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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Miquel und Bennigsen

sie in solchen Augenblicken nur aus sich selbst bestimmen könnten, ob und wie
weit sie dem Zuge folgen wollen, der von dem Atem des Meeres ausgeht,
aber das ist es ja gerade, daß die Entscheidung darüber nicht in ihrem Be¬
lieben liegt, sondern daß es von der Berührung abhängt, in die sie mit andern
Nationen geraten. Deutschland ist, nachdem es 1866 seine Einheit begründet
und im Jahre 1870 den endgiltigen Beweis sür das Recht seines nationalen
Bestehens gebracht hat, mit jedem Jahre fester von den Klammern dieser Not¬
wendigkeit umfaßt worden, und das ist, wenn man sich nur den Inhalt der
genannten Jahre vergegenwärtigt, ein so naturnotwendiger Zug, wie nur
jemals einer in dem Leben eines Volkes sichtbar geworden ist. Auf die mit
Blut und Eisen herbeigeführte Einigung folgte der mit denselben Mitteln ge¬
brachte Berechtigungsnachweis für die europäische Stellung des neuen Reichs;
es muß, und wenn es auch nicht wollte, in derselben Weise den Beweis für
das Recht der von ihm erstrebten Weltmachtstellung bringen. Es ist eine
ebenso heilige nationale Pflicht, diese Machtstellung zu erstreben und mit
allen Mitteln zu behaupten, wie jede von den Obliegenheiten, deren sich
das deutsche Volk unter Führung seiner besten Männer mit so viel Geschick
erledigt hat.

Unter Führung seiner besten Männer! Zu ihnen gehörte in erster
Reihe Rudolf von Bennigsen. Keiner hatte in den großen Jahren ein besseres
Verständnis sür das, was geschehen mußte, als der Gründer des National¬
vereins. Und jetzt? Er, dessen Schlachtruf die Müdesten aus dem Schlafe
aufweckte, ist säumig und Vertreter einer Zauderpolitik geworden, die glaubt,
mit der Ausführung eines Flottenbauplcms, der noch nicht einmal ausreicht,
jahrelang warten zu können. Bennigsen empfiehlt in einer Angelegenheit, die
keinen Augenblick Wartens verträgt, eine Staatskunst des Lavirens und Wind-
abfangens an Stellen, wo sich irgend ein Lüftchen regen mag. Wenn es dieses
Jahr noch nicht ist, so geschieht es das nächste; mag sich die Regierung nur
auf uns verlassen. Aber sie darf nur nicht an Auflösung des Reichstags
oder gar an einen Konflikt denken, darnach ist die Sache nicht angethan. Die
Lauheit, mit der der nationalliberale Führer für die wichtigste Sache eintrat,
die seit den Tagen der Armeereorganisation eine deutsche Volksvertretung be¬
schäftigt hat, wurde noch bezeichnender dadurch, daß er den Gegenparteien die
Versicherung gab, die einmalige Bewilligung verpflichte den Reichstag keines¬
wegs, auch die demnächstige Forderung der Regierung gutzuheißen. Heiliger
Markus Tullius aus schwerer römischer Konfliktszeit, was war das trotz alles
rhetorischen Schmuckes für eine schlaffe Rede! Schlaffer hast du die deinige
auch nicht gehalten, als du vor einem Verfassungsbruch zittertest, der doch so
notwendig war, wenn die Republik erhalten werden sollte.

Die Jünger mögen es beklagen, daß der Meister sein Amt niederlegen
und zugleich auf seine parlamentarische Thätigkeit verzichten will, aber anklagen


Miquel und Bennigsen

sie in solchen Augenblicken nur aus sich selbst bestimmen könnten, ob und wie
weit sie dem Zuge folgen wollen, der von dem Atem des Meeres ausgeht,
aber das ist es ja gerade, daß die Entscheidung darüber nicht in ihrem Be¬
lieben liegt, sondern daß es von der Berührung abhängt, in die sie mit andern
Nationen geraten. Deutschland ist, nachdem es 1866 seine Einheit begründet
und im Jahre 1870 den endgiltigen Beweis sür das Recht seines nationalen
Bestehens gebracht hat, mit jedem Jahre fester von den Klammern dieser Not¬
wendigkeit umfaßt worden, und das ist, wenn man sich nur den Inhalt der
genannten Jahre vergegenwärtigt, ein so naturnotwendiger Zug, wie nur
jemals einer in dem Leben eines Volkes sichtbar geworden ist. Auf die mit
Blut und Eisen herbeigeführte Einigung folgte der mit denselben Mitteln ge¬
brachte Berechtigungsnachweis für die europäische Stellung des neuen Reichs;
es muß, und wenn es auch nicht wollte, in derselben Weise den Beweis für
das Recht der von ihm erstrebten Weltmachtstellung bringen. Es ist eine
ebenso heilige nationale Pflicht, diese Machtstellung zu erstreben und mit
allen Mitteln zu behaupten, wie jede von den Obliegenheiten, deren sich
das deutsche Volk unter Führung seiner besten Männer mit so viel Geschick
erledigt hat.

Unter Führung seiner besten Männer! Zu ihnen gehörte in erster
Reihe Rudolf von Bennigsen. Keiner hatte in den großen Jahren ein besseres
Verständnis sür das, was geschehen mußte, als der Gründer des National¬
vereins. Und jetzt? Er, dessen Schlachtruf die Müdesten aus dem Schlafe
aufweckte, ist säumig und Vertreter einer Zauderpolitik geworden, die glaubt,
mit der Ausführung eines Flottenbauplcms, der noch nicht einmal ausreicht,
jahrelang warten zu können. Bennigsen empfiehlt in einer Angelegenheit, die
keinen Augenblick Wartens verträgt, eine Staatskunst des Lavirens und Wind-
abfangens an Stellen, wo sich irgend ein Lüftchen regen mag. Wenn es dieses
Jahr noch nicht ist, so geschieht es das nächste; mag sich die Regierung nur
auf uns verlassen. Aber sie darf nur nicht an Auflösung des Reichstags
oder gar an einen Konflikt denken, darnach ist die Sache nicht angethan. Die
Lauheit, mit der der nationalliberale Führer für die wichtigste Sache eintrat,
die seit den Tagen der Armeereorganisation eine deutsche Volksvertretung be¬
schäftigt hat, wurde noch bezeichnender dadurch, daß er den Gegenparteien die
Versicherung gab, die einmalige Bewilligung verpflichte den Reichstag keines¬
wegs, auch die demnächstige Forderung der Regierung gutzuheißen. Heiliger
Markus Tullius aus schwerer römischer Konfliktszeit, was war das trotz alles
rhetorischen Schmuckes für eine schlaffe Rede! Schlaffer hast du die deinige
auch nicht gehalten, als du vor einem Verfassungsbruch zittertest, der doch so
notwendig war, wenn die Republik erhalten werden sollte.

Die Jünger mögen es beklagen, daß der Meister sein Amt niederlegen
und zugleich auf seine parlamentarische Thätigkeit verzichten will, aber anklagen


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[0350] Miquel und Bennigsen sie in solchen Augenblicken nur aus sich selbst bestimmen könnten, ob und wie weit sie dem Zuge folgen wollen, der von dem Atem des Meeres ausgeht, aber das ist es ja gerade, daß die Entscheidung darüber nicht in ihrem Be¬ lieben liegt, sondern daß es von der Berührung abhängt, in die sie mit andern Nationen geraten. Deutschland ist, nachdem es 1866 seine Einheit begründet und im Jahre 1870 den endgiltigen Beweis sür das Recht seines nationalen Bestehens gebracht hat, mit jedem Jahre fester von den Klammern dieser Not¬ wendigkeit umfaßt worden, und das ist, wenn man sich nur den Inhalt der genannten Jahre vergegenwärtigt, ein so naturnotwendiger Zug, wie nur jemals einer in dem Leben eines Volkes sichtbar geworden ist. Auf die mit Blut und Eisen herbeigeführte Einigung folgte der mit denselben Mitteln ge¬ brachte Berechtigungsnachweis für die europäische Stellung des neuen Reichs; es muß, und wenn es auch nicht wollte, in derselben Weise den Beweis für das Recht der von ihm erstrebten Weltmachtstellung bringen. Es ist eine ebenso heilige nationale Pflicht, diese Machtstellung zu erstreben und mit allen Mitteln zu behaupten, wie jede von den Obliegenheiten, deren sich das deutsche Volk unter Führung seiner besten Männer mit so viel Geschick erledigt hat. Unter Führung seiner besten Männer! Zu ihnen gehörte in erster Reihe Rudolf von Bennigsen. Keiner hatte in den großen Jahren ein besseres Verständnis sür das, was geschehen mußte, als der Gründer des National¬ vereins. Und jetzt? Er, dessen Schlachtruf die Müdesten aus dem Schlafe aufweckte, ist säumig und Vertreter einer Zauderpolitik geworden, die glaubt, mit der Ausführung eines Flottenbauplcms, der noch nicht einmal ausreicht, jahrelang warten zu können. Bennigsen empfiehlt in einer Angelegenheit, die keinen Augenblick Wartens verträgt, eine Staatskunst des Lavirens und Wind- abfangens an Stellen, wo sich irgend ein Lüftchen regen mag. Wenn es dieses Jahr noch nicht ist, so geschieht es das nächste; mag sich die Regierung nur auf uns verlassen. Aber sie darf nur nicht an Auflösung des Reichstags oder gar an einen Konflikt denken, darnach ist die Sache nicht angethan. Die Lauheit, mit der der nationalliberale Führer für die wichtigste Sache eintrat, die seit den Tagen der Armeereorganisation eine deutsche Volksvertretung be¬ schäftigt hat, wurde noch bezeichnender dadurch, daß er den Gegenparteien die Versicherung gab, die einmalige Bewilligung verpflichte den Reichstag keines¬ wegs, auch die demnächstige Forderung der Regierung gutzuheißen. Heiliger Markus Tullius aus schwerer römischer Konfliktszeit, was war das trotz alles rhetorischen Schmuckes für eine schlaffe Rede! Schlaffer hast du die deinige auch nicht gehalten, als du vor einem Verfassungsbruch zittertest, der doch so notwendig war, wenn die Republik erhalten werden sollte. Die Jünger mögen es beklagen, daß der Meister sein Amt niederlegen und zugleich auf seine parlamentarische Thätigkeit verzichten will, aber anklagen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/350>, abgerufen am 24.07.2024.