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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Zungen in der Flottenfrage

Einen weitern Irrtum enthält folgender Satz: "Was unsern berechtigten
Anteil an der Weltpolitik betrifft, so genügen unser politisches Ansehen und
unsre Landmacht allen europäischen Staaten gegenüber, mit Ausnahme Englands,
vollkommen, gebotnenfalls anch unsre maritimen Ansprüche zur Geltung zu
bringen, und unsre derzeitige Flotte vermag dies auch den überseeischen Ländern
gegenüber, vielleicht mit einziger Ausnahme Japans nach Beendigung von
dessen Flottenvermehrung im Jahre 1906." Unsre Landmacht kann uns sogar
gegen Frankreich und Rußland nur unvollständig schützen, weil diese Mächte
zugleich Seemächte sind, also unsre Küsten blockiren können. Politisches An¬
sehen, das nur auf der Landmacht beruht, genügt weder Frankreich noch Ru߬
land, noch England, noch Nordamerika, noch Japan, noch Brasilien und
Argentinien gegenüber. Es handelt sich eben heute und in der Zukunft nicht
mehr bloß um unsre Machtstellung auf dem europäischen Festlande, die das A
und O der politischen Anschauungen unsers Gegners ausmacht, sondern um
unsern politischen Einfluß auf der ganzen Erde, bei allen Staaten, mit denen
wir im Warenaustausch stehen. Natürlich kann dieser politische Einfluß durch
ein Paar Kreuzer mehr oder weniger nicht wesentlich geändert werden; bei allen -
Seestaaten, die Panzerschiffe haben, und dazu gehören außer Japan auch China
und die südamerikanischen Staaten, ist unser Ansehen von der Seemacht ab¬
hängig, die wir in den heimischen Gewässern bereit halten können, um unsern
Forderungen den gehörigen Nachdruck zu geben. Leider haben aber unsre
heimischen Seestreitkräfte stark abgenommen, sowohl absolut, d. h. im Vergleich
zu ihrem eignen frühern Bestände, als auch relativ, d. h. im Vergleich zu
der bedrohlich wachsenden Kraft der meisten andern, auch kleinern Seestaaten.
Weil Mars heute schon den Wettstreit, wenn man so sagen darf, im Ausbau
der Flotte mit Japan aufgiebt, so würde er es im Laufe einiger Jahre wohl
auch ruhig mit ansehen, wenn uns die Seestreitkräfte Spaniens, Brasiliens
oder Chiles über den Kopf wüchsen. Aber wo bliebe dann die Grenze für
das deutsche Reich? Nein, wir haben nicht nur "triftige Veranlassung, mit
der Flottenentwicklung Japans gleichen Schritt zu halten," sondern wir sind
sowohl im eignen wirtschaftlichen Interesse, wie auch als die geistige und sitt¬
liche Vormacht des festländischen Europas verpflichtet, uns beizeiten gegen
asiatische Machtentfaltung zu wappnen. Solange wir das Recht haben, uns
für ein Herrenvolk zu halten, müssen wir auch die Macht haben, uns vor
jeder Knechtschaft dnrch Asiaten und andre minderwertige Völker zu bewahren.
Was würde Mars wohl für Maßregeln empfehlen, wenn infolge von Hnndels-
streitigkeiten eines Tages eine übermächtige japanische Flotte vor der Elbe
erschiene und unterwegs unsre Handelsflotte zerstörte? Unsern Nachbarn und
gar unsern englischen Freunden würde die Sache ja großen Spaß machen,
uns aber könnte sie doch recht derer zu stehen kommen. Daß Japan zufällig
ein Inselreich ist und billig Schiffe bauen kann, darf uns doch nicht hindern,


Die Alten und die Zungen in der Flottenfrage

Einen weitern Irrtum enthält folgender Satz: „Was unsern berechtigten
Anteil an der Weltpolitik betrifft, so genügen unser politisches Ansehen und
unsre Landmacht allen europäischen Staaten gegenüber, mit Ausnahme Englands,
vollkommen, gebotnenfalls anch unsre maritimen Ansprüche zur Geltung zu
bringen, und unsre derzeitige Flotte vermag dies auch den überseeischen Ländern
gegenüber, vielleicht mit einziger Ausnahme Japans nach Beendigung von
dessen Flottenvermehrung im Jahre 1906." Unsre Landmacht kann uns sogar
gegen Frankreich und Rußland nur unvollständig schützen, weil diese Mächte
zugleich Seemächte sind, also unsre Küsten blockiren können. Politisches An¬
sehen, das nur auf der Landmacht beruht, genügt weder Frankreich noch Ru߬
land, noch England, noch Nordamerika, noch Japan, noch Brasilien und
Argentinien gegenüber. Es handelt sich eben heute und in der Zukunft nicht
mehr bloß um unsre Machtstellung auf dem europäischen Festlande, die das A
und O der politischen Anschauungen unsers Gegners ausmacht, sondern um
unsern politischen Einfluß auf der ganzen Erde, bei allen Staaten, mit denen
wir im Warenaustausch stehen. Natürlich kann dieser politische Einfluß durch
ein Paar Kreuzer mehr oder weniger nicht wesentlich geändert werden; bei allen -
Seestaaten, die Panzerschiffe haben, und dazu gehören außer Japan auch China
und die südamerikanischen Staaten, ist unser Ansehen von der Seemacht ab¬
hängig, die wir in den heimischen Gewässern bereit halten können, um unsern
Forderungen den gehörigen Nachdruck zu geben. Leider haben aber unsre
heimischen Seestreitkräfte stark abgenommen, sowohl absolut, d. h. im Vergleich
zu ihrem eignen frühern Bestände, als auch relativ, d. h. im Vergleich zu
der bedrohlich wachsenden Kraft der meisten andern, auch kleinern Seestaaten.
Weil Mars heute schon den Wettstreit, wenn man so sagen darf, im Ausbau
der Flotte mit Japan aufgiebt, so würde er es im Laufe einiger Jahre wohl
auch ruhig mit ansehen, wenn uns die Seestreitkräfte Spaniens, Brasiliens
oder Chiles über den Kopf wüchsen. Aber wo bliebe dann die Grenze für
das deutsche Reich? Nein, wir haben nicht nur „triftige Veranlassung, mit
der Flottenentwicklung Japans gleichen Schritt zu halten," sondern wir sind
sowohl im eignen wirtschaftlichen Interesse, wie auch als die geistige und sitt¬
liche Vormacht des festländischen Europas verpflichtet, uns beizeiten gegen
asiatische Machtentfaltung zu wappnen. Solange wir das Recht haben, uns
für ein Herrenvolk zu halten, müssen wir auch die Macht haben, uns vor
jeder Knechtschaft dnrch Asiaten und andre minderwertige Völker zu bewahren.
Was würde Mars wohl für Maßregeln empfehlen, wenn infolge von Hnndels-
streitigkeiten eines Tages eine übermächtige japanische Flotte vor der Elbe
erschiene und unterwegs unsre Handelsflotte zerstörte? Unsern Nachbarn und
gar unsern englischen Freunden würde die Sache ja großen Spaß machen,
uns aber könnte sie doch recht derer zu stehen kommen. Daß Japan zufällig
ein Inselreich ist und billig Schiffe bauen kann, darf uns doch nicht hindern,


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[0254] Die Alten und die Zungen in der Flottenfrage Einen weitern Irrtum enthält folgender Satz: „Was unsern berechtigten Anteil an der Weltpolitik betrifft, so genügen unser politisches Ansehen und unsre Landmacht allen europäischen Staaten gegenüber, mit Ausnahme Englands, vollkommen, gebotnenfalls anch unsre maritimen Ansprüche zur Geltung zu bringen, und unsre derzeitige Flotte vermag dies auch den überseeischen Ländern gegenüber, vielleicht mit einziger Ausnahme Japans nach Beendigung von dessen Flottenvermehrung im Jahre 1906." Unsre Landmacht kann uns sogar gegen Frankreich und Rußland nur unvollständig schützen, weil diese Mächte zugleich Seemächte sind, also unsre Küsten blockiren können. Politisches An¬ sehen, das nur auf der Landmacht beruht, genügt weder Frankreich noch Ru߬ land, noch England, noch Nordamerika, noch Japan, noch Brasilien und Argentinien gegenüber. Es handelt sich eben heute und in der Zukunft nicht mehr bloß um unsre Machtstellung auf dem europäischen Festlande, die das A und O der politischen Anschauungen unsers Gegners ausmacht, sondern um unsern politischen Einfluß auf der ganzen Erde, bei allen Staaten, mit denen wir im Warenaustausch stehen. Natürlich kann dieser politische Einfluß durch ein Paar Kreuzer mehr oder weniger nicht wesentlich geändert werden; bei allen - Seestaaten, die Panzerschiffe haben, und dazu gehören außer Japan auch China und die südamerikanischen Staaten, ist unser Ansehen von der Seemacht ab¬ hängig, die wir in den heimischen Gewässern bereit halten können, um unsern Forderungen den gehörigen Nachdruck zu geben. Leider haben aber unsre heimischen Seestreitkräfte stark abgenommen, sowohl absolut, d. h. im Vergleich zu ihrem eignen frühern Bestände, als auch relativ, d. h. im Vergleich zu der bedrohlich wachsenden Kraft der meisten andern, auch kleinern Seestaaten. Weil Mars heute schon den Wettstreit, wenn man so sagen darf, im Ausbau der Flotte mit Japan aufgiebt, so würde er es im Laufe einiger Jahre wohl auch ruhig mit ansehen, wenn uns die Seestreitkräfte Spaniens, Brasiliens oder Chiles über den Kopf wüchsen. Aber wo bliebe dann die Grenze für das deutsche Reich? Nein, wir haben nicht nur „triftige Veranlassung, mit der Flottenentwicklung Japans gleichen Schritt zu halten," sondern wir sind sowohl im eignen wirtschaftlichen Interesse, wie auch als die geistige und sitt¬ liche Vormacht des festländischen Europas verpflichtet, uns beizeiten gegen asiatische Machtentfaltung zu wappnen. Solange wir das Recht haben, uns für ein Herrenvolk zu halten, müssen wir auch die Macht haben, uns vor jeder Knechtschaft dnrch Asiaten und andre minderwertige Völker zu bewahren. Was würde Mars wohl für Maßregeln empfehlen, wenn infolge von Hnndels- streitigkeiten eines Tages eine übermächtige japanische Flotte vor der Elbe erschiene und unterwegs unsre Handelsflotte zerstörte? Unsern Nachbarn und gar unsern englischen Freunden würde die Sache ja großen Spaß machen, uns aber könnte sie doch recht derer zu stehen kommen. Daß Japan zufällig ein Inselreich ist und billig Schiffe bauen kann, darf uns doch nicht hindern,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/254>, abgerufen am 24.07.2024.