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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Aus unsrer Vstmark

andre Klasse, uleis der geistvolle und kenntnisreiche Dr. Witold von Skarzynski
in seiner mit Beschlag belegten beachtenswerten Broschüre 5!a82Z. sprava
(Unsre Angelegenheit), im Ärger über die Mißerfolge der bisherigen polnischen
"Politik des alten und des neuen Kurses," vor einigen Monaten gesagt hat:
"In der Politik sind wir Polen noch immer alte Weiber. Wie alte Weiber
können wir nur entweder schreiend protestiren oder greiueud jammern, entweder
in die Augen springen oder denen zu Füßen und in die Arme fallen, in denen
wir bisher unsre Feinde sahen; von der Opposition <zMiui uMn<z bis zum
byzantinischen Loyalismus ist für uns nur ein Schritt unter dem Einfluß eines
augenblicklichen Eindrucks." Die andern, die kleine Minderheit, die männlichen
Naturen, sind alles eher als Leute, die deu wechselnden Eindrücken des Augen¬
blicks erliegen und von der jeweiligen Lage in ihren Empfindungen und Ent¬
schlüssen bestimmt werden. Sie haben die Schule des Unglücks und der Jesuiten
mit Erfolg durchgemacht; sie predigen in ihren Blättern jeden Tag, daß die
Sprache dazu da sei, die Gedanken zu verbergen, daß reden und handeln sich
nicht zu decken brauche, daß man deu übermächtigen Gegner nicht reizen, sondern
täuschen müsse. Sie haben gelernt, nüchtern und verständig zu erwägen, weit¬
schichtige Pläne lange vorzubereiten, mit Umsicht und Zähigkeit auszuführen, die
Gegner zu übertölpeln und ihre Leichtgläubigkeit zu benützen. Sie haben schon
seit mehreren Jahren das Heft in den Händen und bestimmen die Richtung der
Polnischen Politik; auch bei den Wahlen des nächsten Jahres wird alles nach
ihrem Willen zugehen. Durch Mißerfolge lasten sie sich nicht entmutigen, sie
Pallirer während einer Capriviepisode und machen Opposition nach allen
Regeln der Kunst, wenn sie damit der Erreichung ihres Ziels, das nicht
genannt zu werden braucht, weil es jeder kennt, um einen Schritt näher zu
kommen hoffen. Kühl bis aus Herz hinan, wissen sie den Augenblick abzu¬
warten, wo sie ihre besiegten Besieger ü, 1a Badeni knechten werden.

Heute stehen wir hier im Osten im Zeichen des Kampfs. Angenommen,
so unwahrscheinlich es ist, die Bekenner der sogenannten Hofpartei, die
durch die Deklaration des Herrn von KomierowSki im Februar dieses Jahres
ihr eignes Ende ausgesprochen hat, hätten -- wie nach einiger Kenner Meinung
der Erzbischof von Stablewski, dem mit Mißtrauen und der Unterstellung ge¬
lohnt wird, er wolle "das polnische Volk durch die Geistlichkeit germanisiren" --
sämtlich an die Durchführbarkeit und Dauer der Versöhuungspolitik geglaubt:
heute glauben unzweifelhaft nur noch vereinzelte Polen, daß es lohne den
Faden der Bersöhnungspolitik weiter zu spinnen; in der Sache sind sie,
d- h- fast alle, längst darüber einig, daß eine schärfere Tonart anzuschlagen
und im Reichstag wie im Landtag Opposition zu machen sei. Sehr treffend
bemerkt Herr von Skarzynski, daß die Periode, die 1891 mit dem "Thorncr
Rausch," mit der Kandidatenrede des Herrn von Stablewski auf dem Katholiken¬
tage begann, schon 1894 mit der "Thorner Ernüchterung" infolge der Thorner


Aus unsrer Vstmark

andre Klasse, uleis der geistvolle und kenntnisreiche Dr. Witold von Skarzynski
in seiner mit Beschlag belegten beachtenswerten Broschüre 5!a82Z. sprava
(Unsre Angelegenheit), im Ärger über die Mißerfolge der bisherigen polnischen
„Politik des alten und des neuen Kurses," vor einigen Monaten gesagt hat:
»In der Politik sind wir Polen noch immer alte Weiber. Wie alte Weiber
können wir nur entweder schreiend protestiren oder greiueud jammern, entweder
in die Augen springen oder denen zu Füßen und in die Arme fallen, in denen
wir bisher unsre Feinde sahen; von der Opposition <zMiui uMn<z bis zum
byzantinischen Loyalismus ist für uns nur ein Schritt unter dem Einfluß eines
augenblicklichen Eindrucks." Die andern, die kleine Minderheit, die männlichen
Naturen, sind alles eher als Leute, die deu wechselnden Eindrücken des Augen¬
blicks erliegen und von der jeweiligen Lage in ihren Empfindungen und Ent¬
schlüssen bestimmt werden. Sie haben die Schule des Unglücks und der Jesuiten
mit Erfolg durchgemacht; sie predigen in ihren Blättern jeden Tag, daß die
Sprache dazu da sei, die Gedanken zu verbergen, daß reden und handeln sich
nicht zu decken brauche, daß man deu übermächtigen Gegner nicht reizen, sondern
täuschen müsse. Sie haben gelernt, nüchtern und verständig zu erwägen, weit¬
schichtige Pläne lange vorzubereiten, mit Umsicht und Zähigkeit auszuführen, die
Gegner zu übertölpeln und ihre Leichtgläubigkeit zu benützen. Sie haben schon
seit mehreren Jahren das Heft in den Händen und bestimmen die Richtung der
Polnischen Politik; auch bei den Wahlen des nächsten Jahres wird alles nach
ihrem Willen zugehen. Durch Mißerfolge lasten sie sich nicht entmutigen, sie
Pallirer während einer Capriviepisode und machen Opposition nach allen
Regeln der Kunst, wenn sie damit der Erreichung ihres Ziels, das nicht
genannt zu werden braucht, weil es jeder kennt, um einen Schritt näher zu
kommen hoffen. Kühl bis aus Herz hinan, wissen sie den Augenblick abzu¬
warten, wo sie ihre besiegten Besieger ü, 1a Badeni knechten werden.

Heute stehen wir hier im Osten im Zeichen des Kampfs. Angenommen,
so unwahrscheinlich es ist, die Bekenner der sogenannten Hofpartei, die
durch die Deklaration des Herrn von KomierowSki im Februar dieses Jahres
ihr eignes Ende ausgesprochen hat, hätten — wie nach einiger Kenner Meinung
der Erzbischof von Stablewski, dem mit Mißtrauen und der Unterstellung ge¬
lohnt wird, er wolle „das polnische Volk durch die Geistlichkeit germanisiren" —
sämtlich an die Durchführbarkeit und Dauer der Versöhuungspolitik geglaubt:
heute glauben unzweifelhaft nur noch vereinzelte Polen, daß es lohne den
Faden der Bersöhnungspolitik weiter zu spinnen; in der Sache sind sie,
d- h- fast alle, längst darüber einig, daß eine schärfere Tonart anzuschlagen
und im Reichstag wie im Landtag Opposition zu machen sei. Sehr treffend
bemerkt Herr von Skarzynski, daß die Periode, die 1891 mit dem „Thorncr
Rausch," mit der Kandidatenrede des Herrn von Stablewski auf dem Katholiken¬
tage begann, schon 1894 mit der „Thorner Ernüchterung" infolge der Thorner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/407>, abgerufen am 24.07.2024.