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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Miquel und Bennigsen

können sie niemand anders als ihn selber, daß es so gekommen ist. Vielleicht
dürften sie auch mit gutem Recht den schweren Posten auf ihr eignes Konto
bringen, aber das steht auf einem andern Blatte und soll uns hier nicht be¬
kümmern. Ohne Zweifel ist es gut so. wie es gekommen ist, selbst für die
nationalliberale Partei. Bennigsen wird gehen, aber Miqnel bleibt. Freilich
kann ihn die Partei nicht wohl als den ihrigen anerkennen, doch bewährt sich
auch hier vielleicht der Spruch, daß der Stein, den die Bauleute verworfen
haben, zum Eckstein werden wird. Es giebt Leute, die behaupten, daß
Bennigsen von der Partei hinabgezogen und von dem Bleigewicht des Partei¬
programms erdrückt worden sei. Lassen wir das dahingestellt, und hoffen
wir, daß Miqnel sie wieder zu sich emporhebt und von der Bürde an ihren
Füßen befreit. Die nationalliberale Partei muß wieder richtig gehen lernen,
sie ist mit ihrem liberalen linken Beine nicht minder ins Humpeln gekommen,
als mit ihrem nationalen rechten.

Ach, was hat man nicht alles an dem Manne, der jetzt gekommen ist.
auszusetzen gehabt! Man hat ihm die Auslassungen seiner brausenden Jugend
zum Vorwurf gemacht und ihn getadelt, daß er den politischen Ansichten seiner
zwanziger Jahre nicht treu geblieben sei. Als ob bloß die Sozialdemokraten
das Recht hätten, sich zu mausern, und als ob es nicht auch Miquel zustünde,
mit seinen höhern Zielen zu wachsen! Muß denn durchaus jeder zur Partei¬
mumie werden wie der Abgeordnete Liebknecht? Es sollte doch eitel Freude
unter den Menschen sein, daß der Geist, der in allen Einzelwesen der ihrige
ist, die Fähigkeit hat, jeden Augenblick neues Licht in sich aufzunehmen und
es zum besten von seinesgleichen wieder auszustrahlen. Der neue Vize-
Präsident des preußischen Staatsministeriums soll von einem ungeheuern Ehr¬
geiz geplagt sein, und man beruft sich dabei auf ein Wort Bismarcks. Mag
sein, aber er hat diesen Ehrgeiz nirgends anders als im Dienst einer All¬
gemeinheit geltend gemacht. Man kaun sich über vieles in der Welt ärgern,
aber man sollte keinen Anstoß an einer Eigenschaft nehmen, die auch das
Erbteil aller und jedenfalls die Mutter alles Guten und Schönen auf Erden
ist- Oder ist nicht etwa der persönliche Trieb überall das erste, das die Dinge
in Fluß bringt?

Für Leute, die keinen Sinn sür das Wesen Miquels haben, schimmert
er in allen Farben des Chamäleons. Eugen Richter hat das in die Worte
aus Wallensteins Lager gekleidet: Weiß doch niemand, an wen der glaubt!
Ist das Zufall, oder thut sich hier wirklich eine tiefere Beziehung kund? Der
freisinnige Volkstribun hat in der That hänfig etwas von dem eifernden
Kapuziner um sich, der selbst für die Größe Wallensteins das Maß in seiner
Kutte trägt. Für wen hätte es der "Unentwegte" nicht immer in der Tasche
gehabt? Er hat Bismarck gemeistert, und Miquel ist an das Anlegen seiner
Schablone schon so gewöhnt, daß sie ihm schon lange nicht mehr Unbequem-


Miquel und Bennigsen

können sie niemand anders als ihn selber, daß es so gekommen ist. Vielleicht
dürften sie auch mit gutem Recht den schweren Posten auf ihr eignes Konto
bringen, aber das steht auf einem andern Blatte und soll uns hier nicht be¬
kümmern. Ohne Zweifel ist es gut so. wie es gekommen ist, selbst für die
nationalliberale Partei. Bennigsen wird gehen, aber Miqnel bleibt. Freilich
kann ihn die Partei nicht wohl als den ihrigen anerkennen, doch bewährt sich
auch hier vielleicht der Spruch, daß der Stein, den die Bauleute verworfen
haben, zum Eckstein werden wird. Es giebt Leute, die behaupten, daß
Bennigsen von der Partei hinabgezogen und von dem Bleigewicht des Partei¬
programms erdrückt worden sei. Lassen wir das dahingestellt, und hoffen
wir, daß Miqnel sie wieder zu sich emporhebt und von der Bürde an ihren
Füßen befreit. Die nationalliberale Partei muß wieder richtig gehen lernen,
sie ist mit ihrem liberalen linken Beine nicht minder ins Humpeln gekommen,
als mit ihrem nationalen rechten.

Ach, was hat man nicht alles an dem Manne, der jetzt gekommen ist.
auszusetzen gehabt! Man hat ihm die Auslassungen seiner brausenden Jugend
zum Vorwurf gemacht und ihn getadelt, daß er den politischen Ansichten seiner
zwanziger Jahre nicht treu geblieben sei. Als ob bloß die Sozialdemokraten
das Recht hätten, sich zu mausern, und als ob es nicht auch Miquel zustünde,
mit seinen höhern Zielen zu wachsen! Muß denn durchaus jeder zur Partei¬
mumie werden wie der Abgeordnete Liebknecht? Es sollte doch eitel Freude
unter den Menschen sein, daß der Geist, der in allen Einzelwesen der ihrige
ist, die Fähigkeit hat, jeden Augenblick neues Licht in sich aufzunehmen und
es zum besten von seinesgleichen wieder auszustrahlen. Der neue Vize-
Präsident des preußischen Staatsministeriums soll von einem ungeheuern Ehr¬
geiz geplagt sein, und man beruft sich dabei auf ein Wort Bismarcks. Mag
sein, aber er hat diesen Ehrgeiz nirgends anders als im Dienst einer All¬
gemeinheit geltend gemacht. Man kaun sich über vieles in der Welt ärgern,
aber man sollte keinen Anstoß an einer Eigenschaft nehmen, die auch das
Erbteil aller und jedenfalls die Mutter alles Guten und Schönen auf Erden
ist- Oder ist nicht etwa der persönliche Trieb überall das erste, das die Dinge
in Fluß bringt?

Für Leute, die keinen Sinn sür das Wesen Miquels haben, schimmert
er in allen Farben des Chamäleons. Eugen Richter hat das in die Worte
aus Wallensteins Lager gekleidet: Weiß doch niemand, an wen der glaubt!
Ist das Zufall, oder thut sich hier wirklich eine tiefere Beziehung kund? Der
freisinnige Volkstribun hat in der That hänfig etwas von dem eifernden
Kapuziner um sich, der selbst für die Größe Wallensteins das Maß in seiner
Kutte trägt. Für wen hätte es der „Unentwegte" nicht immer in der Tasche
gehabt? Er hat Bismarck gemeistert, und Miquel ist an das Anlegen seiner
Schablone schon so gewöhnt, daß sie ihm schon lange nicht mehr Unbequem-


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[0351] Miquel und Bennigsen können sie niemand anders als ihn selber, daß es so gekommen ist. Vielleicht dürften sie auch mit gutem Recht den schweren Posten auf ihr eignes Konto bringen, aber das steht auf einem andern Blatte und soll uns hier nicht be¬ kümmern. Ohne Zweifel ist es gut so. wie es gekommen ist, selbst für die nationalliberale Partei. Bennigsen wird gehen, aber Miqnel bleibt. Freilich kann ihn die Partei nicht wohl als den ihrigen anerkennen, doch bewährt sich auch hier vielleicht der Spruch, daß der Stein, den die Bauleute verworfen haben, zum Eckstein werden wird. Es giebt Leute, die behaupten, daß Bennigsen von der Partei hinabgezogen und von dem Bleigewicht des Partei¬ programms erdrückt worden sei. Lassen wir das dahingestellt, und hoffen wir, daß Miqnel sie wieder zu sich emporhebt und von der Bürde an ihren Füßen befreit. Die nationalliberale Partei muß wieder richtig gehen lernen, sie ist mit ihrem liberalen linken Beine nicht minder ins Humpeln gekommen, als mit ihrem nationalen rechten. Ach, was hat man nicht alles an dem Manne, der jetzt gekommen ist. auszusetzen gehabt! Man hat ihm die Auslassungen seiner brausenden Jugend zum Vorwurf gemacht und ihn getadelt, daß er den politischen Ansichten seiner zwanziger Jahre nicht treu geblieben sei. Als ob bloß die Sozialdemokraten das Recht hätten, sich zu mausern, und als ob es nicht auch Miquel zustünde, mit seinen höhern Zielen zu wachsen! Muß denn durchaus jeder zur Partei¬ mumie werden wie der Abgeordnete Liebknecht? Es sollte doch eitel Freude unter den Menschen sein, daß der Geist, der in allen Einzelwesen der ihrige ist, die Fähigkeit hat, jeden Augenblick neues Licht in sich aufzunehmen und es zum besten von seinesgleichen wieder auszustrahlen. Der neue Vize- Präsident des preußischen Staatsministeriums soll von einem ungeheuern Ehr¬ geiz geplagt sein, und man beruft sich dabei auf ein Wort Bismarcks. Mag sein, aber er hat diesen Ehrgeiz nirgends anders als im Dienst einer All¬ gemeinheit geltend gemacht. Man kaun sich über vieles in der Welt ärgern, aber man sollte keinen Anstoß an einer Eigenschaft nehmen, die auch das Erbteil aller und jedenfalls die Mutter alles Guten und Schönen auf Erden ist- Oder ist nicht etwa der persönliche Trieb überall das erste, das die Dinge in Fluß bringt? Für Leute, die keinen Sinn sür das Wesen Miquels haben, schimmert er in allen Farben des Chamäleons. Eugen Richter hat das in die Worte aus Wallensteins Lager gekleidet: Weiß doch niemand, an wen der glaubt! Ist das Zufall, oder thut sich hier wirklich eine tiefere Beziehung kund? Der freisinnige Volkstribun hat in der That hänfig etwas von dem eifernden Kapuziner um sich, der selbst für die Größe Wallensteins das Maß in seiner Kutte trägt. Für wen hätte es der „Unentwegte" nicht immer in der Tasche gehabt? Er hat Bismarck gemeistert, und Miquel ist an das Anlegen seiner Schablone schon so gewöhnt, daß sie ihm schon lange nicht mehr Unbequem-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/351>, abgerufen am 24.07.2024.