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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zur Psychologie der Tierspiele

von den "Kunstbauten" der Tiere als Erzeugnis des Spieltriebs nachzuweisen.
"Die Bauten der Biber, Füchse, Dachse, Maulwürfe, Fischottern, Kaninchen usw.,
die Laubdächer mancher Affenarten, die Nester der Stichlinge, Igel, Eich¬
hörnchen, Zwergmäuse und Vögel dienen unmittelbar ernsten Zwecken und
haben daher keinen Spielcharakter." Vielleicht liegt er aber den Diebsgelüsten
der verschiednen Rabenarten zu Grunde. Ihre bekannte Gewohnheit, allerlei
kleine glänzende Gegenstände in ihre Nester zu tragen, erklärt sich am ein¬
fachsten aus einem instinktiven Triebe der Tiere, ihre kleinen Bauten zu
schmücken. Romanes hat bemerkt, daß sich bei gewissen Vögeln eine ciusge-
sprochne Vorliebe für besondre Gegenstünde zeigt; die syrische Spechtmeise
sammelt schillernde Jnsektenflügel, der große indische Fliegenschnäpper abge¬
streifte Schlangenhäute, und am merkwürdigsten verfährt der Bayavogel Asiens,
"der nach Vollendung seines flaschenförmigen, in Kammern abgeteilten Nestes
die Innen- und Außenseite davon mit kleinen Thonklümpchen spickt, auf denen
das Männchen sodann Leuchtkäfer befestigt, augenscheinlich zu keinem andern
Zwecke, als um damit einen glänzenden Dekorationseffekt zu erzielen." Ein
ästhetischer Genuß des Schönen liegt, wie Grvvs richtig bemerkt, in diesen
Fällen noch nicht vor. Es wirkt in ihnen nur der Reiz von etwas sinnlich
angenehmem; die eigentlich künstlerische Thätigkeit der innern Nachahmung, der
behandelnden Einfühlung in das Objekt fehlt. Man wird mit Groos hier
nur von einer Vorstufe des ästhetischen Genusses reden können.

Fast noch schwerer ist es, Pflegespiele, etwa wie sie die Mädchen mit
Puppen treiben, bei Tieren nachzuweisen. Wenn eine Katzenmutter ihren Be-
mutterungstrieb von ihren eignen vier Jungen ausdehnt auf sechs eben aus-
gekrochne Küchlein, drei junge Enten und ein junges Rotschwänzchen, die sie
alle in ihren Korb zusammenschleppt, so bleibt immer noch die Frage, ob es
nicht eine durchaus ernsthaft empfundne Pflege gewesen sei, die sie den fremden
Jungen hat angedeihen lassen. Ein entschieden spieliges Pflegen und Hätscheln
aber hat Brehm, der Verfasser des Tierlebens, einmal an einem Pavian
namens Perro beobachtet, den er bei der Einfahrt in Alexandria an einem
langen Seil an den Wagen gebunden hatte. "Beim Eintreten in die Stadt
erblickte Perro neben der Straße das Lager einer Hündin, die vor kurzer Zeit
geworfen hatte und vier allerliebste Junge ruhig säugte. Vom Wagen ab¬
springen und der Alten ein säugendes Junges wegreißen war die That weniger
Augenblicke; nicht so schnell gelang es ihm, seinen Sitz wieder zu erreichen.
Die Hundemutter, aufs äußerste erzürnt durch die Frechheit des Affen, fuhr
wütend auf diesen los, und Perro mußte seine ganze Kraft zusammennehmen,
um dem andringenden Hunde zu widerstehen. Sein Kampf war nicht leicht;
denn der Wagen bewegte sich stetig weiter, und ihm blieb keine Zeit übrig
hinaufzuklettern, weil ihn sonst die Hündin gepackt haben würde. So klammerte
er nun den jungen Hund zwischen den obern Arm und die Brust, zog mit


Zur Psychologie der Tierspiele

von den „Kunstbauten" der Tiere als Erzeugnis des Spieltriebs nachzuweisen.
„Die Bauten der Biber, Füchse, Dachse, Maulwürfe, Fischottern, Kaninchen usw.,
die Laubdächer mancher Affenarten, die Nester der Stichlinge, Igel, Eich¬
hörnchen, Zwergmäuse und Vögel dienen unmittelbar ernsten Zwecken und
haben daher keinen Spielcharakter." Vielleicht liegt er aber den Diebsgelüsten
der verschiednen Rabenarten zu Grunde. Ihre bekannte Gewohnheit, allerlei
kleine glänzende Gegenstände in ihre Nester zu tragen, erklärt sich am ein¬
fachsten aus einem instinktiven Triebe der Tiere, ihre kleinen Bauten zu
schmücken. Romanes hat bemerkt, daß sich bei gewissen Vögeln eine ciusge-
sprochne Vorliebe für besondre Gegenstünde zeigt; die syrische Spechtmeise
sammelt schillernde Jnsektenflügel, der große indische Fliegenschnäpper abge¬
streifte Schlangenhäute, und am merkwürdigsten verfährt der Bayavogel Asiens,
„der nach Vollendung seines flaschenförmigen, in Kammern abgeteilten Nestes
die Innen- und Außenseite davon mit kleinen Thonklümpchen spickt, auf denen
das Männchen sodann Leuchtkäfer befestigt, augenscheinlich zu keinem andern
Zwecke, als um damit einen glänzenden Dekorationseffekt zu erzielen." Ein
ästhetischer Genuß des Schönen liegt, wie Grvvs richtig bemerkt, in diesen
Fällen noch nicht vor. Es wirkt in ihnen nur der Reiz von etwas sinnlich
angenehmem; die eigentlich künstlerische Thätigkeit der innern Nachahmung, der
behandelnden Einfühlung in das Objekt fehlt. Man wird mit Groos hier
nur von einer Vorstufe des ästhetischen Genusses reden können.

Fast noch schwerer ist es, Pflegespiele, etwa wie sie die Mädchen mit
Puppen treiben, bei Tieren nachzuweisen. Wenn eine Katzenmutter ihren Be-
mutterungstrieb von ihren eignen vier Jungen ausdehnt auf sechs eben aus-
gekrochne Küchlein, drei junge Enten und ein junges Rotschwänzchen, die sie
alle in ihren Korb zusammenschleppt, so bleibt immer noch die Frage, ob es
nicht eine durchaus ernsthaft empfundne Pflege gewesen sei, die sie den fremden
Jungen hat angedeihen lassen. Ein entschieden spieliges Pflegen und Hätscheln
aber hat Brehm, der Verfasser des Tierlebens, einmal an einem Pavian
namens Perro beobachtet, den er bei der Einfahrt in Alexandria an einem
langen Seil an den Wagen gebunden hatte. „Beim Eintreten in die Stadt
erblickte Perro neben der Straße das Lager einer Hündin, die vor kurzer Zeit
geworfen hatte und vier allerliebste Junge ruhig säugte. Vom Wagen ab¬
springen und der Alten ein säugendes Junges wegreißen war die That weniger
Augenblicke; nicht so schnell gelang es ihm, seinen Sitz wieder zu erreichen.
Die Hundemutter, aufs äußerste erzürnt durch die Frechheit des Affen, fuhr
wütend auf diesen los, und Perro mußte seine ganze Kraft zusammennehmen,
um dem andringenden Hunde zu widerstehen. Sein Kampf war nicht leicht;
denn der Wagen bewegte sich stetig weiter, und ihm blieb keine Zeit übrig
hinaufzuklettern, weil ihn sonst die Hündin gepackt haben würde. So klammerte
er nun den jungen Hund zwischen den obern Arm und die Brust, zog mit


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[0038] Zur Psychologie der Tierspiele von den „Kunstbauten" der Tiere als Erzeugnis des Spieltriebs nachzuweisen. „Die Bauten der Biber, Füchse, Dachse, Maulwürfe, Fischottern, Kaninchen usw., die Laubdächer mancher Affenarten, die Nester der Stichlinge, Igel, Eich¬ hörnchen, Zwergmäuse und Vögel dienen unmittelbar ernsten Zwecken und haben daher keinen Spielcharakter." Vielleicht liegt er aber den Diebsgelüsten der verschiednen Rabenarten zu Grunde. Ihre bekannte Gewohnheit, allerlei kleine glänzende Gegenstände in ihre Nester zu tragen, erklärt sich am ein¬ fachsten aus einem instinktiven Triebe der Tiere, ihre kleinen Bauten zu schmücken. Romanes hat bemerkt, daß sich bei gewissen Vögeln eine ciusge- sprochne Vorliebe für besondre Gegenstünde zeigt; die syrische Spechtmeise sammelt schillernde Jnsektenflügel, der große indische Fliegenschnäpper abge¬ streifte Schlangenhäute, und am merkwürdigsten verfährt der Bayavogel Asiens, „der nach Vollendung seines flaschenförmigen, in Kammern abgeteilten Nestes die Innen- und Außenseite davon mit kleinen Thonklümpchen spickt, auf denen das Männchen sodann Leuchtkäfer befestigt, augenscheinlich zu keinem andern Zwecke, als um damit einen glänzenden Dekorationseffekt zu erzielen." Ein ästhetischer Genuß des Schönen liegt, wie Grvvs richtig bemerkt, in diesen Fällen noch nicht vor. Es wirkt in ihnen nur der Reiz von etwas sinnlich angenehmem; die eigentlich künstlerische Thätigkeit der innern Nachahmung, der behandelnden Einfühlung in das Objekt fehlt. Man wird mit Groos hier nur von einer Vorstufe des ästhetischen Genusses reden können. Fast noch schwerer ist es, Pflegespiele, etwa wie sie die Mädchen mit Puppen treiben, bei Tieren nachzuweisen. Wenn eine Katzenmutter ihren Be- mutterungstrieb von ihren eignen vier Jungen ausdehnt auf sechs eben aus- gekrochne Küchlein, drei junge Enten und ein junges Rotschwänzchen, die sie alle in ihren Korb zusammenschleppt, so bleibt immer noch die Frage, ob es nicht eine durchaus ernsthaft empfundne Pflege gewesen sei, die sie den fremden Jungen hat angedeihen lassen. Ein entschieden spieliges Pflegen und Hätscheln aber hat Brehm, der Verfasser des Tierlebens, einmal an einem Pavian namens Perro beobachtet, den er bei der Einfahrt in Alexandria an einem langen Seil an den Wagen gebunden hatte. „Beim Eintreten in die Stadt erblickte Perro neben der Straße das Lager einer Hündin, die vor kurzer Zeit geworfen hatte und vier allerliebste Junge ruhig säugte. Vom Wagen ab¬ springen und der Alten ein säugendes Junges wegreißen war die That weniger Augenblicke; nicht so schnell gelang es ihm, seinen Sitz wieder zu erreichen. Die Hundemutter, aufs äußerste erzürnt durch die Frechheit des Affen, fuhr wütend auf diesen los, und Perro mußte seine ganze Kraft zusammennehmen, um dem andringenden Hunde zu widerstehen. Sein Kampf war nicht leicht; denn der Wagen bewegte sich stetig weiter, und ihm blieb keine Zeit übrig hinaufzuklettern, weil ihn sonst die Hündin gepackt haben würde. So klammerte er nun den jungen Hund zwischen den obern Arm und die Brust, zog mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/38>, abgerufen am 24.07.2024.