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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Aus unsrer Dstmark

Arbeitsamkeit und Nüchternheit, an und überlassen ihnen dafür gern ihre
angestammten Nationallaster, Unsoliditcit und Wortbrüchigkeit. Die deutschen
Erwerbsstände verfallen leider vielfach in Wohlleben und Müßiggang, büßen
ihre Tüchtigkeit ein, gehen in ihren Leistungen zurück und schließlich zu Grunde.
In fünf von den neun größern Städten Posens mit mehr als 10000 Ein¬
wohnern, in Bromberg, Gnesen, Jnowrazlaw, Krotoschin und Schneidemühl,
haben sich zwar während des Jahrzehnts 1885 bis 1895 die Evangelischen
nicht minder stark, sogar stärker als die Katholiken vermehrt; das erklärt sich
aber wohl daraus, daß hier die überwiegend aus evangelischen Mannschaften
bestehenden Garnisonen bedeutend verstärkt worden sind, woraus sich überhaupt
zum nicht geringen Teil das Anwachsen der Evangelischen der Provinz während
dieses Zeitraums um 28000 Köpfe erklärt, wie andrerseits von diesen 28000
nachweisbar 6000 durch die Ansiedlungskommission von auswärts in die Provinz
gezogne Ansiedler sind. Wie gering ist da das natürliche Anwachsen der orts¬
angesessenen evangelischen Bevölkerung, wie massenhaft das Abströmen des
Überschusses der immerhin recht zahlreichen Geburten über die Todesfälle ge¬
wesen, zumal da noch immer, wenn auch in der letzten Zeit spärlicher, deutsche
Landwirte zuwandern!

Ganze Berufe werden von den Polen okkupirt. Dank dem seit einem
halben Jahrhundert unermüdlich thätigen Marcinkowskischen Verein sind
die Polen schon sehr zahlreich unter der sogenannten Intelligenz vertreten;
zahlreich sind vor allem die polnischen Geistlichen, dann die Rechtsanwälte,
Arzte, Apotheker und Droguisten, nnter den Handarbeitern -- von den pol¬
nischen Schuhmachern und Schneidern zu schweigen -- die polnischen Schrift¬
setzer und Kellner. Noch vor wenigen Jahrzehnten waren die Kellner meist
Deutsche; heute sind die Deutschen unter ihnen die Ausnahme. Der teurere
deutsche Kellner ist westwärts gezogen, der anspruchslosere und fügsamere pol¬
nische in die Lücke getreten. In Handwerk und Kaufmannschaft ist der Nach¬
wuchs überwiegend polnisch, selbst in den bisher deutschen Gegenden, zunächst
M den deutschen Nachbarprovinzen, in die das Polentum mit der ganzen Wucht
seiner Expansivkraft nach wohlerwognem Plane eindringt. Um die polnische
Kundschaft festzuhalten, hält der deutsche Kaufmann polnische Verkäufer und
Geschäftsführer, lernt selber polnisch und wirft sich weg, indem er vor pol¬
nischen Ohren auf die Hakatisten schimpft, selbst in ganz deutschen Orten, wie
Danzig. wo 1893 erst 4000 Polen, meist der untern Klassen, gezählt wurden,
^n seiner Kurzsichtigkeit sieht er nicht, daß er sich seine eignen Konkurrenten
um den Preis einer Kundschaft groß zieht, deren Nest ihm doch nur für die
kurze Zeit treu bleibt, bis die polnische Konkurrenz erstarkt und leistungsfähig
geworden ist.

Auf dem Lande, wo früher bei polnischen Großgrundbesitzern gelernte
deutsche Arbeiter, z. B. Stellmacher, Gärtner und Schmiede, deutsche Wirt-


Grenzboten III 1897
Aus unsrer Dstmark

Arbeitsamkeit und Nüchternheit, an und überlassen ihnen dafür gern ihre
angestammten Nationallaster, Unsoliditcit und Wortbrüchigkeit. Die deutschen
Erwerbsstände verfallen leider vielfach in Wohlleben und Müßiggang, büßen
ihre Tüchtigkeit ein, gehen in ihren Leistungen zurück und schließlich zu Grunde.
In fünf von den neun größern Städten Posens mit mehr als 10000 Ein¬
wohnern, in Bromberg, Gnesen, Jnowrazlaw, Krotoschin und Schneidemühl,
haben sich zwar während des Jahrzehnts 1885 bis 1895 die Evangelischen
nicht minder stark, sogar stärker als die Katholiken vermehrt; das erklärt sich
aber wohl daraus, daß hier die überwiegend aus evangelischen Mannschaften
bestehenden Garnisonen bedeutend verstärkt worden sind, woraus sich überhaupt
zum nicht geringen Teil das Anwachsen der Evangelischen der Provinz während
dieses Zeitraums um 28000 Köpfe erklärt, wie andrerseits von diesen 28000
nachweisbar 6000 durch die Ansiedlungskommission von auswärts in die Provinz
gezogne Ansiedler sind. Wie gering ist da das natürliche Anwachsen der orts¬
angesessenen evangelischen Bevölkerung, wie massenhaft das Abströmen des
Überschusses der immerhin recht zahlreichen Geburten über die Todesfälle ge¬
wesen, zumal da noch immer, wenn auch in der letzten Zeit spärlicher, deutsche
Landwirte zuwandern!

Ganze Berufe werden von den Polen okkupirt. Dank dem seit einem
halben Jahrhundert unermüdlich thätigen Marcinkowskischen Verein sind
die Polen schon sehr zahlreich unter der sogenannten Intelligenz vertreten;
zahlreich sind vor allem die polnischen Geistlichen, dann die Rechtsanwälte,
Arzte, Apotheker und Droguisten, nnter den Handarbeitern — von den pol¬
nischen Schuhmachern und Schneidern zu schweigen — die polnischen Schrift¬
setzer und Kellner. Noch vor wenigen Jahrzehnten waren die Kellner meist
Deutsche; heute sind die Deutschen unter ihnen die Ausnahme. Der teurere
deutsche Kellner ist westwärts gezogen, der anspruchslosere und fügsamere pol¬
nische in die Lücke getreten. In Handwerk und Kaufmannschaft ist der Nach¬
wuchs überwiegend polnisch, selbst in den bisher deutschen Gegenden, zunächst
M den deutschen Nachbarprovinzen, in die das Polentum mit der ganzen Wucht
seiner Expansivkraft nach wohlerwognem Plane eindringt. Um die polnische
Kundschaft festzuhalten, hält der deutsche Kaufmann polnische Verkäufer und
Geschäftsführer, lernt selber polnisch und wirft sich weg, indem er vor pol¬
nischen Ohren auf die Hakatisten schimpft, selbst in ganz deutschen Orten, wie
Danzig. wo 1893 erst 4000 Polen, meist der untern Klassen, gezählt wurden,
^n seiner Kurzsichtigkeit sieht er nicht, daß er sich seine eignen Konkurrenten
um den Preis einer Kundschaft groß zieht, deren Nest ihm doch nur für die
kurze Zeit treu bleibt, bis die polnische Konkurrenz erstarkt und leistungsfähig
geworden ist.

Auf dem Lande, wo früher bei polnischen Großgrundbesitzern gelernte
deutsche Arbeiter, z. B. Stellmacher, Gärtner und Schmiede, deutsche Wirt-


Grenzboten III 1897
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[0401] Aus unsrer Dstmark Arbeitsamkeit und Nüchternheit, an und überlassen ihnen dafür gern ihre angestammten Nationallaster, Unsoliditcit und Wortbrüchigkeit. Die deutschen Erwerbsstände verfallen leider vielfach in Wohlleben und Müßiggang, büßen ihre Tüchtigkeit ein, gehen in ihren Leistungen zurück und schließlich zu Grunde. In fünf von den neun größern Städten Posens mit mehr als 10000 Ein¬ wohnern, in Bromberg, Gnesen, Jnowrazlaw, Krotoschin und Schneidemühl, haben sich zwar während des Jahrzehnts 1885 bis 1895 die Evangelischen nicht minder stark, sogar stärker als die Katholiken vermehrt; das erklärt sich aber wohl daraus, daß hier die überwiegend aus evangelischen Mannschaften bestehenden Garnisonen bedeutend verstärkt worden sind, woraus sich überhaupt zum nicht geringen Teil das Anwachsen der Evangelischen der Provinz während dieses Zeitraums um 28000 Köpfe erklärt, wie andrerseits von diesen 28000 nachweisbar 6000 durch die Ansiedlungskommission von auswärts in die Provinz gezogne Ansiedler sind. Wie gering ist da das natürliche Anwachsen der orts¬ angesessenen evangelischen Bevölkerung, wie massenhaft das Abströmen des Überschusses der immerhin recht zahlreichen Geburten über die Todesfälle ge¬ wesen, zumal da noch immer, wenn auch in der letzten Zeit spärlicher, deutsche Landwirte zuwandern! Ganze Berufe werden von den Polen okkupirt. Dank dem seit einem halben Jahrhundert unermüdlich thätigen Marcinkowskischen Verein sind die Polen schon sehr zahlreich unter der sogenannten Intelligenz vertreten; zahlreich sind vor allem die polnischen Geistlichen, dann die Rechtsanwälte, Arzte, Apotheker und Droguisten, nnter den Handarbeitern — von den pol¬ nischen Schuhmachern und Schneidern zu schweigen — die polnischen Schrift¬ setzer und Kellner. Noch vor wenigen Jahrzehnten waren die Kellner meist Deutsche; heute sind die Deutschen unter ihnen die Ausnahme. Der teurere deutsche Kellner ist westwärts gezogen, der anspruchslosere und fügsamere pol¬ nische in die Lücke getreten. In Handwerk und Kaufmannschaft ist der Nach¬ wuchs überwiegend polnisch, selbst in den bisher deutschen Gegenden, zunächst M den deutschen Nachbarprovinzen, in die das Polentum mit der ganzen Wucht seiner Expansivkraft nach wohlerwognem Plane eindringt. Um die polnische Kundschaft festzuhalten, hält der deutsche Kaufmann polnische Verkäufer und Geschäftsführer, lernt selber polnisch und wirft sich weg, indem er vor pol¬ nischen Ohren auf die Hakatisten schimpft, selbst in ganz deutschen Orten, wie Danzig. wo 1893 erst 4000 Polen, meist der untern Klassen, gezählt wurden, ^n seiner Kurzsichtigkeit sieht er nicht, daß er sich seine eignen Konkurrenten um den Preis einer Kundschaft groß zieht, deren Nest ihm doch nur für die kurze Zeit treu bleibt, bis die polnische Konkurrenz erstarkt und leistungsfähig geworden ist. Auf dem Lande, wo früher bei polnischen Großgrundbesitzern gelernte deutsche Arbeiter, z. B. Stellmacher, Gärtner und Schmiede, deutsche Wirt- Grenzboten III 1897

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/401>, abgerufen am 24.07.2024.