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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Jakob Burckhardt

denkbar, und eine noch so große Zahl einzelner Forscher und Arbeiter wird
nicht imstande sein, nach Burckhardt das Bild der Renaissance so umzugestalten,
daß er nicht der "Großpriester" bliebe, von dessen Sätzen ausgegangen werden
müßte.

Wie ist nun dieser reiche Geist zu seinen Zielen gekommen? Seine Lehr¬
meisterin war die Altertumswissenschaft, die er neben der Geschichte, namentlich
in Berlin studirte und durch bedeutende Männer, wie Böckh und Gerhard,
vertreten fand; im ganzen und großen hat wohl auch Ranke sehr auf ihn ein¬
gewirkt, mehr allerdings später durch seine Bücher, als früher durch seine
Lehre, der Burckhardt nichts zu verdanken meinte. Seine Lehrer aber unter
den Vergangnen waren Winckelmann und Herder. Nach des erstern Vorbild
ordnete er die Geschichte der italienischen Renaissancearchitektur als eine "Dar¬
stellung von Sachen und Gattungen," durch die "die Triebkräfte, die das
Ganze der Kunst beherrschten," mehr hervortraten, als wenn man Künstler¬
geschichten erzähle. Auf die nachantike Kunst aber war Winckelmanns Methode
und Herders Betrachtungsweise zuerst von Franz Kugler angewandt worden,
dem Burckhardt an persönlicher Belehrung das meiste verdankte, und dessen
Geschichte der Malerei er, als Kugler schon im Ministerium beschäftigt war,
neu herausgab (1847). Nun kommt bei Burckhardt zu dem genialen Blick
des vergleichenden Historikers und des philosophisch geschulten Kritikers die
besondre Empfindung sür das Kunstschöne; dieses erfüllt ihn so, es thut es
ihm gleichsam an, daß ihm seine Thätigkeit dagegen klein vorkommt, daß er,
der das innere Wesen der Kunst erst ans Licht bringt, sich bescheidentlich unter
solche stellt, die dergleichen äußerlich nachzuahmen verstanden. Was er z. B.
in der Vorrede zu dem zuletzt genannten Werke so ausdruckt: "Dem Verfasser
hat sich übrigens sehr klar die Wahrheit aufgedrängt, daß, wer in der Kunst
nicht einmal Dilettant ist, diese Art von Forschung immer nur bis zu einem
mäßigen Ziele führen kann, und daß Forscher, die zugleich mit der Ausübung
der Kunst vertraut sind, diese mit ganz anderm Erfolge fördern würden" --
das begegnet uns ja an unzähligen Stellen seines "Cicerone" und macht seine
Belehrung sür den Leser so außerordentlich angenehm. Er lernt gewisser¬
maßen zugleich mit uns, wenn er uns vor die Kunstwerke führt, er scheint es
nicht zu wissen, daß er uns wahrlich mehr lehrt, als solche, "die mit der
Ausübung der Kunst vertraut sind" (man denke z. B. an einen der besten von
diesen, Ernst Förster!), denn es war wirklich zeitlebens innerlich seine Über¬
zeugung: er sah sich als den Lernenden an gegenüber den Schöpfungen einer
großen Zeit, die leisten konnte. Man könnte leicht aus seinen Büchern eine
ganze Fülle von Gedanken und Wendungen zusammenbringen, wodurch sich
die Strenge der tiefsten Forschung umgesetzt hat in die Unterhaltung des mit
uns lernenden Beobachters, in ein Bild von Anmut und reiner Urbanität,
das uns an und für sich Freude macht; wenig Gelehrte haben einen so voll-


Jakob Burckhardt

denkbar, und eine noch so große Zahl einzelner Forscher und Arbeiter wird
nicht imstande sein, nach Burckhardt das Bild der Renaissance so umzugestalten,
daß er nicht der „Großpriester" bliebe, von dessen Sätzen ausgegangen werden
müßte.

Wie ist nun dieser reiche Geist zu seinen Zielen gekommen? Seine Lehr¬
meisterin war die Altertumswissenschaft, die er neben der Geschichte, namentlich
in Berlin studirte und durch bedeutende Männer, wie Böckh und Gerhard,
vertreten fand; im ganzen und großen hat wohl auch Ranke sehr auf ihn ein¬
gewirkt, mehr allerdings später durch seine Bücher, als früher durch seine
Lehre, der Burckhardt nichts zu verdanken meinte. Seine Lehrer aber unter
den Vergangnen waren Winckelmann und Herder. Nach des erstern Vorbild
ordnete er die Geschichte der italienischen Renaissancearchitektur als eine „Dar¬
stellung von Sachen und Gattungen," durch die „die Triebkräfte, die das
Ganze der Kunst beherrschten," mehr hervortraten, als wenn man Künstler¬
geschichten erzähle. Auf die nachantike Kunst aber war Winckelmanns Methode
und Herders Betrachtungsweise zuerst von Franz Kugler angewandt worden,
dem Burckhardt an persönlicher Belehrung das meiste verdankte, und dessen
Geschichte der Malerei er, als Kugler schon im Ministerium beschäftigt war,
neu herausgab (1847). Nun kommt bei Burckhardt zu dem genialen Blick
des vergleichenden Historikers und des philosophisch geschulten Kritikers die
besondre Empfindung sür das Kunstschöne; dieses erfüllt ihn so, es thut es
ihm gleichsam an, daß ihm seine Thätigkeit dagegen klein vorkommt, daß er,
der das innere Wesen der Kunst erst ans Licht bringt, sich bescheidentlich unter
solche stellt, die dergleichen äußerlich nachzuahmen verstanden. Was er z. B.
in der Vorrede zu dem zuletzt genannten Werke so ausdruckt: „Dem Verfasser
hat sich übrigens sehr klar die Wahrheit aufgedrängt, daß, wer in der Kunst
nicht einmal Dilettant ist, diese Art von Forschung immer nur bis zu einem
mäßigen Ziele führen kann, und daß Forscher, die zugleich mit der Ausübung
der Kunst vertraut sind, diese mit ganz anderm Erfolge fördern würden" —
das begegnet uns ja an unzähligen Stellen seines „Cicerone" und macht seine
Belehrung sür den Leser so außerordentlich angenehm. Er lernt gewisser¬
maßen zugleich mit uns, wenn er uns vor die Kunstwerke führt, er scheint es
nicht zu wissen, daß er uns wahrlich mehr lehrt, als solche, „die mit der
Ausübung der Kunst vertraut sind" (man denke z. B. an einen der besten von
diesen, Ernst Förster!), denn es war wirklich zeitlebens innerlich seine Über¬
zeugung: er sah sich als den Lernenden an gegenüber den Schöpfungen einer
großen Zeit, die leisten konnte. Man könnte leicht aus seinen Büchern eine
ganze Fülle von Gedanken und Wendungen zusammenbringen, wodurch sich
die Strenge der tiefsten Forschung umgesetzt hat in die Unterhaltung des mit
uns lernenden Beobachters, in ein Bild von Anmut und reiner Urbanität,
das uns an und für sich Freude macht; wenig Gelehrte haben einen so voll-


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[0396] Jakob Burckhardt denkbar, und eine noch so große Zahl einzelner Forscher und Arbeiter wird nicht imstande sein, nach Burckhardt das Bild der Renaissance so umzugestalten, daß er nicht der „Großpriester" bliebe, von dessen Sätzen ausgegangen werden müßte. Wie ist nun dieser reiche Geist zu seinen Zielen gekommen? Seine Lehr¬ meisterin war die Altertumswissenschaft, die er neben der Geschichte, namentlich in Berlin studirte und durch bedeutende Männer, wie Böckh und Gerhard, vertreten fand; im ganzen und großen hat wohl auch Ranke sehr auf ihn ein¬ gewirkt, mehr allerdings später durch seine Bücher, als früher durch seine Lehre, der Burckhardt nichts zu verdanken meinte. Seine Lehrer aber unter den Vergangnen waren Winckelmann und Herder. Nach des erstern Vorbild ordnete er die Geschichte der italienischen Renaissancearchitektur als eine „Dar¬ stellung von Sachen und Gattungen," durch die „die Triebkräfte, die das Ganze der Kunst beherrschten," mehr hervortraten, als wenn man Künstler¬ geschichten erzähle. Auf die nachantike Kunst aber war Winckelmanns Methode und Herders Betrachtungsweise zuerst von Franz Kugler angewandt worden, dem Burckhardt an persönlicher Belehrung das meiste verdankte, und dessen Geschichte der Malerei er, als Kugler schon im Ministerium beschäftigt war, neu herausgab (1847). Nun kommt bei Burckhardt zu dem genialen Blick des vergleichenden Historikers und des philosophisch geschulten Kritikers die besondre Empfindung sür das Kunstschöne; dieses erfüllt ihn so, es thut es ihm gleichsam an, daß ihm seine Thätigkeit dagegen klein vorkommt, daß er, der das innere Wesen der Kunst erst ans Licht bringt, sich bescheidentlich unter solche stellt, die dergleichen äußerlich nachzuahmen verstanden. Was er z. B. in der Vorrede zu dem zuletzt genannten Werke so ausdruckt: „Dem Verfasser hat sich übrigens sehr klar die Wahrheit aufgedrängt, daß, wer in der Kunst nicht einmal Dilettant ist, diese Art von Forschung immer nur bis zu einem mäßigen Ziele führen kann, und daß Forscher, die zugleich mit der Ausübung der Kunst vertraut sind, diese mit ganz anderm Erfolge fördern würden" — das begegnet uns ja an unzähligen Stellen seines „Cicerone" und macht seine Belehrung sür den Leser so außerordentlich angenehm. Er lernt gewisser¬ maßen zugleich mit uns, wenn er uns vor die Kunstwerke führt, er scheint es nicht zu wissen, daß er uns wahrlich mehr lehrt, als solche, „die mit der Ausübung der Kunst vertraut sind" (man denke z. B. an einen der besten von diesen, Ernst Förster!), denn es war wirklich zeitlebens innerlich seine Über¬ zeugung: er sah sich als den Lernenden an gegenüber den Schöpfungen einer großen Zeit, die leisten konnte. Man könnte leicht aus seinen Büchern eine ganze Fülle von Gedanken und Wendungen zusammenbringen, wodurch sich die Strenge der tiefsten Forschung umgesetzt hat in die Unterhaltung des mit uns lernenden Beobachters, in ein Bild von Anmut und reiner Urbanität, das uns an und für sich Freude macht; wenig Gelehrte haben einen so voll-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/396>, abgerufen am 29.12.2024.