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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zur Polenfrage

muß auch ebenso viel gegessen werden. Das gilt von den andern Gütern
auch. Für ein Volk, bei dem sich Gewerbe und Landbau im Gleichgewicht
befinden, bei dem die Industrie ebenso viel Arbeiter beschäftigt, als von dem
Überschuß der Landwirtschaft an Fleisch. Korn, Holz. Kohlen usw. leben tonnen,
ist es gleichgiltig, ob der Roggen hundert oder zweihundert steht. Den kleinen
Leuten muß ja doch werden, was sie brauchen.

Wir haben nun freilich eine Exportindustrie, die ihre Aufträge vom Aus¬
land erhält und ihre Bezahlung vom Ausland erhält, nämlich in Lebens¬
mitteln für ihre Arbeiter. Diese verursacht, daß bei uns etwa ein Vierzigste!
Getreide mehr gebraucht wird, als wir bauen. Sie ernährt also den vierzigsten
Teil des deutschen Volkes. Ihr würde natürlich der Zoll zur Last werden.
Aber wird sie darum weniger einführen? Will sie weiter Waren ausführen,
so muß sie auch Getreide einführen, nicht nur weil sonst ihre Arbeiter aus¬
wandern würden, sondern auch weil sie das in Zahlung annehmen muß, was
die andern übrig haben, nämlich Getreide. Der Handel im ganzen genommen
ist immer Tauschhandel. Führte die Exportindustrie weniger Lebensmittel ein.
so hieße das: sie beschränkt ihren Betrieb. Das würde Arbeiter brotlos
machen, wenn nicht zugleich durch Absperren der Fremden die Arbeitsgelegenheit
vermehrt würde. Die Exportindustrie wächst aber und wird weiter wachsen;
nicht durch die Billigkeit der Arbeit bei uns -- da würde sie bald sterben
müssen --, sondern durch die Thatkraft und Klugheit ihrer Betriebsleiter und
durch die wachsenden Bedürfnisse der in Kultur tretenden überseeischen Länder.
Man kann wohl das Vertrauen zu ihr haben, daß sie auch weiter siegreich
bleiben wird. Die Exportindustrie ist das sorgloseste und verschwenderischste
Kind der küiua umtsr Volk. Adam Smith betont, daß die im auswärtigen
Handel angelegten Kapitalien für den Volksreichtum weniger sicher, also
weniger wertvoll seien, als die im Landbau angelegten. Wenn irgend ein Zweig
der nationalen Arbeit Lasten tragen kann und soll, so ist es dieser, der dem
unsichersten und einträglichsten und zugleich einem immer wachsenden Erwerbe
nachgeht.

Die Agrarier wollen freilich die Zölle, um reicher zu werden, um wieder
wehr zu haben als jetzt. Aber wenn der kleine Mann nur das Seinige hat, so
kann es uns gleich sein, ob die Landbarone oder die Schlotbarone reicher sind,
oder ob einer dem andern etwas abgeben muß. Die großen Vermögen sammeln
sich doch nicht nach Verdienst, sondern bald hier bald dort, wie Staubhäufchen
im Winde. Man kann auch nicht behaupten, daß der Gutsbesitzer weniger
würdig wäre. Wenn er verschuldet ist, so ist er darum noch nicht schuldig.
Eine Verschuldung von sechzig Prozent ist eigentlich beim Grundbesitz ganz
natürlich. Wenn ein Vater sein Gut an drei Kinder vererbt, so hat der
neue Besitzer bloß ein Drittel, und wenn dieser wieder vererbt, so hat der
Enkel schon bald gar nichts mehr. Dagegen hilft keine innere Politik außer


Zur Polenfrage

muß auch ebenso viel gegessen werden. Das gilt von den andern Gütern
auch. Für ein Volk, bei dem sich Gewerbe und Landbau im Gleichgewicht
befinden, bei dem die Industrie ebenso viel Arbeiter beschäftigt, als von dem
Überschuß der Landwirtschaft an Fleisch. Korn, Holz. Kohlen usw. leben tonnen,
ist es gleichgiltig, ob der Roggen hundert oder zweihundert steht. Den kleinen
Leuten muß ja doch werden, was sie brauchen.

Wir haben nun freilich eine Exportindustrie, die ihre Aufträge vom Aus¬
land erhält und ihre Bezahlung vom Ausland erhält, nämlich in Lebens¬
mitteln für ihre Arbeiter. Diese verursacht, daß bei uns etwa ein Vierzigste!
Getreide mehr gebraucht wird, als wir bauen. Sie ernährt also den vierzigsten
Teil des deutschen Volkes. Ihr würde natürlich der Zoll zur Last werden.
Aber wird sie darum weniger einführen? Will sie weiter Waren ausführen,
so muß sie auch Getreide einführen, nicht nur weil sonst ihre Arbeiter aus¬
wandern würden, sondern auch weil sie das in Zahlung annehmen muß, was
die andern übrig haben, nämlich Getreide. Der Handel im ganzen genommen
ist immer Tauschhandel. Führte die Exportindustrie weniger Lebensmittel ein.
so hieße das: sie beschränkt ihren Betrieb. Das würde Arbeiter brotlos
machen, wenn nicht zugleich durch Absperren der Fremden die Arbeitsgelegenheit
vermehrt würde. Die Exportindustrie wächst aber und wird weiter wachsen;
nicht durch die Billigkeit der Arbeit bei uns — da würde sie bald sterben
müssen —, sondern durch die Thatkraft und Klugheit ihrer Betriebsleiter und
durch die wachsenden Bedürfnisse der in Kultur tretenden überseeischen Länder.
Man kann wohl das Vertrauen zu ihr haben, daß sie auch weiter siegreich
bleiben wird. Die Exportindustrie ist das sorgloseste und verschwenderischste
Kind der küiua umtsr Volk. Adam Smith betont, daß die im auswärtigen
Handel angelegten Kapitalien für den Volksreichtum weniger sicher, also
weniger wertvoll seien, als die im Landbau angelegten. Wenn irgend ein Zweig
der nationalen Arbeit Lasten tragen kann und soll, so ist es dieser, der dem
unsichersten und einträglichsten und zugleich einem immer wachsenden Erwerbe
nachgeht.

Die Agrarier wollen freilich die Zölle, um reicher zu werden, um wieder
wehr zu haben als jetzt. Aber wenn der kleine Mann nur das Seinige hat, so
kann es uns gleich sein, ob die Landbarone oder die Schlotbarone reicher sind,
oder ob einer dem andern etwas abgeben muß. Die großen Vermögen sammeln
sich doch nicht nach Verdienst, sondern bald hier bald dort, wie Staubhäufchen
im Winde. Man kann auch nicht behaupten, daß der Gutsbesitzer weniger
würdig wäre. Wenn er verschuldet ist, so ist er darum noch nicht schuldig.
Eine Verschuldung von sechzig Prozent ist eigentlich beim Grundbesitz ganz
natürlich. Wenn ein Vater sein Gut an drei Kinder vererbt, so hat der
neue Besitzer bloß ein Drittel, und wenn dieser wieder vererbt, so hat der
Enkel schon bald gar nichts mehr. Dagegen hilft keine innere Politik außer


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[0021] Zur Polenfrage muß auch ebenso viel gegessen werden. Das gilt von den andern Gütern auch. Für ein Volk, bei dem sich Gewerbe und Landbau im Gleichgewicht befinden, bei dem die Industrie ebenso viel Arbeiter beschäftigt, als von dem Überschuß der Landwirtschaft an Fleisch. Korn, Holz. Kohlen usw. leben tonnen, ist es gleichgiltig, ob der Roggen hundert oder zweihundert steht. Den kleinen Leuten muß ja doch werden, was sie brauchen. Wir haben nun freilich eine Exportindustrie, die ihre Aufträge vom Aus¬ land erhält und ihre Bezahlung vom Ausland erhält, nämlich in Lebens¬ mitteln für ihre Arbeiter. Diese verursacht, daß bei uns etwa ein Vierzigste! Getreide mehr gebraucht wird, als wir bauen. Sie ernährt also den vierzigsten Teil des deutschen Volkes. Ihr würde natürlich der Zoll zur Last werden. Aber wird sie darum weniger einführen? Will sie weiter Waren ausführen, so muß sie auch Getreide einführen, nicht nur weil sonst ihre Arbeiter aus¬ wandern würden, sondern auch weil sie das in Zahlung annehmen muß, was die andern übrig haben, nämlich Getreide. Der Handel im ganzen genommen ist immer Tauschhandel. Führte die Exportindustrie weniger Lebensmittel ein. so hieße das: sie beschränkt ihren Betrieb. Das würde Arbeiter brotlos machen, wenn nicht zugleich durch Absperren der Fremden die Arbeitsgelegenheit vermehrt würde. Die Exportindustrie wächst aber und wird weiter wachsen; nicht durch die Billigkeit der Arbeit bei uns — da würde sie bald sterben müssen —, sondern durch die Thatkraft und Klugheit ihrer Betriebsleiter und durch die wachsenden Bedürfnisse der in Kultur tretenden überseeischen Länder. Man kann wohl das Vertrauen zu ihr haben, daß sie auch weiter siegreich bleiben wird. Die Exportindustrie ist das sorgloseste und verschwenderischste Kind der küiua umtsr Volk. Adam Smith betont, daß die im auswärtigen Handel angelegten Kapitalien für den Volksreichtum weniger sicher, also weniger wertvoll seien, als die im Landbau angelegten. Wenn irgend ein Zweig der nationalen Arbeit Lasten tragen kann und soll, so ist es dieser, der dem unsichersten und einträglichsten und zugleich einem immer wachsenden Erwerbe nachgeht. Die Agrarier wollen freilich die Zölle, um reicher zu werden, um wieder wehr zu haben als jetzt. Aber wenn der kleine Mann nur das Seinige hat, so kann es uns gleich sein, ob die Landbarone oder die Schlotbarone reicher sind, oder ob einer dem andern etwas abgeben muß. Die großen Vermögen sammeln sich doch nicht nach Verdienst, sondern bald hier bald dort, wie Staubhäufchen im Winde. Man kann auch nicht behaupten, daß der Gutsbesitzer weniger würdig wäre. Wenn er verschuldet ist, so ist er darum noch nicht schuldig. Eine Verschuldung von sechzig Prozent ist eigentlich beim Grundbesitz ganz natürlich. Wenn ein Vater sein Gut an drei Kinder vererbt, so hat der neue Besitzer bloß ein Drittel, und wenn dieser wieder vererbt, so hat der Enkel schon bald gar nichts mehr. Dagegen hilft keine innere Politik außer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/21>, abgerufen am 29.12.2024.