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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Vererbung

unterhalb der Schwelle mikroskopischer Sichtbarkeit liegenden Welt noch tobt,
und die unterliegenden Determinanten und Biophoren haben bei der Abstempe-
lung der Zelle mit einem bestimmten Charakter nichts zu sagen.

Nun soll doch aber auch wieder Keimplasma in einer Samen- oder Ei¬
zelle abgesondert werden, was ja nach Weismann das allerwichtigste ist, da
der Leib, dieser bloße "Auswuchs," ganz gut entbehrt werden könnte, wenn
nur eine möglichst große Menge von Kombinationen verschiedner Ahnenplasmen
auf andre Weise zu erreichen gewesen wäre. Daher muß ein Teil des Keim-
Plasmas unverändert und unvermindert, also im gebuuduen Zustande und
ohne Abspaltungen zu erleiden, durch eine Reihe von Zellen befördert werden,
bis er in eine Zelle gelaugt, wo er sich ganz allein befindet, und diese Zelle
wird dann eine Samen- oder Eizelle. Die Zeitfolge, durch die er sich bewegt,
heißt Keimbahn. Die niedern Tiere und die Pflanzen haben viele Keimbahnen;
es befindet sich an vielen Stellen ihres Körpers Keimplasma, aus dem, dnrch
Knospung, eine neue "Person," wie Weismmm zu sagen pflegt, derselben Art
hervorgehen kann; bei den höher organisirten Wesen dagegen findet sich nur
eine, nicht zu lauge Keimbahn. Die Keimbahnzelleu enthalten also nach Weis¬
mann zeitweilig zweierlei Jdioplasma, ihr eignes und Keimplnsma. Wir
möchten glauben, daß man von dreierlei sprechen müsse: es stecken doch, so¬
lange eine solche Zelle als Durchweg dient, darin: ihre eignen Determinanten,
die Gesamtheit andrer zum Aufbau von Körperzellen dienenden Determinanten,
die sie weiter zu gebe" hat. und das Keimplasma. Der Sicherheit wegen
wollen wir die Hauptstelle über den Gegenstand (15 241 bis 242) im Wortlaut
wiedergeben:

"Wenn die Vererbung auf der Anwesenheit einer Substanz beruht, dem
Keimplasma, und wenn dieses das neue Individuum dadurch ins Leben ruft,
daß es deu Teilungsprozcß der Ontogenese*) leitet, indem es sich in gesetz¬
mäßiger Weise verändert, so fragt es sich, wie es sich dann doch wieder in
den Keimzellen des neuen Individuums einstellen kaun. Die Vererbung der
Eigenschaften des Elters auf das Kind kann nur darauf beruhen, daß die
Keimzelle, aus der das Kind entsteht, genau die gleichen Ite von Keimplasma
enthalten kann, die in der Keimzelle enthalten waren, aus der der Elter sich
entwickelte; nun erleidet aber das Keimplasma zahllose Veränderungen wühreud
der Entwicklung des Eies zum Elter, wie ist es also möglich, daß dennoch
dieselbe Substanz wieder in den Keimzellen des Elters enthalten sein kann?
Es liegen offenbar nur zwei Möglichkeiten vor; entweder sind die Verände¬
rungen, die das Keimplasma während des Aufbaues des Körpers erleidet,
lou solcher Art, daß sie wieder rückgängig gemacht werden können, entweder



Die Leser wissen jn wohl, daß die Biologen die Entstehung deZ Individuums Onto¬
genese und die der Art Phylogencse nenne".
Vererbung

unterhalb der Schwelle mikroskopischer Sichtbarkeit liegenden Welt noch tobt,
und die unterliegenden Determinanten und Biophoren haben bei der Abstempe-
lung der Zelle mit einem bestimmten Charakter nichts zu sagen.

Nun soll doch aber auch wieder Keimplasma in einer Samen- oder Ei¬
zelle abgesondert werden, was ja nach Weismann das allerwichtigste ist, da
der Leib, dieser bloße „Auswuchs," ganz gut entbehrt werden könnte, wenn
nur eine möglichst große Menge von Kombinationen verschiedner Ahnenplasmen
auf andre Weise zu erreichen gewesen wäre. Daher muß ein Teil des Keim-
Plasmas unverändert und unvermindert, also im gebuuduen Zustande und
ohne Abspaltungen zu erleiden, durch eine Reihe von Zellen befördert werden,
bis er in eine Zelle gelaugt, wo er sich ganz allein befindet, und diese Zelle
wird dann eine Samen- oder Eizelle. Die Zeitfolge, durch die er sich bewegt,
heißt Keimbahn. Die niedern Tiere und die Pflanzen haben viele Keimbahnen;
es befindet sich an vielen Stellen ihres Körpers Keimplasma, aus dem, dnrch
Knospung, eine neue „Person," wie Weismmm zu sagen pflegt, derselben Art
hervorgehen kann; bei den höher organisirten Wesen dagegen findet sich nur
eine, nicht zu lauge Keimbahn. Die Keimbahnzelleu enthalten also nach Weis¬
mann zeitweilig zweierlei Jdioplasma, ihr eignes und Keimplnsma. Wir
möchten glauben, daß man von dreierlei sprechen müsse: es stecken doch, so¬
lange eine solche Zelle als Durchweg dient, darin: ihre eignen Determinanten,
die Gesamtheit andrer zum Aufbau von Körperzellen dienenden Determinanten,
die sie weiter zu gebe» hat. und das Keimplasma. Der Sicherheit wegen
wollen wir die Hauptstelle über den Gegenstand (15 241 bis 242) im Wortlaut
wiedergeben:

„Wenn die Vererbung auf der Anwesenheit einer Substanz beruht, dem
Keimplasma, und wenn dieses das neue Individuum dadurch ins Leben ruft,
daß es deu Teilungsprozcß der Ontogenese*) leitet, indem es sich in gesetz¬
mäßiger Weise verändert, so fragt es sich, wie es sich dann doch wieder in
den Keimzellen des neuen Individuums einstellen kaun. Die Vererbung der
Eigenschaften des Elters auf das Kind kann nur darauf beruhen, daß die
Keimzelle, aus der das Kind entsteht, genau die gleichen Ite von Keimplasma
enthalten kann, die in der Keimzelle enthalten waren, aus der der Elter sich
entwickelte; nun erleidet aber das Keimplasma zahllose Veränderungen wühreud
der Entwicklung des Eies zum Elter, wie ist es also möglich, daß dennoch
dieselbe Substanz wieder in den Keimzellen des Elters enthalten sein kann?
Es liegen offenbar nur zwei Möglichkeiten vor; entweder sind die Verände¬
rungen, die das Keimplasma während des Aufbaues des Körpers erleidet,
lou solcher Art, daß sie wieder rückgängig gemacht werden können, entweder



Die Leser wissen jn wohl, daß die Biologen die Entstehung deZ Individuums Onto¬
genese und die der Art Phylogencse nenne».
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[0029] Vererbung unterhalb der Schwelle mikroskopischer Sichtbarkeit liegenden Welt noch tobt, und die unterliegenden Determinanten und Biophoren haben bei der Abstempe- lung der Zelle mit einem bestimmten Charakter nichts zu sagen. Nun soll doch aber auch wieder Keimplasma in einer Samen- oder Ei¬ zelle abgesondert werden, was ja nach Weismann das allerwichtigste ist, da der Leib, dieser bloße „Auswuchs," ganz gut entbehrt werden könnte, wenn nur eine möglichst große Menge von Kombinationen verschiedner Ahnenplasmen auf andre Weise zu erreichen gewesen wäre. Daher muß ein Teil des Keim- Plasmas unverändert und unvermindert, also im gebuuduen Zustande und ohne Abspaltungen zu erleiden, durch eine Reihe von Zellen befördert werden, bis er in eine Zelle gelaugt, wo er sich ganz allein befindet, und diese Zelle wird dann eine Samen- oder Eizelle. Die Zeitfolge, durch die er sich bewegt, heißt Keimbahn. Die niedern Tiere und die Pflanzen haben viele Keimbahnen; es befindet sich an vielen Stellen ihres Körpers Keimplasma, aus dem, dnrch Knospung, eine neue „Person," wie Weismmm zu sagen pflegt, derselben Art hervorgehen kann; bei den höher organisirten Wesen dagegen findet sich nur eine, nicht zu lauge Keimbahn. Die Keimbahnzelleu enthalten also nach Weis¬ mann zeitweilig zweierlei Jdioplasma, ihr eignes und Keimplnsma. Wir möchten glauben, daß man von dreierlei sprechen müsse: es stecken doch, so¬ lange eine solche Zelle als Durchweg dient, darin: ihre eignen Determinanten, die Gesamtheit andrer zum Aufbau von Körperzellen dienenden Determinanten, die sie weiter zu gebe» hat. und das Keimplasma. Der Sicherheit wegen wollen wir die Hauptstelle über den Gegenstand (15 241 bis 242) im Wortlaut wiedergeben: „Wenn die Vererbung auf der Anwesenheit einer Substanz beruht, dem Keimplasma, und wenn dieses das neue Individuum dadurch ins Leben ruft, daß es deu Teilungsprozcß der Ontogenese*) leitet, indem es sich in gesetz¬ mäßiger Weise verändert, so fragt es sich, wie es sich dann doch wieder in den Keimzellen des neuen Individuums einstellen kaun. Die Vererbung der Eigenschaften des Elters auf das Kind kann nur darauf beruhen, daß die Keimzelle, aus der das Kind entsteht, genau die gleichen Ite von Keimplasma enthalten kann, die in der Keimzelle enthalten waren, aus der der Elter sich entwickelte; nun erleidet aber das Keimplasma zahllose Veränderungen wühreud der Entwicklung des Eies zum Elter, wie ist es also möglich, daß dennoch dieselbe Substanz wieder in den Keimzellen des Elters enthalten sein kann? Es liegen offenbar nur zwei Möglichkeiten vor; entweder sind die Verände¬ rungen, die das Keimplasma während des Aufbaues des Körpers erleidet, lou solcher Art, daß sie wieder rückgängig gemacht werden können, entweder Die Leser wissen jn wohl, daß die Biologen die Entstehung deZ Individuums Onto¬ genese und die der Art Phylogencse nenne».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/29>, abgerufen am 24.07.2024.