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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Volk und Jugend

gefühls, und das ist es durch frische Bethätigung von Kräften, durch lebendige
Bewegung, durch Setzen anregender Ziele, dnrch beglückende Täuschung. Bei
den Reifen und Gebildeten wird es abgelöst durch wirkliche Lebens- und
Strebensziele, durch die Verwendung der Kräfte im Dienst guter und großer
Sachen, durch das Gefühl wirklicher Hervorbringung, durch die Freude des
Gelingens. Dem Soldatenspielen folgt das Soldatsein, wobei man zwar eine
viel schönere Uniform trägt als beim Spiel, aber der Ernst doch gewaltig
nahe beim Spaße liegt, und die ganze Bethätigung -- nicht bloß in Kriegs¬
zeiten -- oft sehr über den Spaß geht. Das Spiel mit den Puppen wird
abgelöst durch die unendlichen Mutterpflichten und -Sorgen, und so folgt
dem Bauen mit Holzklötzchen und dem Haschen und Verstecken und Erraten
und Überlisten usw. eine Mannichfaltigkeit entsprechender wirklicher Lebens¬
aufgaben.

Gleichwohl bleibt vom Spiel auch jenseits oder vielmehr (da wir ja keine
Kinder mehr sind) diesseits der Spielgrenze etwas, und nicht ganz wenig übrig,
und beim Volke im Verhältnis mehr als in der obern Schicht. Man könnte
das zunächst in wörtlichen Sinne nehmen: ein Nest wenigstens ist ja von
alten schönen Volksspielen in unsrer Kulturwelt noch geblieben, wobei der
Wetteifer in körperlicher Stärke und Tüchtigkeit, die Freude am Zusammensein
mit vielen und auch die an Scherz und Schelmerei und an erhöhter Freiheit
die im einzelnen vielfach wechselnden Bestandteile bilden. Wir beklagen freilich
in Deutschland im allgemeinen den Niedergang dieser Spiele, ihr fast völliges
Verschwinden, während sie in England und anch in den mitteleuropäischen
Gebirgsländern niemals verloren gegangen sind, und Schuld daran wie an so
vielem andern Unerfreulichen ist wohl ohne Zweifel die Verarmung und Ver¬
kümmerung des Lebens durch die großen Kriege gewesen, wohl auch der Sieg
der abstrakten Bildungsziele, die Wirkung einseitiger Geistesarbeit und die Ver¬
achtung des naiven. Doch wir erstreben ja eine Wiederbelebung und dürfen
auch auf Erfolg hoffen. Jedenfalls bildet anch das Volksspiel da und soweit
es vorhanden ist ein so erregendes, alle Beteiligten so in Anspruch nehmendes,
befriedigendes, hinreißendes Stück des Volkslebens, wie nur für die Jugend
die besten und gelungensten der Spiele.

Aber Spiel, Spiel für die Erwachsenen, ist ja nicht bloß das, was schlecht¬
hin so heißt und so angesehen wird, sondern darüber hinaus viel mehr andres.
Und die höhern Stände haben nicht bloß ihr Whist- nud Schach- und Billard¬
spiel, nicht bloß Croquet und Lawn-Tennis, nicht bloß die Jagd und den
Sport, sondern sie haben außerdem das Spiel des zeremoniellen geselligen
Verkehrs (denn so darf man ja wohl diese Einrichtung ansehen, und sie ge¬
winnt dann eine harmlose Daseinsberechtigung), einschließlich der Ballfeste und
des studentischen Komments; sodann vor allem das schöne, hohe Spiel der
Kunst, die unser inneres Leben mit Empfindungen füllt, die ja nicht aus


Volk und Jugend

gefühls, und das ist es durch frische Bethätigung von Kräften, durch lebendige
Bewegung, durch Setzen anregender Ziele, dnrch beglückende Täuschung. Bei
den Reifen und Gebildeten wird es abgelöst durch wirkliche Lebens- und
Strebensziele, durch die Verwendung der Kräfte im Dienst guter und großer
Sachen, durch das Gefühl wirklicher Hervorbringung, durch die Freude des
Gelingens. Dem Soldatenspielen folgt das Soldatsein, wobei man zwar eine
viel schönere Uniform trägt als beim Spiel, aber der Ernst doch gewaltig
nahe beim Spaße liegt, und die ganze Bethätigung — nicht bloß in Kriegs¬
zeiten — oft sehr über den Spaß geht. Das Spiel mit den Puppen wird
abgelöst durch die unendlichen Mutterpflichten und -Sorgen, und so folgt
dem Bauen mit Holzklötzchen und dem Haschen und Verstecken und Erraten
und Überlisten usw. eine Mannichfaltigkeit entsprechender wirklicher Lebens¬
aufgaben.

Gleichwohl bleibt vom Spiel auch jenseits oder vielmehr (da wir ja keine
Kinder mehr sind) diesseits der Spielgrenze etwas, und nicht ganz wenig übrig,
und beim Volke im Verhältnis mehr als in der obern Schicht. Man könnte
das zunächst in wörtlichen Sinne nehmen: ein Nest wenigstens ist ja von
alten schönen Volksspielen in unsrer Kulturwelt noch geblieben, wobei der
Wetteifer in körperlicher Stärke und Tüchtigkeit, die Freude am Zusammensein
mit vielen und auch die an Scherz und Schelmerei und an erhöhter Freiheit
die im einzelnen vielfach wechselnden Bestandteile bilden. Wir beklagen freilich
in Deutschland im allgemeinen den Niedergang dieser Spiele, ihr fast völliges
Verschwinden, während sie in England und anch in den mitteleuropäischen
Gebirgsländern niemals verloren gegangen sind, und Schuld daran wie an so
vielem andern Unerfreulichen ist wohl ohne Zweifel die Verarmung und Ver¬
kümmerung des Lebens durch die großen Kriege gewesen, wohl auch der Sieg
der abstrakten Bildungsziele, die Wirkung einseitiger Geistesarbeit und die Ver¬
achtung des naiven. Doch wir erstreben ja eine Wiederbelebung und dürfen
auch auf Erfolg hoffen. Jedenfalls bildet anch das Volksspiel da und soweit
es vorhanden ist ein so erregendes, alle Beteiligten so in Anspruch nehmendes,
befriedigendes, hinreißendes Stück des Volkslebens, wie nur für die Jugend
die besten und gelungensten der Spiele.

Aber Spiel, Spiel für die Erwachsenen, ist ja nicht bloß das, was schlecht¬
hin so heißt und so angesehen wird, sondern darüber hinaus viel mehr andres.
Und die höhern Stände haben nicht bloß ihr Whist- nud Schach- und Billard¬
spiel, nicht bloß Croquet und Lawn-Tennis, nicht bloß die Jagd und den
Sport, sondern sie haben außerdem das Spiel des zeremoniellen geselligen
Verkehrs (denn so darf man ja wohl diese Einrichtung ansehen, und sie ge¬
winnt dann eine harmlose Daseinsberechtigung), einschließlich der Ballfeste und
des studentischen Komments; sodann vor allem das schöne, hohe Spiel der
Kunst, die unser inneres Leben mit Empfindungen füllt, die ja nicht aus


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[0370] Volk und Jugend gefühls, und das ist es durch frische Bethätigung von Kräften, durch lebendige Bewegung, durch Setzen anregender Ziele, dnrch beglückende Täuschung. Bei den Reifen und Gebildeten wird es abgelöst durch wirkliche Lebens- und Strebensziele, durch die Verwendung der Kräfte im Dienst guter und großer Sachen, durch das Gefühl wirklicher Hervorbringung, durch die Freude des Gelingens. Dem Soldatenspielen folgt das Soldatsein, wobei man zwar eine viel schönere Uniform trägt als beim Spiel, aber der Ernst doch gewaltig nahe beim Spaße liegt, und die ganze Bethätigung — nicht bloß in Kriegs¬ zeiten — oft sehr über den Spaß geht. Das Spiel mit den Puppen wird abgelöst durch die unendlichen Mutterpflichten und -Sorgen, und so folgt dem Bauen mit Holzklötzchen und dem Haschen und Verstecken und Erraten und Überlisten usw. eine Mannichfaltigkeit entsprechender wirklicher Lebens¬ aufgaben. Gleichwohl bleibt vom Spiel auch jenseits oder vielmehr (da wir ja keine Kinder mehr sind) diesseits der Spielgrenze etwas, und nicht ganz wenig übrig, und beim Volke im Verhältnis mehr als in der obern Schicht. Man könnte das zunächst in wörtlichen Sinne nehmen: ein Nest wenigstens ist ja von alten schönen Volksspielen in unsrer Kulturwelt noch geblieben, wobei der Wetteifer in körperlicher Stärke und Tüchtigkeit, die Freude am Zusammensein mit vielen und auch die an Scherz und Schelmerei und an erhöhter Freiheit die im einzelnen vielfach wechselnden Bestandteile bilden. Wir beklagen freilich in Deutschland im allgemeinen den Niedergang dieser Spiele, ihr fast völliges Verschwinden, während sie in England und anch in den mitteleuropäischen Gebirgsländern niemals verloren gegangen sind, und Schuld daran wie an so vielem andern Unerfreulichen ist wohl ohne Zweifel die Verarmung und Ver¬ kümmerung des Lebens durch die großen Kriege gewesen, wohl auch der Sieg der abstrakten Bildungsziele, die Wirkung einseitiger Geistesarbeit und die Ver¬ achtung des naiven. Doch wir erstreben ja eine Wiederbelebung und dürfen auch auf Erfolg hoffen. Jedenfalls bildet anch das Volksspiel da und soweit es vorhanden ist ein so erregendes, alle Beteiligten so in Anspruch nehmendes, befriedigendes, hinreißendes Stück des Volkslebens, wie nur für die Jugend die besten und gelungensten der Spiele. Aber Spiel, Spiel für die Erwachsenen, ist ja nicht bloß das, was schlecht¬ hin so heißt und so angesehen wird, sondern darüber hinaus viel mehr andres. Und die höhern Stände haben nicht bloß ihr Whist- nud Schach- und Billard¬ spiel, nicht bloß Croquet und Lawn-Tennis, nicht bloß die Jagd und den Sport, sondern sie haben außerdem das Spiel des zeremoniellen geselligen Verkehrs (denn so darf man ja wohl diese Einrichtung ansehen, und sie ge¬ winnt dann eine harmlose Daseinsberechtigung), einschließlich der Ballfeste und des studentischen Komments; sodann vor allem das schöne, hohe Spiel der Kunst, die unser inneres Leben mit Empfindungen füllt, die ja nicht aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/370>, abgerufen am 24.07.2024.