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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zur Psychologie der Tierspiele

Feinheit der Beobachtungen darin nacherleben will, den müssen wir an das
Buch selbst weisen.

Groos hat seine Arbeit in fünf Kapitel geteilt, und zwar so, daß im dritten
und vierten der eigentliche Gegenstand vorgetragen, in den umrahmenden Ab¬
schnitten den tiefern psychologischen Bahnen des tierischen Spieles nachgegangen
wird. Wir wollen den Inhalt des ganzen Buches in der Hauptsache im An¬
schluß an einige Beispiele aus den Mittelkapiteln entwickeln.

Wallace erzählt einmal von einem ganz jungen Orang-Ulan: "In den
ersten paar Tagen klammerte er sich mit allen Vieren an alles, was er packen
konnte, und ich mußte meinen Bart sorgfältig vor ihm in acht nehmen, da
seine Finger das Haar hartnäckiger als irgend etwas festhielten, und ich mich
ohne Hilfe unmöglich von ihm befreien konnte. Wenn er aber ruhig war,
wirtschaftete er mit den Hunden in der Luft herum und versuchte, irgend etwas
zu ergreifen. Gelang es ihm, einen Stock oder einen Lappen mit zwei Händen
oder mit diesem und einem Fuß zu fassen, so schien er ganz glücklich zu sein.
In Ermanglung von etwas anderen ergriff er seine eignen Füße, und nach
einiger Zeit kreuzte er fast beständig seine Arme und packte mit jeder Hand
das lange Haar unter der entgegengesetzten Schulter." Das ist im Grunde
derselbe Spieltrieb, der sich bei Kindern in einer Menge von Erscheinungen
äußert, die sich am besten als ein kindliches Experimentiren auffassen lassen,
und deren Lustgefühl jedenfalls mit darauf beruht, daß das junge Wesen
Freude an seiner Macht, am Ursachesein empfindet. Dieser Art von Spiel
steht das Bewegungsspiel nahe. Wer hätte nicht schon in einem zoologischen
Garten gesehen, was für Vergnügen die Affen und manche Vogel daran haben,
sich zu schaukeln? Dem Kanarienvogel hängen wir einen Ring in seinen
Käfig, um ihm das Schaukelspiel zu ermöglichen. Und daß es viele Vögel
auch draußen im Freien lebend lieben, sich an schwankende Zweige zu Hunger,
um sich daran zu schaukeln, bezeugt uns Naumann. Hat nicht auch das un¬
aufhörliche Auf- und Abgehen des Tigers im Käfig, das stumpfsinnige Hin-
und Herwiegen des Vorderkörpers der Bären Spielcharakter? Schon der
Rhythmus, der dabei waltet, scheint darauf hinzudeuten. Ein viel stärkerer
Reiz tritt neben den der bloßen Bewegungslust in den Jagdspielen vieler Tiere.
Allgemein bezeichnen wir es als Spiel, was die Katze mit der Maus treibt.
Der künstlerische Keim der bewußten Selbsttäuschung ist stärker entwickelt, wo
es sich nur um eine Scheinbeute handelt, gleichviel ob mit einer lebenden oder
leblosen Scheinbeutc gespielt wird (ein Hund mit dem andern, das Kätzchen
mit dem Garnknaul). Von dem Puma und seinem hochentwickelten Spieltriebe
erzählt Hudson: "Er bleibt im innersten immer ein Spielkätzchen, das sich
königlich bei seinen Scherzen unterhält, er amüsirt sich, wenn er -- was oft
der Fall ist -- allein in der Wüste lebt, stundenlang dnrch Scheinkämpfe oder
Verstcckspiele mit Genossen, die nur in seiner Phantasie da sind; oder er legt


Zur Psychologie der Tierspiele

Feinheit der Beobachtungen darin nacherleben will, den müssen wir an das
Buch selbst weisen.

Groos hat seine Arbeit in fünf Kapitel geteilt, und zwar so, daß im dritten
und vierten der eigentliche Gegenstand vorgetragen, in den umrahmenden Ab¬
schnitten den tiefern psychologischen Bahnen des tierischen Spieles nachgegangen
wird. Wir wollen den Inhalt des ganzen Buches in der Hauptsache im An¬
schluß an einige Beispiele aus den Mittelkapiteln entwickeln.

Wallace erzählt einmal von einem ganz jungen Orang-Ulan: „In den
ersten paar Tagen klammerte er sich mit allen Vieren an alles, was er packen
konnte, und ich mußte meinen Bart sorgfältig vor ihm in acht nehmen, da
seine Finger das Haar hartnäckiger als irgend etwas festhielten, und ich mich
ohne Hilfe unmöglich von ihm befreien konnte. Wenn er aber ruhig war,
wirtschaftete er mit den Hunden in der Luft herum und versuchte, irgend etwas
zu ergreifen. Gelang es ihm, einen Stock oder einen Lappen mit zwei Händen
oder mit diesem und einem Fuß zu fassen, so schien er ganz glücklich zu sein.
In Ermanglung von etwas anderen ergriff er seine eignen Füße, und nach
einiger Zeit kreuzte er fast beständig seine Arme und packte mit jeder Hand
das lange Haar unter der entgegengesetzten Schulter." Das ist im Grunde
derselbe Spieltrieb, der sich bei Kindern in einer Menge von Erscheinungen
äußert, die sich am besten als ein kindliches Experimentiren auffassen lassen,
und deren Lustgefühl jedenfalls mit darauf beruht, daß das junge Wesen
Freude an seiner Macht, am Ursachesein empfindet. Dieser Art von Spiel
steht das Bewegungsspiel nahe. Wer hätte nicht schon in einem zoologischen
Garten gesehen, was für Vergnügen die Affen und manche Vogel daran haben,
sich zu schaukeln? Dem Kanarienvogel hängen wir einen Ring in seinen
Käfig, um ihm das Schaukelspiel zu ermöglichen. Und daß es viele Vögel
auch draußen im Freien lebend lieben, sich an schwankende Zweige zu Hunger,
um sich daran zu schaukeln, bezeugt uns Naumann. Hat nicht auch das un¬
aufhörliche Auf- und Abgehen des Tigers im Käfig, das stumpfsinnige Hin-
und Herwiegen des Vorderkörpers der Bären Spielcharakter? Schon der
Rhythmus, der dabei waltet, scheint darauf hinzudeuten. Ein viel stärkerer
Reiz tritt neben den der bloßen Bewegungslust in den Jagdspielen vieler Tiere.
Allgemein bezeichnen wir es als Spiel, was die Katze mit der Maus treibt.
Der künstlerische Keim der bewußten Selbsttäuschung ist stärker entwickelt, wo
es sich nur um eine Scheinbeute handelt, gleichviel ob mit einer lebenden oder
leblosen Scheinbeutc gespielt wird (ein Hund mit dem andern, das Kätzchen
mit dem Garnknaul). Von dem Puma und seinem hochentwickelten Spieltriebe
erzählt Hudson: „Er bleibt im innersten immer ein Spielkätzchen, das sich
königlich bei seinen Scherzen unterhält, er amüsirt sich, wenn er — was oft
der Fall ist — allein in der Wüste lebt, stundenlang dnrch Scheinkämpfe oder
Verstcckspiele mit Genossen, die nur in seiner Phantasie da sind; oder er legt


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[0036] Zur Psychologie der Tierspiele Feinheit der Beobachtungen darin nacherleben will, den müssen wir an das Buch selbst weisen. Groos hat seine Arbeit in fünf Kapitel geteilt, und zwar so, daß im dritten und vierten der eigentliche Gegenstand vorgetragen, in den umrahmenden Ab¬ schnitten den tiefern psychologischen Bahnen des tierischen Spieles nachgegangen wird. Wir wollen den Inhalt des ganzen Buches in der Hauptsache im An¬ schluß an einige Beispiele aus den Mittelkapiteln entwickeln. Wallace erzählt einmal von einem ganz jungen Orang-Ulan: „In den ersten paar Tagen klammerte er sich mit allen Vieren an alles, was er packen konnte, und ich mußte meinen Bart sorgfältig vor ihm in acht nehmen, da seine Finger das Haar hartnäckiger als irgend etwas festhielten, und ich mich ohne Hilfe unmöglich von ihm befreien konnte. Wenn er aber ruhig war, wirtschaftete er mit den Hunden in der Luft herum und versuchte, irgend etwas zu ergreifen. Gelang es ihm, einen Stock oder einen Lappen mit zwei Händen oder mit diesem und einem Fuß zu fassen, so schien er ganz glücklich zu sein. In Ermanglung von etwas anderen ergriff er seine eignen Füße, und nach einiger Zeit kreuzte er fast beständig seine Arme und packte mit jeder Hand das lange Haar unter der entgegengesetzten Schulter." Das ist im Grunde derselbe Spieltrieb, der sich bei Kindern in einer Menge von Erscheinungen äußert, die sich am besten als ein kindliches Experimentiren auffassen lassen, und deren Lustgefühl jedenfalls mit darauf beruht, daß das junge Wesen Freude an seiner Macht, am Ursachesein empfindet. Dieser Art von Spiel steht das Bewegungsspiel nahe. Wer hätte nicht schon in einem zoologischen Garten gesehen, was für Vergnügen die Affen und manche Vogel daran haben, sich zu schaukeln? Dem Kanarienvogel hängen wir einen Ring in seinen Käfig, um ihm das Schaukelspiel zu ermöglichen. Und daß es viele Vögel auch draußen im Freien lebend lieben, sich an schwankende Zweige zu Hunger, um sich daran zu schaukeln, bezeugt uns Naumann. Hat nicht auch das un¬ aufhörliche Auf- und Abgehen des Tigers im Käfig, das stumpfsinnige Hin- und Herwiegen des Vorderkörpers der Bären Spielcharakter? Schon der Rhythmus, der dabei waltet, scheint darauf hinzudeuten. Ein viel stärkerer Reiz tritt neben den der bloßen Bewegungslust in den Jagdspielen vieler Tiere. Allgemein bezeichnen wir es als Spiel, was die Katze mit der Maus treibt. Der künstlerische Keim der bewußten Selbsttäuschung ist stärker entwickelt, wo es sich nur um eine Scheinbeute handelt, gleichviel ob mit einer lebenden oder leblosen Scheinbeutc gespielt wird (ein Hund mit dem andern, das Kätzchen mit dem Garnknaul). Von dem Puma und seinem hochentwickelten Spieltriebe erzählt Hudson: „Er bleibt im innersten immer ein Spielkätzchen, das sich königlich bei seinen Scherzen unterhält, er amüsirt sich, wenn er — was oft der Fall ist — allein in der Wüste lebt, stundenlang dnrch Scheinkämpfe oder Verstcckspiele mit Genossen, die nur in seiner Phantasie da sind; oder er legt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/36>, abgerufen am 29.12.2024.