unter den Menschen nach
Aufhebung des Eigentums und der Ehe und Einführung der sogenannten
freien Liebe entstehen würde. Der Sozialismus jaar wolle bemerken, daß
Gotthelf nicht in den Fehler unsrer Streiter für Ordnung, Recht und Sittlichkeit
verfällt, Kommunismus und Sozialismus unterschiedslos durcheinanderzuwerfen^
will in das Grobe das Feine bringen, will die von Gott gegebnen Kräfte
ordnen, jeder Kraft die passende Arbeit anweisen und jeder Arbeit akkurat den
gehörigen Lohn, will die sichtbare Vorsehung sein und ergänzen die Ordnung
Gottes. Aber das geht halt nicht, wer will so etwas handhaben, wer will
den Blitz lenken, dem Sturm gebieten, dem Meere sagen, bis hierher und nicht
weiter, die Witterung verbessern, den Reif abschaffen, und den Mellau ver¬
bannen, und den Raupen die Erde verbieten, und Dreiecke und Kreise zeichnen
am Meeresufer und Flut und Wind gebieten, sie zu respektieren ewiglich?
Wir geben gern zu, daß große Unbill in der Welt ist, daß namentlich in
Fabrikländer an der Menschheit mächtig gefrevelt wird, und mancher Unbill
mag man durch Gesetze steuern so gut als dem Mord, dem Raub, dem Ehe¬
bruch usw., aber an die Quelle des Übels reicht des Menschen Macht nicht.
Zu ordnen, daß es weder Arme noch Reiche mehr giebt, das vermag der
Mensch nicht, denn die Armen habt ihr allezeit bei euch, hat Christus gesagt.
Daß man aber eben vergißt, was Christus gesagt, daß Fabrikherr und Fabrik¬
arbeiter das Heil nicht mehr bei Christo suchen, das Himmelreich nicht mehr
inwendig, sondern auswendig, daß Einzelne eine wilde Horde um sich sammeln,
um reich zu werden, und nicht daran denken, daß zahme Hunde am Ende doch
ihren Herrn fressen, wenn sie hungrig werden, darin liegt das Übel, und dies
heilt man nicht mit diesem, nicht mit jenem, mit keiner neuen Ordnung und
keinem neuen Heiland, sintemalen ein einziger Name uns gegeben ist, in welchem
wir sollen selig werden, der Name Jesus Christus. Dieser sagt uns, wo
das Übel liege: nicht in den Zuständen der Welt, sondern in den Zustünden
der Seele, nicht in der Armut, sondern in der Sünde, und nicht in Revolu¬
tionen ist das Heil, sondern in der Wiedergeburt des innern Menschen, denn
wer nicht wiedergeboren wird, der wird das Reich Gottes nicht sehen. Je
weiter man von Christus weicht, desto großer wird das Geschrei und Elend,
und begreiflich sind die größten Sünder am elendesten, schreien am lautesten,
sehen am wenigsten, wo das Heil ist, oder werden am frühesten der Hungrigen
Beute. Dies mag an gar manchem Orte geschehen, es mag fürchterlich zu¬
gehen an manchem Orte, aber mit dem Sozialismus beugt man nicht vor.
wan macht nur zwei Revolutionen statt einer. Erst zieht man die Reichen
aus, hat man keine Reichen mehr, so kehrt jeder das Schwert gegen den andern,
um selbst wieder reich zu werden, und dies trotz allen Einrichtungen und Ord¬
nungen der Menschen. ... Der sogenannte Sozialismus ist nichts als ein
schlechtes Surrogat für Christus, und Surrogate entstehen nur, wenn das


Jeremias Gotthelf

ist ganz einfach der tierische Zustand, wie er auch unter den Menschen nach
Aufhebung des Eigentums und der Ehe und Einführung der sogenannten
freien Liebe entstehen würde. Der Sozialismus jaar wolle bemerken, daß
Gotthelf nicht in den Fehler unsrer Streiter für Ordnung, Recht und Sittlichkeit
verfällt, Kommunismus und Sozialismus unterschiedslos durcheinanderzuwerfen^
will in das Grobe das Feine bringen, will die von Gott gegebnen Kräfte
ordnen, jeder Kraft die passende Arbeit anweisen und jeder Arbeit akkurat den
gehörigen Lohn, will die sichtbare Vorsehung sein und ergänzen die Ordnung
Gottes. Aber das geht halt nicht, wer will so etwas handhaben, wer will
den Blitz lenken, dem Sturm gebieten, dem Meere sagen, bis hierher und nicht
weiter, die Witterung verbessern, den Reif abschaffen, und den Mellau ver¬
bannen, und den Raupen die Erde verbieten, und Dreiecke und Kreise zeichnen
am Meeresufer und Flut und Wind gebieten, sie zu respektieren ewiglich?
Wir geben gern zu, daß große Unbill in der Welt ist, daß namentlich in
Fabrikländer an der Menschheit mächtig gefrevelt wird, und mancher Unbill
mag man durch Gesetze steuern so gut als dem Mord, dem Raub, dem Ehe¬
bruch usw., aber an die Quelle des Übels reicht des Menschen Macht nicht.
Zu ordnen, daß es weder Arme noch Reiche mehr giebt, das vermag der
Mensch nicht, denn die Armen habt ihr allezeit bei euch, hat Christus gesagt.
Daß man aber eben vergißt, was Christus gesagt, daß Fabrikherr und Fabrik¬
arbeiter das Heil nicht mehr bei Christo suchen, das Himmelreich nicht mehr
inwendig, sondern auswendig, daß Einzelne eine wilde Horde um sich sammeln,
um reich zu werden, und nicht daran denken, daß zahme Hunde am Ende doch
ihren Herrn fressen, wenn sie hungrig werden, darin liegt das Übel, und dies
heilt man nicht mit diesem, nicht mit jenem, mit keiner neuen Ordnung und
keinem neuen Heiland, sintemalen ein einziger Name uns gegeben ist, in welchem
wir sollen selig werden, der Name Jesus Christus. Dieser sagt uns, wo
das Übel liege: nicht in den Zuständen der Welt, sondern in den Zustünden
der Seele, nicht in der Armut, sondern in der Sünde, und nicht in Revolu¬
tionen ist das Heil, sondern in der Wiedergeburt des innern Menschen, denn
wer nicht wiedergeboren wird, der wird das Reich Gottes nicht sehen. Je
weiter man von Christus weicht, desto großer wird das Geschrei und Elend,
und begreiflich sind die größten Sünder am elendesten, schreien am lautesten,
sehen am wenigsten, wo das Heil ist, oder werden am frühesten der Hungrigen
Beute. Dies mag an gar manchem Orte geschehen, es mag fürchterlich zu¬
gehen an manchem Orte, aber mit dem Sozialismus beugt man nicht vor.
wan macht nur zwei Revolutionen statt einer. Erst zieht man die Reichen
aus, hat man keine Reichen mehr, so kehrt jeder das Schwert gegen den andern,
um selbst wieder reich zu werden, und dies trotz allen Einrichtungen und Ord¬
nungen der Menschen. ... Der sogenannte Sozialismus ist nichts als ein
schlechtes Surrogat für Christus, und Surrogate entstehen nur, wenn das


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[0421] Jeremias Gotthelf ist ganz einfach der tierische Zustand, wie er auch unter den Menschen nach Aufhebung des Eigentums und der Ehe und Einführung der sogenannten freien Liebe entstehen würde. Der Sozialismus jaar wolle bemerken, daß Gotthelf nicht in den Fehler unsrer Streiter für Ordnung, Recht und Sittlichkeit verfällt, Kommunismus und Sozialismus unterschiedslos durcheinanderzuwerfen^ will in das Grobe das Feine bringen, will die von Gott gegebnen Kräfte ordnen, jeder Kraft die passende Arbeit anweisen und jeder Arbeit akkurat den gehörigen Lohn, will die sichtbare Vorsehung sein und ergänzen die Ordnung Gottes. Aber das geht halt nicht, wer will so etwas handhaben, wer will den Blitz lenken, dem Sturm gebieten, dem Meere sagen, bis hierher und nicht weiter, die Witterung verbessern, den Reif abschaffen, und den Mellau ver¬ bannen, und den Raupen die Erde verbieten, und Dreiecke und Kreise zeichnen am Meeresufer und Flut und Wind gebieten, sie zu respektieren ewiglich? Wir geben gern zu, daß große Unbill in der Welt ist, daß namentlich in Fabrikländer an der Menschheit mächtig gefrevelt wird, und mancher Unbill mag man durch Gesetze steuern so gut als dem Mord, dem Raub, dem Ehe¬ bruch usw., aber an die Quelle des Übels reicht des Menschen Macht nicht. Zu ordnen, daß es weder Arme noch Reiche mehr giebt, das vermag der Mensch nicht, denn die Armen habt ihr allezeit bei euch, hat Christus gesagt. Daß man aber eben vergißt, was Christus gesagt, daß Fabrikherr und Fabrik¬ arbeiter das Heil nicht mehr bei Christo suchen, das Himmelreich nicht mehr inwendig, sondern auswendig, daß Einzelne eine wilde Horde um sich sammeln, um reich zu werden, und nicht daran denken, daß zahme Hunde am Ende doch ihren Herrn fressen, wenn sie hungrig werden, darin liegt das Übel, und dies heilt man nicht mit diesem, nicht mit jenem, mit keiner neuen Ordnung und keinem neuen Heiland, sintemalen ein einziger Name uns gegeben ist, in welchem wir sollen selig werden, der Name Jesus Christus. Dieser sagt uns, wo das Übel liege: nicht in den Zuständen der Welt, sondern in den Zustünden der Seele, nicht in der Armut, sondern in der Sünde, und nicht in Revolu¬ tionen ist das Heil, sondern in der Wiedergeburt des innern Menschen, denn wer nicht wiedergeboren wird, der wird das Reich Gottes nicht sehen. Je weiter man von Christus weicht, desto großer wird das Geschrei und Elend, und begreiflich sind die größten Sünder am elendesten, schreien am lautesten, sehen am wenigsten, wo das Heil ist, oder werden am frühesten der Hungrigen Beute. Dies mag an gar manchem Orte geschehen, es mag fürchterlich zu¬ gehen an manchem Orte, aber mit dem Sozialismus beugt man nicht vor. wan macht nur zwei Revolutionen statt einer. Erst zieht man die Reichen aus, hat man keine Reichen mehr, so kehrt jeder das Schwert gegen den andern, um selbst wieder reich zu werden, und dies trotz allen Einrichtungen und Ord¬ nungen der Menschen. ... Der sogenannte Sozialismus ist nichts als ein schlechtes Surrogat für Christus, und Surrogate entstehen nur, wenn das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/421>, abgerufen am 24.07.2024.