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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zur Psychologie der Tierspiele

theoretische Aufmerksamkeit als die auf eine Jdeenassoziation gerichtete von
praktischer oder motorischer, auf eine Bewegung gerichteter und ästhetischer,
auf einen Gefühlserguß gerichteter Aufmerksamkeit unterscheidet. Wir kennen
Züge der Neugier von Affen, Hunden, Kühen, Pferden, Ziegen, Katzen; eine
reizende hierher gehörige Geschichte erzählt Beckmann von dem schon erwähnten
Waschbären, der mit einem Dachs auf Neckfuß lebte. "Eines Tages ward es
dem Dachse doch zu arg, er sprang grunzend auf und rollte verdrießlich in
seinen Bau. Der Hitze wegen streckte er den Kopf aber bald wieder aus der
engen Höhle heraus und schlief in dieser Lage ein. Der Schupp sah augen¬
blicklich ein, daß er seinem Freunde die üblichen Aufmerksamkeiten in dieser
Stellung unmöglich erweisen konnte, und wollte eben den Heimweg antreten,
als der Dachs zufällig erwachte und, seineu Peiniger gewahrend, das schmale,
rote Maul sperrweit aufriß. Dies erfüllte unsern Schupp dermaßen mit Ver¬
wunderung, daß er sofort umkehrte, um die weißen Zahureihen Grimmbarts
von allen Seiten zu betrachten. Unbeweglich verharrte der Dachs in seiner
Stellung und steigerte hierdurch die Neugierde des Waschbürs aufs äußerste.
Endlich wagte der Schupp, dem Dachse vorsichtig von oben herab mit der
Pfote auf die Nase zu tippen -- vergebens, Grimmbart rührte sich nicht.
Der Waschbär schien diese Veränderung im Wesen seines Gefährten gar nicht
begreifen zu können, seine Ungeduld wuchs mit jedem Augenblicke, er mußte
sich um jeden Preis Aufklärung verschaffen. Unruhig trat er eine Weile hin
und her, augenscheinlich unschlüssig, ob er seine empfindlichen Pfoten oder seiue
Nase bei dieser Untersuchung aufs Spiel setzen solle. Endlich entschied er sich
für letzteres und fuhr plötzlich mit seiner spitzen Schnauze tief in den offnen
Nachen des Dachses. Das folgende ist leicht zu erraten. Grimmbart klappte
feine Kinnladen zusammen, der Waschbär saß in der Klemme und quiekte und
zappelte wie eine gefaugue Ratte. Nach heftigem Toben und Gestrampel ge¬
lang es ihm endlich, die bluttriefende Schnauze der unerbittlichen Falle des
Dachses zu entreißen, worauf er zornig schnaufend über Kopf und Hals in
seiue Hütte flüchtete. Diese Lehre blieb ihm lange im Gedächtnis, und so oft
er an dem Dachsbau vorüberging, fuhr er unwillkürlich mit der Tatze über
die Nase." Spielend ausgeübter praktischer Aufmerksamkeit (die Katze auf der
Lauer) sowohl wie theoretischer Aufmerksamkeit spielartigen Charakters sind
Tiere fähig; ob auch ästhetischer Neugier? Groos erinnert zur Beantwortung
dieser Frage an eine Erscheinung, in der Schopenhauer die menschlichste Eigen¬
schaft sah, die sich bei Tieren finde: den zum Fenster hinausschauenden Hund.

Wir übergehen das interessante Kapitel, in dem Groos die Liebesspiele
der Tiere im Zusammenhang behandelt, um noch mit einem Wort auf seine
Einleitungs- und Schlußkapitel zu kommen. Das Spiel entsteht nicht aus
Kraftüberschuß (Schiller. Herbert, Spencer), sondern ist eine "Bethätigung von
Instinkten, zu der der eigentliche reale Anlaß, auf den sie berechnet sind, fehlt."


Zur Psychologie der Tierspiele

theoretische Aufmerksamkeit als die auf eine Jdeenassoziation gerichtete von
praktischer oder motorischer, auf eine Bewegung gerichteter und ästhetischer,
auf einen Gefühlserguß gerichteter Aufmerksamkeit unterscheidet. Wir kennen
Züge der Neugier von Affen, Hunden, Kühen, Pferden, Ziegen, Katzen; eine
reizende hierher gehörige Geschichte erzählt Beckmann von dem schon erwähnten
Waschbären, der mit einem Dachs auf Neckfuß lebte. „Eines Tages ward es
dem Dachse doch zu arg, er sprang grunzend auf und rollte verdrießlich in
seinen Bau. Der Hitze wegen streckte er den Kopf aber bald wieder aus der
engen Höhle heraus und schlief in dieser Lage ein. Der Schupp sah augen¬
blicklich ein, daß er seinem Freunde die üblichen Aufmerksamkeiten in dieser
Stellung unmöglich erweisen konnte, und wollte eben den Heimweg antreten,
als der Dachs zufällig erwachte und, seineu Peiniger gewahrend, das schmale,
rote Maul sperrweit aufriß. Dies erfüllte unsern Schupp dermaßen mit Ver¬
wunderung, daß er sofort umkehrte, um die weißen Zahureihen Grimmbarts
von allen Seiten zu betrachten. Unbeweglich verharrte der Dachs in seiner
Stellung und steigerte hierdurch die Neugierde des Waschbürs aufs äußerste.
Endlich wagte der Schupp, dem Dachse vorsichtig von oben herab mit der
Pfote auf die Nase zu tippen — vergebens, Grimmbart rührte sich nicht.
Der Waschbär schien diese Veränderung im Wesen seines Gefährten gar nicht
begreifen zu können, seine Ungeduld wuchs mit jedem Augenblicke, er mußte
sich um jeden Preis Aufklärung verschaffen. Unruhig trat er eine Weile hin
und her, augenscheinlich unschlüssig, ob er seine empfindlichen Pfoten oder seiue
Nase bei dieser Untersuchung aufs Spiel setzen solle. Endlich entschied er sich
für letzteres und fuhr plötzlich mit seiner spitzen Schnauze tief in den offnen
Nachen des Dachses. Das folgende ist leicht zu erraten. Grimmbart klappte
feine Kinnladen zusammen, der Waschbär saß in der Klemme und quiekte und
zappelte wie eine gefaugue Ratte. Nach heftigem Toben und Gestrampel ge¬
lang es ihm endlich, die bluttriefende Schnauze der unerbittlichen Falle des
Dachses zu entreißen, worauf er zornig schnaufend über Kopf und Hals in
seiue Hütte flüchtete. Diese Lehre blieb ihm lange im Gedächtnis, und so oft
er an dem Dachsbau vorüberging, fuhr er unwillkürlich mit der Tatze über
die Nase." Spielend ausgeübter praktischer Aufmerksamkeit (die Katze auf der
Lauer) sowohl wie theoretischer Aufmerksamkeit spielartigen Charakters sind
Tiere fähig; ob auch ästhetischer Neugier? Groos erinnert zur Beantwortung
dieser Frage an eine Erscheinung, in der Schopenhauer die menschlichste Eigen¬
schaft sah, die sich bei Tieren finde: den zum Fenster hinausschauenden Hund.

Wir übergehen das interessante Kapitel, in dem Groos die Liebesspiele
der Tiere im Zusammenhang behandelt, um noch mit einem Wort auf seine
Einleitungs- und Schlußkapitel zu kommen. Das Spiel entsteht nicht aus
Kraftüberschuß (Schiller. Herbert, Spencer), sondern ist eine „Bethätigung von
Instinkten, zu der der eigentliche reale Anlaß, auf den sie berechnet sind, fehlt."


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[0040] Zur Psychologie der Tierspiele theoretische Aufmerksamkeit als die auf eine Jdeenassoziation gerichtete von praktischer oder motorischer, auf eine Bewegung gerichteter und ästhetischer, auf einen Gefühlserguß gerichteter Aufmerksamkeit unterscheidet. Wir kennen Züge der Neugier von Affen, Hunden, Kühen, Pferden, Ziegen, Katzen; eine reizende hierher gehörige Geschichte erzählt Beckmann von dem schon erwähnten Waschbären, der mit einem Dachs auf Neckfuß lebte. „Eines Tages ward es dem Dachse doch zu arg, er sprang grunzend auf und rollte verdrießlich in seinen Bau. Der Hitze wegen streckte er den Kopf aber bald wieder aus der engen Höhle heraus und schlief in dieser Lage ein. Der Schupp sah augen¬ blicklich ein, daß er seinem Freunde die üblichen Aufmerksamkeiten in dieser Stellung unmöglich erweisen konnte, und wollte eben den Heimweg antreten, als der Dachs zufällig erwachte und, seineu Peiniger gewahrend, das schmale, rote Maul sperrweit aufriß. Dies erfüllte unsern Schupp dermaßen mit Ver¬ wunderung, daß er sofort umkehrte, um die weißen Zahureihen Grimmbarts von allen Seiten zu betrachten. Unbeweglich verharrte der Dachs in seiner Stellung und steigerte hierdurch die Neugierde des Waschbürs aufs äußerste. Endlich wagte der Schupp, dem Dachse vorsichtig von oben herab mit der Pfote auf die Nase zu tippen — vergebens, Grimmbart rührte sich nicht. Der Waschbär schien diese Veränderung im Wesen seines Gefährten gar nicht begreifen zu können, seine Ungeduld wuchs mit jedem Augenblicke, er mußte sich um jeden Preis Aufklärung verschaffen. Unruhig trat er eine Weile hin und her, augenscheinlich unschlüssig, ob er seine empfindlichen Pfoten oder seiue Nase bei dieser Untersuchung aufs Spiel setzen solle. Endlich entschied er sich für letzteres und fuhr plötzlich mit seiner spitzen Schnauze tief in den offnen Nachen des Dachses. Das folgende ist leicht zu erraten. Grimmbart klappte feine Kinnladen zusammen, der Waschbär saß in der Klemme und quiekte und zappelte wie eine gefaugue Ratte. Nach heftigem Toben und Gestrampel ge¬ lang es ihm endlich, die bluttriefende Schnauze der unerbittlichen Falle des Dachses zu entreißen, worauf er zornig schnaufend über Kopf und Hals in seiue Hütte flüchtete. Diese Lehre blieb ihm lange im Gedächtnis, und so oft er an dem Dachsbau vorüberging, fuhr er unwillkürlich mit der Tatze über die Nase." Spielend ausgeübter praktischer Aufmerksamkeit (die Katze auf der Lauer) sowohl wie theoretischer Aufmerksamkeit spielartigen Charakters sind Tiere fähig; ob auch ästhetischer Neugier? Groos erinnert zur Beantwortung dieser Frage an eine Erscheinung, in der Schopenhauer die menschlichste Eigen¬ schaft sah, die sich bei Tieren finde: den zum Fenster hinausschauenden Hund. Wir übergehen das interessante Kapitel, in dem Groos die Liebesspiele der Tiere im Zusammenhang behandelt, um noch mit einem Wort auf seine Einleitungs- und Schlußkapitel zu kommen. Das Spiel entsteht nicht aus Kraftüberschuß (Schiller. Herbert, Spencer), sondern ist eine „Bethätigung von Instinkten, zu der der eigentliche reale Anlaß, auf den sie berechnet sind, fehlt."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/40>, abgerufen am 29.12.2024.