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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Karl Gtfried Müller

fassende griechische Geschichte zu schreiben, in dem Sinne, wie er das Wort
verstand. Dazu war aber noch eins nötig, an das zu denken ihn schon mit
innerm Jubel erfüllte, eine Reise nach Hellas. Lange Jahre hatte er das
Land der Griechen mit der Seele gesucht; jetzt glaubte er würdig zu sein, es
zu schauen. Im Jahre 1839 erbat er auf ein Jahr Urlaub zu einer Studien¬
reise nach dem Süden. Anfang September reiste er ab, zunächst über München,
wo sich ihm Adolf Schoell anschloß, über den Brennerpaß nach Italien. In
Rom blieb er bis zum Ende des Jahres. Dann ging er nach Neapel und
Sizilien, wo er herrliche Frühlingstage verlebte, endlich im April nach Griechen¬
land. In Athen traf er mit Ernst Curtius zusammen; am 11. April brachte
ihm Curtius mit einem Quartett von Freunden ein Ständchen, wobei das
Intggsr vita-s gesungen wurde.

Die lebhafte Thätigkeit, die Müller in Italien entwickelt hatte, die
Freudigkeit beim Lernen und Wiedererkennen all des Neuen und Schönen, die
ausdauernde körperliche Kraft, alles schien sich hier zu verdoppeln. Niemand
vermag wohl ohne Rührung so geweihten Boden wie die Akropolis von Athen
zu betreten; wie muß diese Regung bei Müller gewesen sein, dessen Reise
gleichsam die Krone eines arbeitsreichen, der Welt des Altertums gewidmeten
Lebens war! Alles wollte er sehen, kennen lernen und genießen.

Kaum einen Monat in Athen, begab er sich schon mit seinen beiden
jungen Freunden auf eine längere Tour durch den Peloponnes. Mühe und
Strapazen wurden reich belohnt. Neben der vielfachen Belehrung in Einzel¬
heiten ist es ja vor allem auch die Gesamtanschauung der alten Kulturstätten,
die auf die Erkenntnis fördernd wirkt. Die landschaftliche Eigenart des Pelo-
Ponnes, seine große Verschiedenheit von der attischen Landschaft macht den
tiefsten Eindruck auf jeden, der diese Gegenden bereist. Wenn schon im Früh¬
sommer in Attika die glühende Sonne Baum und Strauch versengt und die
Bache austrocknet, so rauschen wenige Meilen davon in Achaia die Flüsse
zwischen üppigem Grün ins Meer, gleiten in Elis majestätisch die Fluten des
Alpheios dahin, bewässert der Pcnnisos das gesegnete Messenien; im "durstigen"
Argos freilich, da gähnt schon früh im Jahre das breite Bett des Inachos
trocken und leer. Und inmitten all dieser Landschaften, deren jede ihre be¬
sondre Art hat, thront stolz und unnahbar die Felsenburg des arkadischen Hoch¬
landes. Dieses Land Jahrtausende zurückreichender Erinnerungen, in dem die
Geschichte vor den Augen des Wandrers greifbar und lebendig wird, wurde
von Müller und seinen Gefährten fast sechs Wochen durchstreift; damals legte
Curtius den Grund zu seinem berühmten Werke über den Peloponnes, dem
Besten, was er je geschrieben hat.

Vom Peloponnes ging es wieder nach Athen zurück, wo Müllers Thätigkeit
reiche Anerkennung fand. Auch am Hofe des Königs Otto fing man an, sich
für ihn zu interessiren. So fühlte er sich glücklich in seinem Wirken, und der


Grenzboten III 1897 48
Karl Gtfried Müller

fassende griechische Geschichte zu schreiben, in dem Sinne, wie er das Wort
verstand. Dazu war aber noch eins nötig, an das zu denken ihn schon mit
innerm Jubel erfüllte, eine Reise nach Hellas. Lange Jahre hatte er das
Land der Griechen mit der Seele gesucht; jetzt glaubte er würdig zu sein, es
zu schauen. Im Jahre 1839 erbat er auf ein Jahr Urlaub zu einer Studien¬
reise nach dem Süden. Anfang September reiste er ab, zunächst über München,
wo sich ihm Adolf Schoell anschloß, über den Brennerpaß nach Italien. In
Rom blieb er bis zum Ende des Jahres. Dann ging er nach Neapel und
Sizilien, wo er herrliche Frühlingstage verlebte, endlich im April nach Griechen¬
land. In Athen traf er mit Ernst Curtius zusammen; am 11. April brachte
ihm Curtius mit einem Quartett von Freunden ein Ständchen, wobei das
Intggsr vita-s gesungen wurde.

Die lebhafte Thätigkeit, die Müller in Italien entwickelt hatte, die
Freudigkeit beim Lernen und Wiedererkennen all des Neuen und Schönen, die
ausdauernde körperliche Kraft, alles schien sich hier zu verdoppeln. Niemand
vermag wohl ohne Rührung so geweihten Boden wie die Akropolis von Athen
zu betreten; wie muß diese Regung bei Müller gewesen sein, dessen Reise
gleichsam die Krone eines arbeitsreichen, der Welt des Altertums gewidmeten
Lebens war! Alles wollte er sehen, kennen lernen und genießen.

Kaum einen Monat in Athen, begab er sich schon mit seinen beiden
jungen Freunden auf eine längere Tour durch den Peloponnes. Mühe und
Strapazen wurden reich belohnt. Neben der vielfachen Belehrung in Einzel¬
heiten ist es ja vor allem auch die Gesamtanschauung der alten Kulturstätten,
die auf die Erkenntnis fördernd wirkt. Die landschaftliche Eigenart des Pelo-
Ponnes, seine große Verschiedenheit von der attischen Landschaft macht den
tiefsten Eindruck auf jeden, der diese Gegenden bereist. Wenn schon im Früh¬
sommer in Attika die glühende Sonne Baum und Strauch versengt und die
Bache austrocknet, so rauschen wenige Meilen davon in Achaia die Flüsse
zwischen üppigem Grün ins Meer, gleiten in Elis majestätisch die Fluten des
Alpheios dahin, bewässert der Pcnnisos das gesegnete Messenien; im „durstigen"
Argos freilich, da gähnt schon früh im Jahre das breite Bett des Inachos
trocken und leer. Und inmitten all dieser Landschaften, deren jede ihre be¬
sondre Art hat, thront stolz und unnahbar die Felsenburg des arkadischen Hoch¬
landes. Dieses Land Jahrtausende zurückreichender Erinnerungen, in dem die
Geschichte vor den Augen des Wandrers greifbar und lebendig wird, wurde
von Müller und seinen Gefährten fast sechs Wochen durchstreift; damals legte
Curtius den Grund zu seinem berühmten Werke über den Peloponnes, dem
Besten, was er je geschrieben hat.

Vom Peloponnes ging es wieder nach Athen zurück, wo Müllers Thätigkeit
reiche Anerkennung fand. Auch am Hofe des Königs Otto fing man an, sich
für ihn zu interessiren. So fühlte er sich glücklich in seinem Wirken, und der


Grenzboten III 1897 48
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[0385] Karl Gtfried Müller fassende griechische Geschichte zu schreiben, in dem Sinne, wie er das Wort verstand. Dazu war aber noch eins nötig, an das zu denken ihn schon mit innerm Jubel erfüllte, eine Reise nach Hellas. Lange Jahre hatte er das Land der Griechen mit der Seele gesucht; jetzt glaubte er würdig zu sein, es zu schauen. Im Jahre 1839 erbat er auf ein Jahr Urlaub zu einer Studien¬ reise nach dem Süden. Anfang September reiste er ab, zunächst über München, wo sich ihm Adolf Schoell anschloß, über den Brennerpaß nach Italien. In Rom blieb er bis zum Ende des Jahres. Dann ging er nach Neapel und Sizilien, wo er herrliche Frühlingstage verlebte, endlich im April nach Griechen¬ land. In Athen traf er mit Ernst Curtius zusammen; am 11. April brachte ihm Curtius mit einem Quartett von Freunden ein Ständchen, wobei das Intggsr vita-s gesungen wurde. Die lebhafte Thätigkeit, die Müller in Italien entwickelt hatte, die Freudigkeit beim Lernen und Wiedererkennen all des Neuen und Schönen, die ausdauernde körperliche Kraft, alles schien sich hier zu verdoppeln. Niemand vermag wohl ohne Rührung so geweihten Boden wie die Akropolis von Athen zu betreten; wie muß diese Regung bei Müller gewesen sein, dessen Reise gleichsam die Krone eines arbeitsreichen, der Welt des Altertums gewidmeten Lebens war! Alles wollte er sehen, kennen lernen und genießen. Kaum einen Monat in Athen, begab er sich schon mit seinen beiden jungen Freunden auf eine längere Tour durch den Peloponnes. Mühe und Strapazen wurden reich belohnt. Neben der vielfachen Belehrung in Einzel¬ heiten ist es ja vor allem auch die Gesamtanschauung der alten Kulturstätten, die auf die Erkenntnis fördernd wirkt. Die landschaftliche Eigenart des Pelo- Ponnes, seine große Verschiedenheit von der attischen Landschaft macht den tiefsten Eindruck auf jeden, der diese Gegenden bereist. Wenn schon im Früh¬ sommer in Attika die glühende Sonne Baum und Strauch versengt und die Bache austrocknet, so rauschen wenige Meilen davon in Achaia die Flüsse zwischen üppigem Grün ins Meer, gleiten in Elis majestätisch die Fluten des Alpheios dahin, bewässert der Pcnnisos das gesegnete Messenien; im „durstigen" Argos freilich, da gähnt schon früh im Jahre das breite Bett des Inachos trocken und leer. Und inmitten all dieser Landschaften, deren jede ihre be¬ sondre Art hat, thront stolz und unnahbar die Felsenburg des arkadischen Hoch¬ landes. Dieses Land Jahrtausende zurückreichender Erinnerungen, in dem die Geschichte vor den Augen des Wandrers greifbar und lebendig wird, wurde von Müller und seinen Gefährten fast sechs Wochen durchstreift; damals legte Curtius den Grund zu seinem berühmten Werke über den Peloponnes, dem Besten, was er je geschrieben hat. Vom Peloponnes ging es wieder nach Athen zurück, wo Müllers Thätigkeit reiche Anerkennung fand. Auch am Hofe des Königs Otto fing man an, sich für ihn zu interessiren. So fühlte er sich glücklich in seinem Wirken, und der Grenzboten III 1897 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/385>, abgerufen am 24.07.2024.