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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Jeremias Gotthelf

Kampfes oft zu weit gegangen, er war eben ein kampflustiger Mann, der keine
Rücksicht kannte, aber wenn er auch gegen die neue Volksbildung losgezogen
ist, die ihm auf nichtsnutzige Halbbildung hinzuarbeiten schien, wenn ihm die
moderne Rechtspflege zu dumm erschien und er gelegentlich die gute alte Zeit,
die Herrschaft der alten selbstherrlichen Verner Amtmänner der der modernen
Regierer von Partei-Gnaden vorzog, so erscheint das uns wohl verstündlich,
und man darf darüber nicht vergessen, daß es eine Zeit gegeben hat, wo
Gotthelf selbst für bessern Volksunterricht eingetreten ist, daß er auch die alte
Willkürherrschaft geschildert und sich der Armen und Unterdrückten jederzeit
angenommen hat. Ein Reaktionär war er nicht, nicht einmal ein konservativer
Parteimann, sondern einer jener natürlichen Konservativen, denen die Erhaltung
der Volkskraft und -gesundheit vor allem am Herzen liegt. Daß der Libera¬
lismus, so notwendig er auch für die allgemeine Entwicklung war, diese viel¬
fach geschwächt hat, kann der geschichtliche Rückblick von heute gar nicht be¬
streiten. Hat aber Gotthelf die alten Besitzverhültnisse aufrecht erhalten wollen,
die sozialen Rechte der Besitzenden verteidigt, so hat er auch eindringlicher
als irgend ein andrer die sozialen Pflichten der Besitzenden gepredigt, schon
weil er ein rechter Priester vor dem Herrn, dann aber anch ein klarblickender
und wohlwollender Mann war. Wenn man seine Werke in ihrer Gesamtheit
betrachtet, so wird man erkennen, daß man es bei Gotthelf mit einem Kon-
servatismus der edelsten Art zu thun hat, der nicht auf Dickköpsigkeit, Hart¬
näckigkeit und Schrullenhaftigkeit, sondern einzig und allein auf warmer Liebe
zur Heimat und zum Volke beruht und zu einem gesunden Demokratismus
durchaus nicht in Gegensatz tritt. Das konnte der politisch befangne Keller,
der als Künstler auch nicht gerade hervorragend "sozial" angelegt war, damals
nicht sehen. Und doch hat ihn sein gesunder Menschenverstand und sein
Gerechtigkeitsgefühl Gotthelf nicht völlig verkennen lassen; nachdem er ihm in
den frühern Teilen seines Aufsatzes die gewöhnlichste Demagogie vorgeworfen
hat, sieht er sich am Schluß, bei Gotthelfs Tod, doch veranlaßt, einzugestehen,
daß er bei aller Leidenschaftlichkeit kein Reaktionär "im schlechter" Sinne des
Wortes und mit allen gangbaren Nebenbedeutungen" gewesen sei: "Trotzdem
er in seinem Genie und seiner gewonnenen Verbreitung die besten Mittel dazu
hatte, that er nie den unschuldigsten Schritt, jenen schlechten Kreisen der großen
Welt, welche sür so viele litterarische Reaktionärlinge die Lebensluft liefern,
entgegenzukommen; keinen einzigen derben oder unästhetischen Ausdruck strich
er, um sich für den Salon der hochmögenden Nesidenzdame möglicher zu
macheu; nie schielte er mit servilen Blick nach fremder Gunst, und nie ver¬
leugnete er seinen angebornen Republikanismus und das Schweizertnm, welches
er meinte, und nie lobte er andres aus dessen Kosten. Was er sündigte,
sündigte er vollständig su tainillö und mit dem Wahlspruch: "Euch andre
geht es nichts an." Er monärchelte nicht, er katholisirte nicht, jcsuiterte nicht,


Jeremias Gotthelf

Kampfes oft zu weit gegangen, er war eben ein kampflustiger Mann, der keine
Rücksicht kannte, aber wenn er auch gegen die neue Volksbildung losgezogen
ist, die ihm auf nichtsnutzige Halbbildung hinzuarbeiten schien, wenn ihm die
moderne Rechtspflege zu dumm erschien und er gelegentlich die gute alte Zeit,
die Herrschaft der alten selbstherrlichen Verner Amtmänner der der modernen
Regierer von Partei-Gnaden vorzog, so erscheint das uns wohl verstündlich,
und man darf darüber nicht vergessen, daß es eine Zeit gegeben hat, wo
Gotthelf selbst für bessern Volksunterricht eingetreten ist, daß er auch die alte
Willkürherrschaft geschildert und sich der Armen und Unterdrückten jederzeit
angenommen hat. Ein Reaktionär war er nicht, nicht einmal ein konservativer
Parteimann, sondern einer jener natürlichen Konservativen, denen die Erhaltung
der Volkskraft und -gesundheit vor allem am Herzen liegt. Daß der Libera¬
lismus, so notwendig er auch für die allgemeine Entwicklung war, diese viel¬
fach geschwächt hat, kann der geschichtliche Rückblick von heute gar nicht be¬
streiten. Hat aber Gotthelf die alten Besitzverhültnisse aufrecht erhalten wollen,
die sozialen Rechte der Besitzenden verteidigt, so hat er auch eindringlicher
als irgend ein andrer die sozialen Pflichten der Besitzenden gepredigt, schon
weil er ein rechter Priester vor dem Herrn, dann aber anch ein klarblickender
und wohlwollender Mann war. Wenn man seine Werke in ihrer Gesamtheit
betrachtet, so wird man erkennen, daß man es bei Gotthelf mit einem Kon-
servatismus der edelsten Art zu thun hat, der nicht auf Dickköpsigkeit, Hart¬
näckigkeit und Schrullenhaftigkeit, sondern einzig und allein auf warmer Liebe
zur Heimat und zum Volke beruht und zu einem gesunden Demokratismus
durchaus nicht in Gegensatz tritt. Das konnte der politisch befangne Keller,
der als Künstler auch nicht gerade hervorragend „sozial" angelegt war, damals
nicht sehen. Und doch hat ihn sein gesunder Menschenverstand und sein
Gerechtigkeitsgefühl Gotthelf nicht völlig verkennen lassen; nachdem er ihm in
den frühern Teilen seines Aufsatzes die gewöhnlichste Demagogie vorgeworfen
hat, sieht er sich am Schluß, bei Gotthelfs Tod, doch veranlaßt, einzugestehen,
daß er bei aller Leidenschaftlichkeit kein Reaktionär „im schlechter» Sinne des
Wortes und mit allen gangbaren Nebenbedeutungen" gewesen sei: „Trotzdem
er in seinem Genie und seiner gewonnenen Verbreitung die besten Mittel dazu
hatte, that er nie den unschuldigsten Schritt, jenen schlechten Kreisen der großen
Welt, welche sür so viele litterarische Reaktionärlinge die Lebensluft liefern,
entgegenzukommen; keinen einzigen derben oder unästhetischen Ausdruck strich
er, um sich für den Salon der hochmögenden Nesidenzdame möglicher zu
macheu; nie schielte er mit servilen Blick nach fremder Gunst, und nie ver¬
leugnete er seinen angebornen Republikanismus und das Schweizertnm, welches
er meinte, und nie lobte er andres aus dessen Kosten. Was er sündigte,
sündigte er vollständig su tainillö und mit dem Wahlspruch: »Euch andre
geht es nichts an.« Er monärchelte nicht, er katholisirte nicht, jcsuiterte nicht,


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[0336] Jeremias Gotthelf Kampfes oft zu weit gegangen, er war eben ein kampflustiger Mann, der keine Rücksicht kannte, aber wenn er auch gegen die neue Volksbildung losgezogen ist, die ihm auf nichtsnutzige Halbbildung hinzuarbeiten schien, wenn ihm die moderne Rechtspflege zu dumm erschien und er gelegentlich die gute alte Zeit, die Herrschaft der alten selbstherrlichen Verner Amtmänner der der modernen Regierer von Partei-Gnaden vorzog, so erscheint das uns wohl verstündlich, und man darf darüber nicht vergessen, daß es eine Zeit gegeben hat, wo Gotthelf selbst für bessern Volksunterricht eingetreten ist, daß er auch die alte Willkürherrschaft geschildert und sich der Armen und Unterdrückten jederzeit angenommen hat. Ein Reaktionär war er nicht, nicht einmal ein konservativer Parteimann, sondern einer jener natürlichen Konservativen, denen die Erhaltung der Volkskraft und -gesundheit vor allem am Herzen liegt. Daß der Libera¬ lismus, so notwendig er auch für die allgemeine Entwicklung war, diese viel¬ fach geschwächt hat, kann der geschichtliche Rückblick von heute gar nicht be¬ streiten. Hat aber Gotthelf die alten Besitzverhültnisse aufrecht erhalten wollen, die sozialen Rechte der Besitzenden verteidigt, so hat er auch eindringlicher als irgend ein andrer die sozialen Pflichten der Besitzenden gepredigt, schon weil er ein rechter Priester vor dem Herrn, dann aber anch ein klarblickender und wohlwollender Mann war. Wenn man seine Werke in ihrer Gesamtheit betrachtet, so wird man erkennen, daß man es bei Gotthelf mit einem Kon- servatismus der edelsten Art zu thun hat, der nicht auf Dickköpsigkeit, Hart¬ näckigkeit und Schrullenhaftigkeit, sondern einzig und allein auf warmer Liebe zur Heimat und zum Volke beruht und zu einem gesunden Demokratismus durchaus nicht in Gegensatz tritt. Das konnte der politisch befangne Keller, der als Künstler auch nicht gerade hervorragend „sozial" angelegt war, damals nicht sehen. Und doch hat ihn sein gesunder Menschenverstand und sein Gerechtigkeitsgefühl Gotthelf nicht völlig verkennen lassen; nachdem er ihm in den frühern Teilen seines Aufsatzes die gewöhnlichste Demagogie vorgeworfen hat, sieht er sich am Schluß, bei Gotthelfs Tod, doch veranlaßt, einzugestehen, daß er bei aller Leidenschaftlichkeit kein Reaktionär „im schlechter» Sinne des Wortes und mit allen gangbaren Nebenbedeutungen" gewesen sei: „Trotzdem er in seinem Genie und seiner gewonnenen Verbreitung die besten Mittel dazu hatte, that er nie den unschuldigsten Schritt, jenen schlechten Kreisen der großen Welt, welche sür so viele litterarische Reaktionärlinge die Lebensluft liefern, entgegenzukommen; keinen einzigen derben oder unästhetischen Ausdruck strich er, um sich für den Salon der hochmögenden Nesidenzdame möglicher zu macheu; nie schielte er mit servilen Blick nach fremder Gunst, und nie ver¬ leugnete er seinen angebornen Republikanismus und das Schweizertnm, welches er meinte, und nie lobte er andres aus dessen Kosten. Was er sündigte, sündigte er vollständig su tainillö und mit dem Wahlspruch: »Euch andre geht es nichts an.« Er monärchelte nicht, er katholisirte nicht, jcsuiterte nicht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/336>, abgerufen am 29.12.2024.