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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Jakob Burckhardt

kommnen, Vergnügen erweckenden Ausdruck für ihre wissenschaftlichen Gedanken
erreicht. Diese äußere Eigenschaft seines Stils beruht erstens auf der Hcrzens-
eigenschaft eines wirklich liebenswürdigen Menschen, dann aber ist sie auch die
Folge des immerwährenden Lernens, eines ungeheuern Fleißes und eines
erstaunlich umfangreichen Wissens. Scheinwissen bläht auf. wahres Wissen
macht bescheiden, und es wird wohl richtig sein, wenn man alles erwägt, daß
für Vurckhardts wissenschaftliche Entwicklung der enge Wirkungskreis in der
kunstreichen, gebildeten Stadt Basel das beste war.

Unter den nun schou lange nicht mehr lebenden deutschen Forschern auf
dem Gebiete der nachantiken Kunst werden drei wohl bei der Nachwelt einen
annähernd gleichen Rang behaupten: Waagen durch die ungeheure Masse
des von ihm, ohne Unterschied der Gattungen und der Länder, im Original
Gesehenen, Verzeichneten und Beschriebnen, Franz Kugler. insofern er das
ganze Gebände der Kunstgeschichte unter Dach und Fach brachte, und Schnaase,
der die kulturgeschichtlichen Zusammenhänge überall aufgedeckt hat. Zu ihnen
kommt nun als vierter der etwas jüngere mit einem ganz bestimmten Fache,
für das er eine Naturanlage mitbrachte (ein Basler Freund spricht von einer
natürlichen Vorliebe bei ihm "für alles runde und romanische"), und das zu
fördern ihn die äußern Verhältnisse vorzugsweise befähigten, denn dem Schweizer
liegt ja Italien gewissermaßen vor der Thür seines Hauses. Sein Arbeits¬
gebiet ist äußerlich enger umgrenzt, als das der drei andern, aber, so wie er
es betreibt, allseitig vertieft, ist es nicht kleiner an Menge des zu bewältigenden
Stoffes. Er pflegt ja immer nnr sorgsam die Lücken seiner Kenntnis dem
Leser in seinen Büchern anzugeben, von dem Umfange aber und den gewaltigen
Fundamenten seines Wissens nicht viel Aufhebens zu machen. Auch die schon
früher hervorgchobne gefällige Form kann leicht vernnlasfcn, die dahinter ver¬
steckte Arbeit geringer zu achten, als sie ist. Wer das alles erwägt, der wird,
wenn er sich mit Vurckhardts Büchern etwas näher vertraut gemacht hat,
wahrscheinlich den Eindruck erhalten, daß sein Wissen noch weit größer war
als das seiner Vorgänger. Aber er war unter allen vieren auch der originellste
Geist, er allein von ihnen wird also, wenn man das Wort einmal in seinem
vollen Sinne gebrauchen will, der "große" Manu genannt werden können.
Da aber die Genies bekanntlich nicht so dicht gesät werden, daß auf jedes
wissenschaftliche Fach aller hundert Jahre eins käme, so werden wir uns auch
seine Wirkung als viel weiter reichend vorstellen müssen, als es nach den
Worten der Basler Rede geschehen könnte, oder, da wir diese Sorge am besten
unsern Nachkommen selbst überlassen, so wollen wir lieber einfach sagen, daß
wir Vurckhardts wissenschaftliche Bedeutung noch höher anschlagen, als der
Redner der Universität.

Jakob Burckhardt galt schon früh für eine der Berühmtheiten von Basel,
war aber selbst am wenigsten froh darüber, daß sich diese Auszeichnung in


Jakob Burckhardt

kommnen, Vergnügen erweckenden Ausdruck für ihre wissenschaftlichen Gedanken
erreicht. Diese äußere Eigenschaft seines Stils beruht erstens auf der Hcrzens-
eigenschaft eines wirklich liebenswürdigen Menschen, dann aber ist sie auch die
Folge des immerwährenden Lernens, eines ungeheuern Fleißes und eines
erstaunlich umfangreichen Wissens. Scheinwissen bläht auf. wahres Wissen
macht bescheiden, und es wird wohl richtig sein, wenn man alles erwägt, daß
für Vurckhardts wissenschaftliche Entwicklung der enge Wirkungskreis in der
kunstreichen, gebildeten Stadt Basel das beste war.

Unter den nun schou lange nicht mehr lebenden deutschen Forschern auf
dem Gebiete der nachantiken Kunst werden drei wohl bei der Nachwelt einen
annähernd gleichen Rang behaupten: Waagen durch die ungeheure Masse
des von ihm, ohne Unterschied der Gattungen und der Länder, im Original
Gesehenen, Verzeichneten und Beschriebnen, Franz Kugler. insofern er das
ganze Gebände der Kunstgeschichte unter Dach und Fach brachte, und Schnaase,
der die kulturgeschichtlichen Zusammenhänge überall aufgedeckt hat. Zu ihnen
kommt nun als vierter der etwas jüngere mit einem ganz bestimmten Fache,
für das er eine Naturanlage mitbrachte (ein Basler Freund spricht von einer
natürlichen Vorliebe bei ihm „für alles runde und romanische"), und das zu
fördern ihn die äußern Verhältnisse vorzugsweise befähigten, denn dem Schweizer
liegt ja Italien gewissermaßen vor der Thür seines Hauses. Sein Arbeits¬
gebiet ist äußerlich enger umgrenzt, als das der drei andern, aber, so wie er
es betreibt, allseitig vertieft, ist es nicht kleiner an Menge des zu bewältigenden
Stoffes. Er pflegt ja immer nnr sorgsam die Lücken seiner Kenntnis dem
Leser in seinen Büchern anzugeben, von dem Umfange aber und den gewaltigen
Fundamenten seines Wissens nicht viel Aufhebens zu machen. Auch die schon
früher hervorgchobne gefällige Form kann leicht vernnlasfcn, die dahinter ver¬
steckte Arbeit geringer zu achten, als sie ist. Wer das alles erwägt, der wird,
wenn er sich mit Vurckhardts Büchern etwas näher vertraut gemacht hat,
wahrscheinlich den Eindruck erhalten, daß sein Wissen noch weit größer war
als das seiner Vorgänger. Aber er war unter allen vieren auch der originellste
Geist, er allein von ihnen wird also, wenn man das Wort einmal in seinem
vollen Sinne gebrauchen will, der „große" Manu genannt werden können.
Da aber die Genies bekanntlich nicht so dicht gesät werden, daß auf jedes
wissenschaftliche Fach aller hundert Jahre eins käme, so werden wir uns auch
seine Wirkung als viel weiter reichend vorstellen müssen, als es nach den
Worten der Basler Rede geschehen könnte, oder, da wir diese Sorge am besten
unsern Nachkommen selbst überlassen, so wollen wir lieber einfach sagen, daß
wir Vurckhardts wissenschaftliche Bedeutung noch höher anschlagen, als der
Redner der Universität.

Jakob Burckhardt galt schon früh für eine der Berühmtheiten von Basel,
war aber selbst am wenigsten froh darüber, daß sich diese Auszeichnung in


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[0397] Jakob Burckhardt kommnen, Vergnügen erweckenden Ausdruck für ihre wissenschaftlichen Gedanken erreicht. Diese äußere Eigenschaft seines Stils beruht erstens auf der Hcrzens- eigenschaft eines wirklich liebenswürdigen Menschen, dann aber ist sie auch die Folge des immerwährenden Lernens, eines ungeheuern Fleißes und eines erstaunlich umfangreichen Wissens. Scheinwissen bläht auf. wahres Wissen macht bescheiden, und es wird wohl richtig sein, wenn man alles erwägt, daß für Vurckhardts wissenschaftliche Entwicklung der enge Wirkungskreis in der kunstreichen, gebildeten Stadt Basel das beste war. Unter den nun schou lange nicht mehr lebenden deutschen Forschern auf dem Gebiete der nachantiken Kunst werden drei wohl bei der Nachwelt einen annähernd gleichen Rang behaupten: Waagen durch die ungeheure Masse des von ihm, ohne Unterschied der Gattungen und der Länder, im Original Gesehenen, Verzeichneten und Beschriebnen, Franz Kugler. insofern er das ganze Gebände der Kunstgeschichte unter Dach und Fach brachte, und Schnaase, der die kulturgeschichtlichen Zusammenhänge überall aufgedeckt hat. Zu ihnen kommt nun als vierter der etwas jüngere mit einem ganz bestimmten Fache, für das er eine Naturanlage mitbrachte (ein Basler Freund spricht von einer natürlichen Vorliebe bei ihm „für alles runde und romanische"), und das zu fördern ihn die äußern Verhältnisse vorzugsweise befähigten, denn dem Schweizer liegt ja Italien gewissermaßen vor der Thür seines Hauses. Sein Arbeits¬ gebiet ist äußerlich enger umgrenzt, als das der drei andern, aber, so wie er es betreibt, allseitig vertieft, ist es nicht kleiner an Menge des zu bewältigenden Stoffes. Er pflegt ja immer nnr sorgsam die Lücken seiner Kenntnis dem Leser in seinen Büchern anzugeben, von dem Umfange aber und den gewaltigen Fundamenten seines Wissens nicht viel Aufhebens zu machen. Auch die schon früher hervorgchobne gefällige Form kann leicht vernnlasfcn, die dahinter ver¬ steckte Arbeit geringer zu achten, als sie ist. Wer das alles erwägt, der wird, wenn er sich mit Vurckhardts Büchern etwas näher vertraut gemacht hat, wahrscheinlich den Eindruck erhalten, daß sein Wissen noch weit größer war als das seiner Vorgänger. Aber er war unter allen vieren auch der originellste Geist, er allein von ihnen wird also, wenn man das Wort einmal in seinem vollen Sinne gebrauchen will, der „große" Manu genannt werden können. Da aber die Genies bekanntlich nicht so dicht gesät werden, daß auf jedes wissenschaftliche Fach aller hundert Jahre eins käme, so werden wir uns auch seine Wirkung als viel weiter reichend vorstellen müssen, als es nach den Worten der Basler Rede geschehen könnte, oder, da wir diese Sorge am besten unsern Nachkommen selbst überlassen, so wollen wir lieber einfach sagen, daß wir Vurckhardts wissenschaftliche Bedeutung noch höher anschlagen, als der Redner der Universität. Jakob Burckhardt galt schon früh für eine der Berühmtheiten von Basel, war aber selbst am wenigsten froh darüber, daß sich diese Auszeichnung in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/397>, abgerufen am 29.12.2024.