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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Religionsunterricht

vielleicht gar nicht erst in einen Wortstreit einläßt, sondern ganze Banden
katholischer und evangelischer Jungen mit Fäusten und Knüppeln gegen ein¬
ander losgehen, so wird dadurch die Begeisterung für die eigne Konfession noch
weit höher entflammt. Und von welchem Hochgefühl muß die Brust des wohl¬
unterrichteten Knaben geschwellt werden, wenn er vernimmt, wie viel berühmte,
großmächtige und gelehrte Männer auf der Gegenseite stehen, daß aber er, der
kleine Knabe, gescheiter ist als sie alle, daß sie alle, diese großen Männer, ent¬
weder dumme Kerls oder vom Teufel verblendet gewesen sind, und sofern sie
der Gegenwart angehören, noch sind! Die Unterscheidungslehren gehören, vom
Standpunkte der Annehmlichkeit aus betrachtet, zu den Lichtpunkten im Religions¬
unterricht und mögen von manchem Schüler und leider auch von manchem
Lehrer als eine Erholung von unerquicklicher Frohnarbeit begrüßt werden.

Nicht minder unterhaltend sind die Unterweisungen im Ritus. Und da
hat denn die katholische Kirche vor der evangelischen sehr viel voraus. Daß
der katholische Gottesdienst, der den Sinnen so viel bietet, das Volk und die
Kinder weit stärker anzieht als der evangelische, weiß alle Welt, und einiges
habe auch ich schon bei andrer Gelegenheit darüber gesagt. Nun, und wenn
man eine Sache liebt, so hört man auch gern davon reden; wenn in der
Schule die Kultusgegenstände und die kirchlichen Zeremonien erklärt werden,
sind alle Schüler sofort bei der Sache, brauchen gar nicht zur Aufmerksamkeit
gemahnt zu werden und merken sich alles vortrefflich. So ist es also die enge
Verbindung mit der Kirche, was den Religionsunterricht vielfach erleichtert
und erfolgreich macht, und schon die kirchliche Stellung dessen, der den Unter¬
richt erteilt, übt dabei den größten Einfluß. In der Kirche sieht das Kind
den Geistlichen an einem erhabnen Ort, in kostbare Gewänder gehüllt, feierliche
Handlungen verrichten, sieht ihn von Kerzen bestrahlt und in Weihrauchwolken
gehüllt goldne Geräte handhaben, an denen echte oder falsche Edelsteine funkeln,
sieht Tausende vor ihm auf den Knieen liegen. Vor Gott, sagt man ihm freilich,
vor Gott knieen wir, nicht vor dem Geistlichen, aber schließlich ist doch der
Geistliche der einzige, der aufrecht steht, während die übrigen knieen, er muß
also doch unserm Herrgott in der Würde sehr nahe kommen. Auf der Straße
und wenn er ein Haus betritt, wird der Geistliche ehrfurchtsvoll mit Handkuß
begrüßt. Wie sollte das Kind, wenn ein solcher Mann in der Schule zu ihm
spricht, nicht mit Ehrfurcht seinen Worten lauschen, auch wenn es sie nicht
versteht oder nicht besonders anziehend findet? Und ist es ein armes Kind, so
verehrt es nicht selten im Pfarrer seinen und seiner Eltern Wohlthäter, der,
sei es aus Stiftungsvermögen, sei es aus eignen Mitteln, sei es als Für¬
sprecher bei reichen Leuten, so manche Not lindert. Da nimmt denn das Kind
auch manche unangenehme Unterrichtsstunde, manches harte Wort und manchen
Schlag mit in Kauf, ohne daß seine Ehrfurcht vor dem wohlthätigen und in
den Nimbus des Überirdischen gehüllten Manne erschüttert würde. Aber natür¬
lich ist das, was auf diese Weise in sein Herz gepflanzt wird, zunächst Kirch-


Religionsunterricht

vielleicht gar nicht erst in einen Wortstreit einläßt, sondern ganze Banden
katholischer und evangelischer Jungen mit Fäusten und Knüppeln gegen ein¬
ander losgehen, so wird dadurch die Begeisterung für die eigne Konfession noch
weit höher entflammt. Und von welchem Hochgefühl muß die Brust des wohl¬
unterrichteten Knaben geschwellt werden, wenn er vernimmt, wie viel berühmte,
großmächtige und gelehrte Männer auf der Gegenseite stehen, daß aber er, der
kleine Knabe, gescheiter ist als sie alle, daß sie alle, diese großen Männer, ent¬
weder dumme Kerls oder vom Teufel verblendet gewesen sind, und sofern sie
der Gegenwart angehören, noch sind! Die Unterscheidungslehren gehören, vom
Standpunkte der Annehmlichkeit aus betrachtet, zu den Lichtpunkten im Religions¬
unterricht und mögen von manchem Schüler und leider auch von manchem
Lehrer als eine Erholung von unerquicklicher Frohnarbeit begrüßt werden.

Nicht minder unterhaltend sind die Unterweisungen im Ritus. Und da
hat denn die katholische Kirche vor der evangelischen sehr viel voraus. Daß
der katholische Gottesdienst, der den Sinnen so viel bietet, das Volk und die
Kinder weit stärker anzieht als der evangelische, weiß alle Welt, und einiges
habe auch ich schon bei andrer Gelegenheit darüber gesagt. Nun, und wenn
man eine Sache liebt, so hört man auch gern davon reden; wenn in der
Schule die Kultusgegenstände und die kirchlichen Zeremonien erklärt werden,
sind alle Schüler sofort bei der Sache, brauchen gar nicht zur Aufmerksamkeit
gemahnt zu werden und merken sich alles vortrefflich. So ist es also die enge
Verbindung mit der Kirche, was den Religionsunterricht vielfach erleichtert
und erfolgreich macht, und schon die kirchliche Stellung dessen, der den Unter¬
richt erteilt, übt dabei den größten Einfluß. In der Kirche sieht das Kind
den Geistlichen an einem erhabnen Ort, in kostbare Gewänder gehüllt, feierliche
Handlungen verrichten, sieht ihn von Kerzen bestrahlt und in Weihrauchwolken
gehüllt goldne Geräte handhaben, an denen echte oder falsche Edelsteine funkeln,
sieht Tausende vor ihm auf den Knieen liegen. Vor Gott, sagt man ihm freilich,
vor Gott knieen wir, nicht vor dem Geistlichen, aber schließlich ist doch der
Geistliche der einzige, der aufrecht steht, während die übrigen knieen, er muß
also doch unserm Herrgott in der Würde sehr nahe kommen. Auf der Straße
und wenn er ein Haus betritt, wird der Geistliche ehrfurchtsvoll mit Handkuß
begrüßt. Wie sollte das Kind, wenn ein solcher Mann in der Schule zu ihm
spricht, nicht mit Ehrfurcht seinen Worten lauschen, auch wenn es sie nicht
versteht oder nicht besonders anziehend findet? Und ist es ein armes Kind, so
verehrt es nicht selten im Pfarrer seinen und seiner Eltern Wohlthäter, der,
sei es aus Stiftungsvermögen, sei es aus eignen Mitteln, sei es als Für¬
sprecher bei reichen Leuten, so manche Not lindert. Da nimmt denn das Kind
auch manche unangenehme Unterrichtsstunde, manches harte Wort und manchen
Schlag mit in Kauf, ohne daß seine Ehrfurcht vor dem wohlthätigen und in
den Nimbus des Überirdischen gehüllten Manne erschüttert würde. Aber natür¬
lich ist das, was auf diese Weise in sein Herz gepflanzt wird, zunächst Kirch-


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[0213] Religionsunterricht vielleicht gar nicht erst in einen Wortstreit einläßt, sondern ganze Banden katholischer und evangelischer Jungen mit Fäusten und Knüppeln gegen ein¬ ander losgehen, so wird dadurch die Begeisterung für die eigne Konfession noch weit höher entflammt. Und von welchem Hochgefühl muß die Brust des wohl¬ unterrichteten Knaben geschwellt werden, wenn er vernimmt, wie viel berühmte, großmächtige und gelehrte Männer auf der Gegenseite stehen, daß aber er, der kleine Knabe, gescheiter ist als sie alle, daß sie alle, diese großen Männer, ent¬ weder dumme Kerls oder vom Teufel verblendet gewesen sind, und sofern sie der Gegenwart angehören, noch sind! Die Unterscheidungslehren gehören, vom Standpunkte der Annehmlichkeit aus betrachtet, zu den Lichtpunkten im Religions¬ unterricht und mögen von manchem Schüler und leider auch von manchem Lehrer als eine Erholung von unerquicklicher Frohnarbeit begrüßt werden. Nicht minder unterhaltend sind die Unterweisungen im Ritus. Und da hat denn die katholische Kirche vor der evangelischen sehr viel voraus. Daß der katholische Gottesdienst, der den Sinnen so viel bietet, das Volk und die Kinder weit stärker anzieht als der evangelische, weiß alle Welt, und einiges habe auch ich schon bei andrer Gelegenheit darüber gesagt. Nun, und wenn man eine Sache liebt, so hört man auch gern davon reden; wenn in der Schule die Kultusgegenstände und die kirchlichen Zeremonien erklärt werden, sind alle Schüler sofort bei der Sache, brauchen gar nicht zur Aufmerksamkeit gemahnt zu werden und merken sich alles vortrefflich. So ist es also die enge Verbindung mit der Kirche, was den Religionsunterricht vielfach erleichtert und erfolgreich macht, und schon die kirchliche Stellung dessen, der den Unter¬ richt erteilt, übt dabei den größten Einfluß. In der Kirche sieht das Kind den Geistlichen an einem erhabnen Ort, in kostbare Gewänder gehüllt, feierliche Handlungen verrichten, sieht ihn von Kerzen bestrahlt und in Weihrauchwolken gehüllt goldne Geräte handhaben, an denen echte oder falsche Edelsteine funkeln, sieht Tausende vor ihm auf den Knieen liegen. Vor Gott, sagt man ihm freilich, vor Gott knieen wir, nicht vor dem Geistlichen, aber schließlich ist doch der Geistliche der einzige, der aufrecht steht, während die übrigen knieen, er muß also doch unserm Herrgott in der Würde sehr nahe kommen. Auf der Straße und wenn er ein Haus betritt, wird der Geistliche ehrfurchtsvoll mit Handkuß begrüßt. Wie sollte das Kind, wenn ein solcher Mann in der Schule zu ihm spricht, nicht mit Ehrfurcht seinen Worten lauschen, auch wenn es sie nicht versteht oder nicht besonders anziehend findet? Und ist es ein armes Kind, so verehrt es nicht selten im Pfarrer seinen und seiner Eltern Wohlthäter, der, sei es aus Stiftungsvermögen, sei es aus eignen Mitteln, sei es als Für¬ sprecher bei reichen Leuten, so manche Not lindert. Da nimmt denn das Kind auch manche unangenehme Unterrichtsstunde, manches harte Wort und manchen Schlag mit in Kauf, ohne daß seine Ehrfurcht vor dem wohlthätigen und in den Nimbus des Überirdischen gehüllten Manne erschüttert würde. Aber natür¬ lich ist das, was auf diese Weise in sein Herz gepflanzt wird, zunächst Kirch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/213>, abgerufen am 24.07.2024.