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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Karl Gtfried Müller

beständige briefliche Verkehr mit den Lieben daheim gab ihm auch die nötige
innere Ruhe.

Allmählich begann er nun auch sich zur Heimkehr zu rüsten. Nur ein
Plan noch sollte vorher ausgeführt werden: eine Reise durch Mittelgriechen¬
land bis zu dem geheiligten Fels von Delphi. Obwohl die Hitze schon im
Juni drückend wurde und ihn, den anfangs so Unermüdlichen, belästigte, wollte
er diesen Plan doch nicht aufgeben. Er wollte Ende Juli wieder in Athen
sein und hoffte zu seinem Geburtstag wieder in der Heimat einzutreffen, und
zwar im Vaterhause zu Ohlau, wohin sich seine Familie bereits vorher be¬
geben sollte. So brach er denn mit freudiger Zuversicht mit seinen beiden
jungen Freunden auf. Aber schon in Theben scheint er einen kleinen Fieber¬
anfall gehabt zu haben, bey er jedoch bald überwand. Er zog durch das ihm
von langjährigen Studien her vertraute und wohlbekannte Minycrlcind, vorüber
am Kopaissee, nach Delphi. Hier an der heiligen Stätte hat er Wohl auch
den andachtsvollen Schauer, das Wehen der Gottheit empfunden, das jedem
empfänglichen Besucher die Stätte auf ewig unvergeßlich macht. Aber es gab
unendlich viel zu thun; auf der Stätte des Tempels und des heiligen Bezirks
war ein armseliges griechisches Dorf, Kastri mit Namen, angesiedelt. In und
zwischen den Hütten galt es die Neste des Altertums aufzusuchen. Hierbei
war er Tag für Tag rastlos thätig. Er fand die Unterbauten des Tempels,
die er für unterirdische Gemächer hielt, und machte besonders an Inschriften
eine reiche Beute. So setzte er sich oft beim Abschreiben der Inschriften un-
beschützt der glühenden Sonne aus, ohne der Warnungen zu achten, im Ver¬
trauen auf seine gesunde, kraftvolle Natur. Aber diesmal sollte es ihm nicht
zum Guten ausschlagen. Am letzten Tage (23. Juli) des delphischen Aufent¬
halts überkam ihn vormittags eine plötzliche Erschöpfung, sodaß er sich nieder¬
legen mußte. Gegen abend fühlte er sich besser und trat ohne Bedenken am
folgenden Morgen zu Pferde die Rückreise nach Athen an. Unterwegs wurde
zuerst noch manches untersucht, aber nach zwei Tagen brach seine eiserne
Willenskraft zusammen; die Begleiter mußten erkennen, daß er sich bisher nur
gewaltsam aufrecht erhalten hatte. Er konnte sich kaum noch auf dem Pferde
halten, siel öfter in Ohnmacht und mußte beim Reiten unterstützt werden.
Es mag ein schwerer Ritt gewesen sein mit dem Schwerkranken, ohne Rat
und Hilfe, nur mit dem Wunsche, nach Athen zu kommen, der einzigen denk¬
baren Rettung. Man kam uur langsam vorwärts; daher wurde ein Bote
vorausgeschickt, um einen Arzt und einen Wagen zu holen. Der König selbst
sandte seinen Leibarzt und seinen Wagen entgegen. Curtius und Schoell ritten
voran, und bei Nacht (um die heiße Tageszeit zu vermeiden) fuhr der Wagen
mit dem Kranken nach. Die Ärzte erkannten bald, daß keine Rettung mehr
sei. Er erlangte das Bewußtsein nicht wieder, von freundlichen Phantasien
umgaukelt, entschlummerte er am 1. August 1840. Am folgenden Tage be-


Karl Gtfried Müller

beständige briefliche Verkehr mit den Lieben daheim gab ihm auch die nötige
innere Ruhe.

Allmählich begann er nun auch sich zur Heimkehr zu rüsten. Nur ein
Plan noch sollte vorher ausgeführt werden: eine Reise durch Mittelgriechen¬
land bis zu dem geheiligten Fels von Delphi. Obwohl die Hitze schon im
Juni drückend wurde und ihn, den anfangs so Unermüdlichen, belästigte, wollte
er diesen Plan doch nicht aufgeben. Er wollte Ende Juli wieder in Athen
sein und hoffte zu seinem Geburtstag wieder in der Heimat einzutreffen, und
zwar im Vaterhause zu Ohlau, wohin sich seine Familie bereits vorher be¬
geben sollte. So brach er denn mit freudiger Zuversicht mit seinen beiden
jungen Freunden auf. Aber schon in Theben scheint er einen kleinen Fieber¬
anfall gehabt zu haben, bey er jedoch bald überwand. Er zog durch das ihm
von langjährigen Studien her vertraute und wohlbekannte Minycrlcind, vorüber
am Kopaissee, nach Delphi. Hier an der heiligen Stätte hat er Wohl auch
den andachtsvollen Schauer, das Wehen der Gottheit empfunden, das jedem
empfänglichen Besucher die Stätte auf ewig unvergeßlich macht. Aber es gab
unendlich viel zu thun; auf der Stätte des Tempels und des heiligen Bezirks
war ein armseliges griechisches Dorf, Kastri mit Namen, angesiedelt. In und
zwischen den Hütten galt es die Neste des Altertums aufzusuchen. Hierbei
war er Tag für Tag rastlos thätig. Er fand die Unterbauten des Tempels,
die er für unterirdische Gemächer hielt, und machte besonders an Inschriften
eine reiche Beute. So setzte er sich oft beim Abschreiben der Inschriften un-
beschützt der glühenden Sonne aus, ohne der Warnungen zu achten, im Ver¬
trauen auf seine gesunde, kraftvolle Natur. Aber diesmal sollte es ihm nicht
zum Guten ausschlagen. Am letzten Tage (23. Juli) des delphischen Aufent¬
halts überkam ihn vormittags eine plötzliche Erschöpfung, sodaß er sich nieder¬
legen mußte. Gegen abend fühlte er sich besser und trat ohne Bedenken am
folgenden Morgen zu Pferde die Rückreise nach Athen an. Unterwegs wurde
zuerst noch manches untersucht, aber nach zwei Tagen brach seine eiserne
Willenskraft zusammen; die Begleiter mußten erkennen, daß er sich bisher nur
gewaltsam aufrecht erhalten hatte. Er konnte sich kaum noch auf dem Pferde
halten, siel öfter in Ohnmacht und mußte beim Reiten unterstützt werden.
Es mag ein schwerer Ritt gewesen sein mit dem Schwerkranken, ohne Rat
und Hilfe, nur mit dem Wunsche, nach Athen zu kommen, der einzigen denk¬
baren Rettung. Man kam uur langsam vorwärts; daher wurde ein Bote
vorausgeschickt, um einen Arzt und einen Wagen zu holen. Der König selbst
sandte seinen Leibarzt und seinen Wagen entgegen. Curtius und Schoell ritten
voran, und bei Nacht (um die heiße Tageszeit zu vermeiden) fuhr der Wagen
mit dem Kranken nach. Die Ärzte erkannten bald, daß keine Rettung mehr
sei. Er erlangte das Bewußtsein nicht wieder, von freundlichen Phantasien
umgaukelt, entschlummerte er am 1. August 1840. Am folgenden Tage be-


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[0386] Karl Gtfried Müller beständige briefliche Verkehr mit den Lieben daheim gab ihm auch die nötige innere Ruhe. Allmählich begann er nun auch sich zur Heimkehr zu rüsten. Nur ein Plan noch sollte vorher ausgeführt werden: eine Reise durch Mittelgriechen¬ land bis zu dem geheiligten Fels von Delphi. Obwohl die Hitze schon im Juni drückend wurde und ihn, den anfangs so Unermüdlichen, belästigte, wollte er diesen Plan doch nicht aufgeben. Er wollte Ende Juli wieder in Athen sein und hoffte zu seinem Geburtstag wieder in der Heimat einzutreffen, und zwar im Vaterhause zu Ohlau, wohin sich seine Familie bereits vorher be¬ geben sollte. So brach er denn mit freudiger Zuversicht mit seinen beiden jungen Freunden auf. Aber schon in Theben scheint er einen kleinen Fieber¬ anfall gehabt zu haben, bey er jedoch bald überwand. Er zog durch das ihm von langjährigen Studien her vertraute und wohlbekannte Minycrlcind, vorüber am Kopaissee, nach Delphi. Hier an der heiligen Stätte hat er Wohl auch den andachtsvollen Schauer, das Wehen der Gottheit empfunden, das jedem empfänglichen Besucher die Stätte auf ewig unvergeßlich macht. Aber es gab unendlich viel zu thun; auf der Stätte des Tempels und des heiligen Bezirks war ein armseliges griechisches Dorf, Kastri mit Namen, angesiedelt. In und zwischen den Hütten galt es die Neste des Altertums aufzusuchen. Hierbei war er Tag für Tag rastlos thätig. Er fand die Unterbauten des Tempels, die er für unterirdische Gemächer hielt, und machte besonders an Inschriften eine reiche Beute. So setzte er sich oft beim Abschreiben der Inschriften un- beschützt der glühenden Sonne aus, ohne der Warnungen zu achten, im Ver¬ trauen auf seine gesunde, kraftvolle Natur. Aber diesmal sollte es ihm nicht zum Guten ausschlagen. Am letzten Tage (23. Juli) des delphischen Aufent¬ halts überkam ihn vormittags eine plötzliche Erschöpfung, sodaß er sich nieder¬ legen mußte. Gegen abend fühlte er sich besser und trat ohne Bedenken am folgenden Morgen zu Pferde die Rückreise nach Athen an. Unterwegs wurde zuerst noch manches untersucht, aber nach zwei Tagen brach seine eiserne Willenskraft zusammen; die Begleiter mußten erkennen, daß er sich bisher nur gewaltsam aufrecht erhalten hatte. Er konnte sich kaum noch auf dem Pferde halten, siel öfter in Ohnmacht und mußte beim Reiten unterstützt werden. Es mag ein schwerer Ritt gewesen sein mit dem Schwerkranken, ohne Rat und Hilfe, nur mit dem Wunsche, nach Athen zu kommen, der einzigen denk¬ baren Rettung. Man kam uur langsam vorwärts; daher wurde ein Bote vorausgeschickt, um einen Arzt und einen Wagen zu holen. Der König selbst sandte seinen Leibarzt und seinen Wagen entgegen. Curtius und Schoell ritten voran, und bei Nacht (um die heiße Tageszeit zu vermeiden) fuhr der Wagen mit dem Kranken nach. Die Ärzte erkannten bald, daß keine Rettung mehr sei. Er erlangte das Bewußtsein nicht wieder, von freundlichen Phantasien umgaukelt, entschlummerte er am 1. August 1840. Am folgenden Tage be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/386>, abgerufen am 29.12.2024.