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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Religionsunterricht

im Gotteshause Tausende vor Gott in den Staub sinken sieht, wenn es von
früh auf gewöhnt wird, in allem Schönen, Großen und Guten die Schönheit,
Größe und Güte des Schöpfers zu bewundern, so wird es ohne planmäßige
und besonders auf diesen Zweck gerichtete Einwirkung von selbst religiös.
Freilich kann und soll auch in diesem Stück der Religionsunterricht ein
wenig nachhelfen -- die lebendige Anschauung und die urwüchsige Gewohnheit,
wo sie fehlen, ersetzen, das kann er nicht --, allein auch hier muß er seine
Ansprüche mit den übrigen Fächern teilen. Die Naturbeschreibung zeigt die
zweckmäßige Einrichtung, die Größe und Schönheit der Welt, Mathematik,
Physik und Chemie weisen den gesetzmäßigen Zusammenhang aller Dinge nach,
die Geschichte bringt das Walten Gottes in der Menschheit zum Bewußtsein,
aus den Meisterwerken der Poesie und Prosa aus alter und neuer Zeit, die
in der Schule gelesen werden, erfährt der Schüler, was die Weisesten und
Besten aller Zeiten über Gott und sein Wirken gedacht und dabei empfunden
haben. Wenn dabei dem Schüler das Wesen Gottes noch nicht aufgegangen
und der Zusammenhang der irdischen Dinge mit Gott noch nicht klar geworden
ist, dann werden es die paar Religionsstunden auch nicht erst thun- Ist der
Religionsunterricht gut, so wird er die Wirkung der übrigen Stunden ver¬
stärken; ist er schlecht -- nun, was er dann wirkt, das hat man Anfang der
siebziger Jahre aus dem Munde Falls vernommen: Haß gegen die Religion
hat der nach stiehts Regulativen erteilte Religionsunterricht zunächst in
einem großen Teile der evangelischen Lehrerschaft Preußens erzeugt. Wird
aber der Unterricht in den übrigen Fächern in einem der Religion feindlichen
Geiste erteilt, so wird der Religionsunterricht kaum imstande sein, diesem un¬
günstigen Einflüsse das Gleichgewicht zu halten. Ein Religionslehrer der
vierziger Jahre Pflegte zu sagen: Was nützt mein Bauen, wenn neun Teufel
einreißen! Dabei unterlag er noch dazu einer Illusion: er bildete sich ein zu
bauen, während er selbst mit einriß; aber Hütte er wirlich gebaut, so hätte er
Recht gehabt, sein Bauen würde nicht viel genützt haben.

Das hat denn anch die Geistlichkeit beider Konfessionen längst eingesehn,
und darum begnügt sie sich keineswegs damit, daß der Staat eine gewisse
Zahl von Religionsstunden ansetzt und der Kirche das Recht zugesteht, deu
Religionsunterricht durch ihre Diener erteilen zu lassen oder, wenn er von
Volksschullehrern erteilt wird, zu überwachen und zu leiten. Sie fordert
außerdem, daß die Lehrer in kirchlicher Gesinnung erzogen, daß Lehrer und
Schüler zur Teilnahme am Gottesdienst und an allerlei frommen Übungen
verpflichtet und angehalten werden, daß die Schulen konfessionell sein, und daß
nur Geistliche, natürlich Geistliche der eignen Konfession als Kreis- und Orts¬
schulinspektoren die Aufsicht führen sollen, und daß der Religionsunterricht im
Gesamtunterricht eine "zentrale" Stellung einnehme. Diese Forderungen der
Klerikalen aller Länder und Konfessionen und die Streitigkeiten darüber sind


Religionsunterricht

im Gotteshause Tausende vor Gott in den Staub sinken sieht, wenn es von
früh auf gewöhnt wird, in allem Schönen, Großen und Guten die Schönheit,
Größe und Güte des Schöpfers zu bewundern, so wird es ohne planmäßige
und besonders auf diesen Zweck gerichtete Einwirkung von selbst religiös.
Freilich kann und soll auch in diesem Stück der Religionsunterricht ein
wenig nachhelfen — die lebendige Anschauung und die urwüchsige Gewohnheit,
wo sie fehlen, ersetzen, das kann er nicht —, allein auch hier muß er seine
Ansprüche mit den übrigen Fächern teilen. Die Naturbeschreibung zeigt die
zweckmäßige Einrichtung, die Größe und Schönheit der Welt, Mathematik,
Physik und Chemie weisen den gesetzmäßigen Zusammenhang aller Dinge nach,
die Geschichte bringt das Walten Gottes in der Menschheit zum Bewußtsein,
aus den Meisterwerken der Poesie und Prosa aus alter und neuer Zeit, die
in der Schule gelesen werden, erfährt der Schüler, was die Weisesten und
Besten aller Zeiten über Gott und sein Wirken gedacht und dabei empfunden
haben. Wenn dabei dem Schüler das Wesen Gottes noch nicht aufgegangen
und der Zusammenhang der irdischen Dinge mit Gott noch nicht klar geworden
ist, dann werden es die paar Religionsstunden auch nicht erst thun- Ist der
Religionsunterricht gut, so wird er die Wirkung der übrigen Stunden ver¬
stärken; ist er schlecht — nun, was er dann wirkt, das hat man Anfang der
siebziger Jahre aus dem Munde Falls vernommen: Haß gegen die Religion
hat der nach stiehts Regulativen erteilte Religionsunterricht zunächst in
einem großen Teile der evangelischen Lehrerschaft Preußens erzeugt. Wird
aber der Unterricht in den übrigen Fächern in einem der Religion feindlichen
Geiste erteilt, so wird der Religionsunterricht kaum imstande sein, diesem un¬
günstigen Einflüsse das Gleichgewicht zu halten. Ein Religionslehrer der
vierziger Jahre Pflegte zu sagen: Was nützt mein Bauen, wenn neun Teufel
einreißen! Dabei unterlag er noch dazu einer Illusion: er bildete sich ein zu
bauen, während er selbst mit einriß; aber Hütte er wirlich gebaut, so hätte er
Recht gehabt, sein Bauen würde nicht viel genützt haben.

Das hat denn anch die Geistlichkeit beider Konfessionen längst eingesehn,
und darum begnügt sie sich keineswegs damit, daß der Staat eine gewisse
Zahl von Religionsstunden ansetzt und der Kirche das Recht zugesteht, deu
Religionsunterricht durch ihre Diener erteilen zu lassen oder, wenn er von
Volksschullehrern erteilt wird, zu überwachen und zu leiten. Sie fordert
außerdem, daß die Lehrer in kirchlicher Gesinnung erzogen, daß Lehrer und
Schüler zur Teilnahme am Gottesdienst und an allerlei frommen Übungen
verpflichtet und angehalten werden, daß die Schulen konfessionell sein, und daß
nur Geistliche, natürlich Geistliche der eignen Konfession als Kreis- und Orts¬
schulinspektoren die Aufsicht führen sollen, und daß der Religionsunterricht im
Gesamtunterricht eine „zentrale" Stellung einnehme. Diese Forderungen der
Klerikalen aller Länder und Konfessionen und die Streitigkeiten darüber sind


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/210>, abgerufen am 24.07.2024.