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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zur Polenfrage

der, die die Bauern von jeher getrieben haben, der Politik der reichen Heirat.
Freilich sind unsre Güter in den letzten hundert Jahren so im Werte gestiegen,
daß der Sohn mit dem Drittel ebenso reich war wie der Vater mit dem
Ganzen. Dadurch sind ungeheure Vermögen entstanden, die durch Heirat und
Erbschaft in andre Berufe, besonders in Beamtenberufe übergingen. Ohne
die würde vielleicht der Staat seinen Beamten und Offizieren den doppelten
Gehalt haben zahlen müssen. Aber nun hat das Steigen aufgehört, und diese
Vermögen sind für die heutige Landwirtschaft verloren, oder vielmehr sie liegen
ihr noch zur Last. Ein kleines Gut in hiesiger Gegend, das vor einem
Menschenalter mit "0000 Thalern gekauft wurde, findet heute für 60000
keinen Käufer mehr. Da ist es klar, daß die meisten heutigen Besitzer, wie
sie sind und sein müssen, nümlich Drittelbesitzer, ohne alles Verschulden ab¬
gesägt sind.

Ich möchte auch der Ansicht widersprechen, daß bloß der Großbesitzer
von der Besserung der Preise Vorteil habe. Wenn wir einmal unter Getreide
nicht bloß Roggen und Weizen verstehen, sondern alles, was zu den Erzeugnissen
der Landwirtschaft gehört, also auch- Fleisch, Butter, Kühe, Eier, Gemüse und
Honig, so arbeitet auch der kleinste Bauer für den Markt. Es gab freilich
eine Zeit, wo er den Markt nicht brauchte, damals, als er seine Kleider noch
selber spann, webte und färbte, sein Holz selber schlug, seine Möbel selber
zimmerte. Aber diese Zeit ist eben vorbei. Heute kauft er das alles auf dem
Markte, Kohlen, Petroleum, Kleider. Schuhe, Möbel. Tabak, Kaffee. Zucker
und wer weiß was noch. Will er etwas vom Markte holen, so muß er auch
etwas hinbringen, natürlich nicht Geld, sondern Ware. Auch der kleinste
Bauer muß, wenn er überhaupt von seinem Gute leben kann, wahrscheinlich
die Hälfte seiner Ernte zu Gelde machen. Wie könnte er auch sonst Steuern
zahlen und Schulgeld zahlen und seine Töchter ausstatten und den Sohn bei
den Soldaten erhalten? Wenn er aber nicht so viel zu verkaufen hat, wenn
er gar Korn kaufen muß oder Fleisch oder Margarine, dann muß er eben noch
andre Einnahmequellen haben. Er geht vielleicht aufs Gut oder auf die Fabrik,
oder er treibt Hausgewerbe, oder er vermietet an Sommerfrischler. Jedenfalls
ist er kein Bauer mehr. Der richtige Bauer ist genau so interessirt, wenn
auch nicht gegen die Weizeneinfuhr, so doch gegen billige Einfuhr von Vieh,
von Margarine, von Eiern, von Obst, wie jeder Rittergutsbesitzer auch.

Wer aber gar nicht an den Kornpreisen interessirt ist, das ist der deutsche
Arbeiter. Sein Anteil am Arbeitsertrag steigt und füllt mit dem Überfluß
an Arbeitsgelegenheit. Daß ihm nicht genommen werde, was es an Arbeits¬
gelegenheit im Vaterlande giebt, daran ist er interessirt. Er hat ein Recht
auf Arbeit, nämlich auf die Arbeit an dem deutschen Acker, der von seinen
Vätern mit ihrem Blute verteidigt worden ist. Er braucht sich nicht gefallen
zu lassen, daß Polen und Italiener an der deutschen Arbeit teilnehmen.


Zur Polenfrage

der, die die Bauern von jeher getrieben haben, der Politik der reichen Heirat.
Freilich sind unsre Güter in den letzten hundert Jahren so im Werte gestiegen,
daß der Sohn mit dem Drittel ebenso reich war wie der Vater mit dem
Ganzen. Dadurch sind ungeheure Vermögen entstanden, die durch Heirat und
Erbschaft in andre Berufe, besonders in Beamtenberufe übergingen. Ohne
die würde vielleicht der Staat seinen Beamten und Offizieren den doppelten
Gehalt haben zahlen müssen. Aber nun hat das Steigen aufgehört, und diese
Vermögen sind für die heutige Landwirtschaft verloren, oder vielmehr sie liegen
ihr noch zur Last. Ein kleines Gut in hiesiger Gegend, das vor einem
Menschenalter mit »0000 Thalern gekauft wurde, findet heute für 60000
keinen Käufer mehr. Da ist es klar, daß die meisten heutigen Besitzer, wie
sie sind und sein müssen, nümlich Drittelbesitzer, ohne alles Verschulden ab¬
gesägt sind.

Ich möchte auch der Ansicht widersprechen, daß bloß der Großbesitzer
von der Besserung der Preise Vorteil habe. Wenn wir einmal unter Getreide
nicht bloß Roggen und Weizen verstehen, sondern alles, was zu den Erzeugnissen
der Landwirtschaft gehört, also auch- Fleisch, Butter, Kühe, Eier, Gemüse und
Honig, so arbeitet auch der kleinste Bauer für den Markt. Es gab freilich
eine Zeit, wo er den Markt nicht brauchte, damals, als er seine Kleider noch
selber spann, webte und färbte, sein Holz selber schlug, seine Möbel selber
zimmerte. Aber diese Zeit ist eben vorbei. Heute kauft er das alles auf dem
Markte, Kohlen, Petroleum, Kleider. Schuhe, Möbel. Tabak, Kaffee. Zucker
und wer weiß was noch. Will er etwas vom Markte holen, so muß er auch
etwas hinbringen, natürlich nicht Geld, sondern Ware. Auch der kleinste
Bauer muß, wenn er überhaupt von seinem Gute leben kann, wahrscheinlich
die Hälfte seiner Ernte zu Gelde machen. Wie könnte er auch sonst Steuern
zahlen und Schulgeld zahlen und seine Töchter ausstatten und den Sohn bei
den Soldaten erhalten? Wenn er aber nicht so viel zu verkaufen hat, wenn
er gar Korn kaufen muß oder Fleisch oder Margarine, dann muß er eben noch
andre Einnahmequellen haben. Er geht vielleicht aufs Gut oder auf die Fabrik,
oder er treibt Hausgewerbe, oder er vermietet an Sommerfrischler. Jedenfalls
ist er kein Bauer mehr. Der richtige Bauer ist genau so interessirt, wenn
auch nicht gegen die Weizeneinfuhr, so doch gegen billige Einfuhr von Vieh,
von Margarine, von Eiern, von Obst, wie jeder Rittergutsbesitzer auch.

Wer aber gar nicht an den Kornpreisen interessirt ist, das ist der deutsche
Arbeiter. Sein Anteil am Arbeitsertrag steigt und füllt mit dem Überfluß
an Arbeitsgelegenheit. Daß ihm nicht genommen werde, was es an Arbeits¬
gelegenheit im Vaterlande giebt, daran ist er interessirt. Er hat ein Recht
auf Arbeit, nämlich auf die Arbeit an dem deutschen Acker, der von seinen
Vätern mit ihrem Blute verteidigt worden ist. Er braucht sich nicht gefallen
zu lassen, daß Polen und Italiener an der deutschen Arbeit teilnehmen.


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[0022] Zur Polenfrage der, die die Bauern von jeher getrieben haben, der Politik der reichen Heirat. Freilich sind unsre Güter in den letzten hundert Jahren so im Werte gestiegen, daß der Sohn mit dem Drittel ebenso reich war wie der Vater mit dem Ganzen. Dadurch sind ungeheure Vermögen entstanden, die durch Heirat und Erbschaft in andre Berufe, besonders in Beamtenberufe übergingen. Ohne die würde vielleicht der Staat seinen Beamten und Offizieren den doppelten Gehalt haben zahlen müssen. Aber nun hat das Steigen aufgehört, und diese Vermögen sind für die heutige Landwirtschaft verloren, oder vielmehr sie liegen ihr noch zur Last. Ein kleines Gut in hiesiger Gegend, das vor einem Menschenalter mit »0000 Thalern gekauft wurde, findet heute für 60000 keinen Käufer mehr. Da ist es klar, daß die meisten heutigen Besitzer, wie sie sind und sein müssen, nümlich Drittelbesitzer, ohne alles Verschulden ab¬ gesägt sind. Ich möchte auch der Ansicht widersprechen, daß bloß der Großbesitzer von der Besserung der Preise Vorteil habe. Wenn wir einmal unter Getreide nicht bloß Roggen und Weizen verstehen, sondern alles, was zu den Erzeugnissen der Landwirtschaft gehört, also auch- Fleisch, Butter, Kühe, Eier, Gemüse und Honig, so arbeitet auch der kleinste Bauer für den Markt. Es gab freilich eine Zeit, wo er den Markt nicht brauchte, damals, als er seine Kleider noch selber spann, webte und färbte, sein Holz selber schlug, seine Möbel selber zimmerte. Aber diese Zeit ist eben vorbei. Heute kauft er das alles auf dem Markte, Kohlen, Petroleum, Kleider. Schuhe, Möbel. Tabak, Kaffee. Zucker und wer weiß was noch. Will er etwas vom Markte holen, so muß er auch etwas hinbringen, natürlich nicht Geld, sondern Ware. Auch der kleinste Bauer muß, wenn er überhaupt von seinem Gute leben kann, wahrscheinlich die Hälfte seiner Ernte zu Gelde machen. Wie könnte er auch sonst Steuern zahlen und Schulgeld zahlen und seine Töchter ausstatten und den Sohn bei den Soldaten erhalten? Wenn er aber nicht so viel zu verkaufen hat, wenn er gar Korn kaufen muß oder Fleisch oder Margarine, dann muß er eben noch andre Einnahmequellen haben. Er geht vielleicht aufs Gut oder auf die Fabrik, oder er treibt Hausgewerbe, oder er vermietet an Sommerfrischler. Jedenfalls ist er kein Bauer mehr. Der richtige Bauer ist genau so interessirt, wenn auch nicht gegen die Weizeneinfuhr, so doch gegen billige Einfuhr von Vieh, von Margarine, von Eiern, von Obst, wie jeder Rittergutsbesitzer auch. Wer aber gar nicht an den Kornpreisen interessirt ist, das ist der deutsche Arbeiter. Sein Anteil am Arbeitsertrag steigt und füllt mit dem Überfluß an Arbeitsgelegenheit. Daß ihm nicht genommen werde, was es an Arbeits¬ gelegenheit im Vaterlande giebt, daran ist er interessirt. Er hat ein Recht auf Arbeit, nämlich auf die Arbeit an dem deutschen Acker, der von seinen Vätern mit ihrem Blute verteidigt worden ist. Er braucht sich nicht gefallen zu lassen, daß Polen und Italiener an der deutschen Arbeit teilnehmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/22>, abgerufen am 29.12.2024.