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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Vererbung

Körpersubstanz dem täglichen Stoffwechsel unterliegt; aber wie der Korper
trotz unaufhörlichem Stoffwechsel der Form nach derselbe bleibt, so bleibt auch
die Struktur und Schöpferkraft des Keimplasmas im Strom des Stoffwechsels
dieselbe. Bei den Pflanzen und vielen niedern Tieren ist aber dem Körper-
Plasma noch eine andre Portion gebundnes Jdioplasma beigemischt: das sür
die Wiedererzeugung Verlorner Glieder erforderliche Nebenidioplasma mit seinen
Ersakdetcrminanten. Den Eidechsen wächst der abgebrochne Schwanz wieder
nach, und der Salamander vermag ein Verlornes Veiu bis sechsmal hmterem-
nnder wieder zu erzeugen. Die Knochen- und .Hautzellen, von denen das
Wachstum der Verlornen Teile ausgeht, müssen demnach mit Ersatzdetermumnten
für alle einzelnen Teile, z. B. für ein Bein mit seinen Gelenken. Knochen.
Muskeln. Zehen usw. versehen sein, und zwar so vielfach, als dre Wieder-
erzeugung des Gliedes möglich ist. Dem Rumpfe wächst ein neuer Schwanz,
uicht aber dem Schwänze ein neuer Rumpf einschließlich des Kopfes. Dieses
kommt jedoch bei manchen Ringelwürmern vor. die. zerschnitten, sowohl den
vordern wie den hintern Teil wieder zu einem vollständigen Tiere ergänzen;
hier müssen also sehr viele Zellen sowohl für das Kopfende wie fürs Schwanz¬
ende Ersatzdeterminanten haben. Polypen ergänzen nicht allein das Vorderteil
und das Hinterteil, sondern auch das Seitenteil, wenn sie der Länge nach
durchschnitten werden; sie brauchen also dreierlei Ersatzdeterminanten. Die
Pflanzen haben weit weniger Regenerationskraft als manche Klaffen der niedern
Tiere, weil sie sie, wie Weismnnn ausführt, uicht brauchen. Das verletzte
Vlatt braucht sich nicht zu ergänzen, weil die Pflanze jederzeit genug neue
Blätter treibt. Es wäre also kein Vorteil für die Pflanze, wenn sie ein Loch
im Blatte auszufüllen vermöchte. "Sie kann an vielen Orten Knospen zur
Entfaltung bringen und gewinnt dadurch viel mehr, als dnrch die Vervoll¬
ständigung einzelner Blätter für sie zu gewinnen gewesen wäre. Sie konnte
der Regeneration entbehren, da sie die weit ausgiebigere Knospung hat"
<A 178). Natürlich erfordert auch die Knospung ein Jdioplasma an der
Stelle, von wo sie ausgeht; nach Weismann ist das Knospenidioplasma auch
dann, wenn es die vollständige Pflanze hervorzutreiben vermag, mit dem
Keimplasma uicht völlig identisch, sondern enthält die Determinanten in etwas
andrer Gruppirung, weil der Schoß nur daun Wurzeln treibt, wenn er von
der Stammpflanze getrennt wird, die Wurzeln also später als die übrigen
Teile, während bei der Entwicklung aus dem Keime das umgekehrte der Fall
ist(in 219 bis 220). Wir erlauben uns dabei die vom streng darwinischen Stand¬
punkte aus ketzerische Bemerkung, daß den höheren Tieren und dem Menschen
die Regenerationskraft versagt bleiben mußte, weil ihr Besitz ein Anreiz zu den
furchtbarsten Grausamkeiten sein und den Menschen noch mehr sittlich herunter¬
bringen würde, als er schon oft herunterkommt; übrigens ließe sich vielleicht
mancher gern einen neuen Kopf wachsen; freilich würde dieser nach der Determi¬
nantenlehre wohl nicht anders ausfallen als der ursprüngliche.


Vererbung

Körpersubstanz dem täglichen Stoffwechsel unterliegt; aber wie der Korper
trotz unaufhörlichem Stoffwechsel der Form nach derselbe bleibt, so bleibt auch
die Struktur und Schöpferkraft des Keimplasmas im Strom des Stoffwechsels
dieselbe. Bei den Pflanzen und vielen niedern Tieren ist aber dem Körper-
Plasma noch eine andre Portion gebundnes Jdioplasma beigemischt: das sür
die Wiedererzeugung Verlorner Glieder erforderliche Nebenidioplasma mit seinen
Ersakdetcrminanten. Den Eidechsen wächst der abgebrochne Schwanz wieder
nach, und der Salamander vermag ein Verlornes Veiu bis sechsmal hmterem-
nnder wieder zu erzeugen. Die Knochen- und .Hautzellen, von denen das
Wachstum der Verlornen Teile ausgeht, müssen demnach mit Ersatzdetermumnten
für alle einzelnen Teile, z. B. für ein Bein mit seinen Gelenken. Knochen.
Muskeln. Zehen usw. versehen sein, und zwar so vielfach, als dre Wieder-
erzeugung des Gliedes möglich ist. Dem Rumpfe wächst ein neuer Schwanz,
uicht aber dem Schwänze ein neuer Rumpf einschließlich des Kopfes. Dieses
kommt jedoch bei manchen Ringelwürmern vor. die. zerschnitten, sowohl den
vordern wie den hintern Teil wieder zu einem vollständigen Tiere ergänzen;
hier müssen also sehr viele Zellen sowohl für das Kopfende wie fürs Schwanz¬
ende Ersatzdeterminanten haben. Polypen ergänzen nicht allein das Vorderteil
und das Hinterteil, sondern auch das Seitenteil, wenn sie der Länge nach
durchschnitten werden; sie brauchen also dreierlei Ersatzdeterminanten. Die
Pflanzen haben weit weniger Regenerationskraft als manche Klaffen der niedern
Tiere, weil sie sie, wie Weismnnn ausführt, uicht brauchen. Das verletzte
Vlatt braucht sich nicht zu ergänzen, weil die Pflanze jederzeit genug neue
Blätter treibt. Es wäre also kein Vorteil für die Pflanze, wenn sie ein Loch
im Blatte auszufüllen vermöchte. „Sie kann an vielen Orten Knospen zur
Entfaltung bringen und gewinnt dadurch viel mehr, als dnrch die Vervoll¬
ständigung einzelner Blätter für sie zu gewinnen gewesen wäre. Sie konnte
der Regeneration entbehren, da sie die weit ausgiebigere Knospung hat"
<A 178). Natürlich erfordert auch die Knospung ein Jdioplasma an der
Stelle, von wo sie ausgeht; nach Weismann ist das Knospenidioplasma auch
dann, wenn es die vollständige Pflanze hervorzutreiben vermag, mit dem
Keimplasma uicht völlig identisch, sondern enthält die Determinanten in etwas
andrer Gruppirung, weil der Schoß nur daun Wurzeln treibt, wenn er von
der Stammpflanze getrennt wird, die Wurzeln also später als die übrigen
Teile, während bei der Entwicklung aus dem Keime das umgekehrte der Fall
ist(in 219 bis 220). Wir erlauben uns dabei die vom streng darwinischen Stand¬
punkte aus ketzerische Bemerkung, daß den höheren Tieren und dem Menschen
die Regenerationskraft versagt bleiben mußte, weil ihr Besitz ein Anreiz zu den
furchtbarsten Grausamkeiten sein und den Menschen noch mehr sittlich herunter¬
bringen würde, als er schon oft herunterkommt; übrigens ließe sich vielleicht
mancher gern einen neuen Kopf wachsen; freilich würde dieser nach der Determi¬
nantenlehre wohl nicht anders ausfallen als der ursprüngliche.


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[0031] Vererbung Körpersubstanz dem täglichen Stoffwechsel unterliegt; aber wie der Korper trotz unaufhörlichem Stoffwechsel der Form nach derselbe bleibt, so bleibt auch die Struktur und Schöpferkraft des Keimplasmas im Strom des Stoffwechsels dieselbe. Bei den Pflanzen und vielen niedern Tieren ist aber dem Körper- Plasma noch eine andre Portion gebundnes Jdioplasma beigemischt: das sür die Wiedererzeugung Verlorner Glieder erforderliche Nebenidioplasma mit seinen Ersakdetcrminanten. Den Eidechsen wächst der abgebrochne Schwanz wieder nach, und der Salamander vermag ein Verlornes Veiu bis sechsmal hmterem- nnder wieder zu erzeugen. Die Knochen- und .Hautzellen, von denen das Wachstum der Verlornen Teile ausgeht, müssen demnach mit Ersatzdetermumnten für alle einzelnen Teile, z. B. für ein Bein mit seinen Gelenken. Knochen. Muskeln. Zehen usw. versehen sein, und zwar so vielfach, als dre Wieder- erzeugung des Gliedes möglich ist. Dem Rumpfe wächst ein neuer Schwanz, uicht aber dem Schwänze ein neuer Rumpf einschließlich des Kopfes. Dieses kommt jedoch bei manchen Ringelwürmern vor. die. zerschnitten, sowohl den vordern wie den hintern Teil wieder zu einem vollständigen Tiere ergänzen; hier müssen also sehr viele Zellen sowohl für das Kopfende wie fürs Schwanz¬ ende Ersatzdeterminanten haben. Polypen ergänzen nicht allein das Vorderteil und das Hinterteil, sondern auch das Seitenteil, wenn sie der Länge nach durchschnitten werden; sie brauchen also dreierlei Ersatzdeterminanten. Die Pflanzen haben weit weniger Regenerationskraft als manche Klaffen der niedern Tiere, weil sie sie, wie Weismnnn ausführt, uicht brauchen. Das verletzte Vlatt braucht sich nicht zu ergänzen, weil die Pflanze jederzeit genug neue Blätter treibt. Es wäre also kein Vorteil für die Pflanze, wenn sie ein Loch im Blatte auszufüllen vermöchte. „Sie kann an vielen Orten Knospen zur Entfaltung bringen und gewinnt dadurch viel mehr, als dnrch die Vervoll¬ ständigung einzelner Blätter für sie zu gewinnen gewesen wäre. Sie konnte der Regeneration entbehren, da sie die weit ausgiebigere Knospung hat" <A 178). Natürlich erfordert auch die Knospung ein Jdioplasma an der Stelle, von wo sie ausgeht; nach Weismann ist das Knospenidioplasma auch dann, wenn es die vollständige Pflanze hervorzutreiben vermag, mit dem Keimplasma uicht völlig identisch, sondern enthält die Determinanten in etwas andrer Gruppirung, weil der Schoß nur daun Wurzeln treibt, wenn er von der Stammpflanze getrennt wird, die Wurzeln also später als die übrigen Teile, während bei der Entwicklung aus dem Keime das umgekehrte der Fall ist(in 219 bis 220). Wir erlauben uns dabei die vom streng darwinischen Stand¬ punkte aus ketzerische Bemerkung, daß den höheren Tieren und dem Menschen die Regenerationskraft versagt bleiben mußte, weil ihr Besitz ein Anreiz zu den furchtbarsten Grausamkeiten sein und den Menschen noch mehr sittlich herunter¬ bringen würde, als er schon oft herunterkommt; übrigens ließe sich vielleicht mancher gern einen neuen Kopf wachsen; freilich würde dieser nach der Determi¬ nantenlehre wohl nicht anders ausfallen als der ursprüngliche.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/31>, abgerufen am 24.07.2024.