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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Aus unsrer Vstmark

schaftsinspektoren, Vögte und Schäfer ihr Brot, freilich oft genug um den
Preis des Opfers ihrer Nationalität und ihres -- den polnischen Frauen zu
Liebe gewechselten -- Glaubens fanden, sind heute fast durchweg Polen an
die Stelle der "Fremden" getreten, und auch auf deutschen Gütern werden
solche Stellen immer häufiger mit den billigern Polen besetzt, zumal da
Deutsche oft gar nicht zu haben sind. Das einträgliche Geschäft der Schänk-
wirte, die früher im Osten fast überall Juden oder Deutsche waren, ist heute,
namentlich in den polnischen Dörfern, vielfach schon in polnischen Händen.
Nach einer an vielen Orten gemachten Beobachtung haben die Polen während
der Leitung Stephans, der sich mit zunehmendem Alter immer eigensinniger
gegen wohlgemeinte Warnungen verschloß, unter den Postunterbeamten, ebenso
unter den Unterbeamten und den nach Tausenden zählenden Arbeitern der
Staatsbahncn an Zahl sehr zugenommen.

Der früher sich schnell vollziehende Übergang polnischer Güter, der in
Westpreußen fast beendet"') war, und polnischer Bauernwirtschaften in deutsche
Hände ist seit den Rentengütergesetzen merklich ins Stocken gekommen. Unzählige
deutsche Besitzer, die ihre Güter in der Zeit der landwirtschaftlichen Hauffe
zu teuer gekauft haben, möchten sie heute gern, selbst mit Verlust, veräußern;
gewaltige Summen gehen bei diesen Verkäufen, freiwilligen wie sud Imso,
verloren, weil die Bodenpreise seit dem Anfang der achtziger Jahre um ein
Drittel gesunken sind. Die Ansiedlungskommission erhält heute überwiegend
von Deutschen Verkaufsangebote und kauft überwiegend von Deutschen; einige,
selbst gut situirte, haben schon an Polen verkauft. Als der in der Versenkung
der politischen Schaubühne etwas plötzlich verschwundne Herr von Koscielski
die Millionen seines Oheims, des ehemaligen türkischen Paschas, erbte, wurden
ihm deutsche Herrschaften in Menge unter höchst seltsamen Begründungen zum
Kauf angeboten. Der polnische Bauer kauft heute, was noch vor zwanzig
Jahren unglaublich und unmöglich war, schon den deutschen aus und dringt in
Dörfer ein, die bis dahin rein deutsch waren. Von seinem Propst in strenge
Zucht genommen und von dem deutschen Staat mit einer guten Schulbildung
ausgestattet, kommt er vorwärts, weil er leicht Kredit erhält, wozu neuerdings
die Zentralgenossenschaftskasse beiträgt, und dadurch vor dem ewigen Geschröpft¬
werden durch die Wucherer, die alte Landplage der slawischen Völker, bewahrt
wird. Das polnische Sprichwort, das für den galizischen Bauern in vollem
Umfange gelten mag: "Dem Bauern gehört nichts als das, was er vertrinkt,"
hat auf ihn keine Anwendung mehr. Während die Ansiedlungskommission mit
ihrer auf die peinliche Prüfung durch die Oberrechnungskammer bureaukratisch
zugeschnittnen Geschäftsführung im Jahre durchschnittlich 200 Ansiedler mit
1000 Angehörigen in beiden Provinzen ansetzt, sind die Laute uisinM, die



") Der Anteil der Polen am Großgrundbesitz beträgt in Westpreußen etwa v bis 7, in Pos
!!5 Prozent; in Oberschlesien giebt es einen polnischen Adel nicht mehr.
Aus unsrer Vstmark

schaftsinspektoren, Vögte und Schäfer ihr Brot, freilich oft genug um den
Preis des Opfers ihrer Nationalität und ihres — den polnischen Frauen zu
Liebe gewechselten — Glaubens fanden, sind heute fast durchweg Polen an
die Stelle der „Fremden" getreten, und auch auf deutschen Gütern werden
solche Stellen immer häufiger mit den billigern Polen besetzt, zumal da
Deutsche oft gar nicht zu haben sind. Das einträgliche Geschäft der Schänk-
wirte, die früher im Osten fast überall Juden oder Deutsche waren, ist heute,
namentlich in den polnischen Dörfern, vielfach schon in polnischen Händen.
Nach einer an vielen Orten gemachten Beobachtung haben die Polen während
der Leitung Stephans, der sich mit zunehmendem Alter immer eigensinniger
gegen wohlgemeinte Warnungen verschloß, unter den Postunterbeamten, ebenso
unter den Unterbeamten und den nach Tausenden zählenden Arbeitern der
Staatsbahncn an Zahl sehr zugenommen.

Der früher sich schnell vollziehende Übergang polnischer Güter, der in
Westpreußen fast beendet"') war, und polnischer Bauernwirtschaften in deutsche
Hände ist seit den Rentengütergesetzen merklich ins Stocken gekommen. Unzählige
deutsche Besitzer, die ihre Güter in der Zeit der landwirtschaftlichen Hauffe
zu teuer gekauft haben, möchten sie heute gern, selbst mit Verlust, veräußern;
gewaltige Summen gehen bei diesen Verkäufen, freiwilligen wie sud Imso,
verloren, weil die Bodenpreise seit dem Anfang der achtziger Jahre um ein
Drittel gesunken sind. Die Ansiedlungskommission erhält heute überwiegend
von Deutschen Verkaufsangebote und kauft überwiegend von Deutschen; einige,
selbst gut situirte, haben schon an Polen verkauft. Als der in der Versenkung
der politischen Schaubühne etwas plötzlich verschwundne Herr von Koscielski
die Millionen seines Oheims, des ehemaligen türkischen Paschas, erbte, wurden
ihm deutsche Herrschaften in Menge unter höchst seltsamen Begründungen zum
Kauf angeboten. Der polnische Bauer kauft heute, was noch vor zwanzig
Jahren unglaublich und unmöglich war, schon den deutschen aus und dringt in
Dörfer ein, die bis dahin rein deutsch waren. Von seinem Propst in strenge
Zucht genommen und von dem deutschen Staat mit einer guten Schulbildung
ausgestattet, kommt er vorwärts, weil er leicht Kredit erhält, wozu neuerdings
die Zentralgenossenschaftskasse beiträgt, und dadurch vor dem ewigen Geschröpft¬
werden durch die Wucherer, die alte Landplage der slawischen Völker, bewahrt
wird. Das polnische Sprichwort, das für den galizischen Bauern in vollem
Umfange gelten mag: „Dem Bauern gehört nichts als das, was er vertrinkt,"
hat auf ihn keine Anwendung mehr. Während die Ansiedlungskommission mit
ihrer auf die peinliche Prüfung durch die Oberrechnungskammer bureaukratisch
zugeschnittnen Geschäftsführung im Jahre durchschnittlich 200 Ansiedler mit
1000 Angehörigen in beiden Provinzen ansetzt, sind die Laute uisinM, die



") Der Anteil der Polen am Großgrundbesitz beträgt in Westpreußen etwa v bis 7, in Pos
!!5 Prozent; in Oberschlesien giebt es einen polnischen Adel nicht mehr.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/402>, abgerufen am 24.07.2024.