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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zur Polenfrage

Wert und also Renteuertrag des Bodens kein Wunder. Steht aber auch der
Ernteertrag beim Kleinbetrieb höher? Wenn es Aufgabe einer guten Volks¬
wirtschaft ist, möglichst viel Güter für das Volk herzustellen, so ist es doch
wahrscheinlich, daß die rationelle Arbeit des Rittergutsbesitzers fruchtbarer und
darum wertvoller ist. Erzeugt er mehr Korn, so nährt er auch mehr Leute,
trotzdem daß er weniger beschäftigt als der Kleinbetrieb. Denn ungegesfen
bleibt nichts.

Freilich mag es wünschenswert sein, auf bantrotten Rittergütern im Osten
einen neuen Bauernstand aufzubauen. Aber der braucht lange Zeit. Unter¬
dessen könnte längst unser Landvolk polnisch oder katholisch geworden sein.
Alle Rittergüter auf einmal durch Chilenen der Gesetzgebung in den Bankrott
zu stürzen, um Platz für Bauern zu gewinnen, das wäre ein Plan von so
teuflischer Größe, daß ich ihn auch unsern Demokraten nicht zutraue, ge¬
schweige denn seine Ausführung. Außerdem wäre eine solche Unternehmung,
wie der Verfasser selbst sagt, ohne Revolution unmöglich. Zunächst ist die
konservative Partei oder sagen wir: der konservative Teil des Volkes der einzig
regierungsfähige. Er allein fühlt die Verantwortung für den Schutz des
Landes nach außen und anch der Ordnung im Innern, er allein hat Ver¬
ständnis für die Nöte einer Negierung und deren Motto: Gut oder schlecht,
regiert muß werden. So große, weitausholende Aktionen könnten zunächst nur
mit, nicht gegen die konservativen Innrer gemacht werden. Will man also die
Polenpolikik nicht ganz aufgeben, so wird man einen Weg suchen müssen, den
die Junker mitmachen können, ohne die Beine zu brechen, was man doch nicht
gut verlangen kann.

Verspräche man den Landwirten höhere Preise, so würden sie ohne
Zweifel mitmachen. Sie würden für den Schutz der nationalen Arbeit sorgen,
nicht nur in dem bisherigen, sondern im vollen Sinne des Wortes; denn zur
deutschen Landwirtschaft gehört auch ein deutscher Arbeiter. Freilich, Korn¬
zölle im Interesse der Arbeiter, das klingt fast wie Verrat und Betrug;
und doch bitte ich die Freunde der Arbeiter, wieder einmal zu überlegen,
ob denn wirklich Kornzölle eine Last für das Volk sind. Wenn bei uns
der Roggen künstlich gesteigert würde, würde denn nicht ebenso viel Korn
im Lande gebaut werden wie heute? Würde die für den einheimischen
Markt arbeitende Industrie, die die überschüssige Ernte in Zahlung nimmt,
nicht ebenso viel Arbeiter unterhalten können? Würden diese Arbeiter nicht
ebenso viel Güter, nämlich Kleider, Bier und Cigarren herstellen als vorher?
Das Volk würde also auch ebenso viel konsumiren. Nichts ist trügerischer in
volkswirtschaftlichen Betrachtungen als die Zahlen, die Geld bedeuten. Was
hat es zu sagen, wenn der Roggen gegen die ausländische Ware Gold das
doppelte gilt, zumal wenn die meisten Waren mit ihm steigen, und man vom
Auslande nichts nötiges braucht? Wenn es ebenso viel Roggen giebt, so


Zur Polenfrage

Wert und also Renteuertrag des Bodens kein Wunder. Steht aber auch der
Ernteertrag beim Kleinbetrieb höher? Wenn es Aufgabe einer guten Volks¬
wirtschaft ist, möglichst viel Güter für das Volk herzustellen, so ist es doch
wahrscheinlich, daß die rationelle Arbeit des Rittergutsbesitzers fruchtbarer und
darum wertvoller ist. Erzeugt er mehr Korn, so nährt er auch mehr Leute,
trotzdem daß er weniger beschäftigt als der Kleinbetrieb. Denn ungegesfen
bleibt nichts.

Freilich mag es wünschenswert sein, auf bantrotten Rittergütern im Osten
einen neuen Bauernstand aufzubauen. Aber der braucht lange Zeit. Unter¬
dessen könnte längst unser Landvolk polnisch oder katholisch geworden sein.
Alle Rittergüter auf einmal durch Chilenen der Gesetzgebung in den Bankrott
zu stürzen, um Platz für Bauern zu gewinnen, das wäre ein Plan von so
teuflischer Größe, daß ich ihn auch unsern Demokraten nicht zutraue, ge¬
schweige denn seine Ausführung. Außerdem wäre eine solche Unternehmung,
wie der Verfasser selbst sagt, ohne Revolution unmöglich. Zunächst ist die
konservative Partei oder sagen wir: der konservative Teil des Volkes der einzig
regierungsfähige. Er allein fühlt die Verantwortung für den Schutz des
Landes nach außen und anch der Ordnung im Innern, er allein hat Ver¬
ständnis für die Nöte einer Negierung und deren Motto: Gut oder schlecht,
regiert muß werden. So große, weitausholende Aktionen könnten zunächst nur
mit, nicht gegen die konservativen Innrer gemacht werden. Will man also die
Polenpolikik nicht ganz aufgeben, so wird man einen Weg suchen müssen, den
die Junker mitmachen können, ohne die Beine zu brechen, was man doch nicht
gut verlangen kann.

Verspräche man den Landwirten höhere Preise, so würden sie ohne
Zweifel mitmachen. Sie würden für den Schutz der nationalen Arbeit sorgen,
nicht nur in dem bisherigen, sondern im vollen Sinne des Wortes; denn zur
deutschen Landwirtschaft gehört auch ein deutscher Arbeiter. Freilich, Korn¬
zölle im Interesse der Arbeiter, das klingt fast wie Verrat und Betrug;
und doch bitte ich die Freunde der Arbeiter, wieder einmal zu überlegen,
ob denn wirklich Kornzölle eine Last für das Volk sind. Wenn bei uns
der Roggen künstlich gesteigert würde, würde denn nicht ebenso viel Korn
im Lande gebaut werden wie heute? Würde die für den einheimischen
Markt arbeitende Industrie, die die überschüssige Ernte in Zahlung nimmt,
nicht ebenso viel Arbeiter unterhalten können? Würden diese Arbeiter nicht
ebenso viel Güter, nämlich Kleider, Bier und Cigarren herstellen als vorher?
Das Volk würde also auch ebenso viel konsumiren. Nichts ist trügerischer in
volkswirtschaftlichen Betrachtungen als die Zahlen, die Geld bedeuten. Was
hat es zu sagen, wenn der Roggen gegen die ausländische Ware Gold das
doppelte gilt, zumal wenn die meisten Waren mit ihm steigen, und man vom
Auslande nichts nötiges braucht? Wenn es ebenso viel Roggen giebt, so


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[0020] Zur Polenfrage Wert und also Renteuertrag des Bodens kein Wunder. Steht aber auch der Ernteertrag beim Kleinbetrieb höher? Wenn es Aufgabe einer guten Volks¬ wirtschaft ist, möglichst viel Güter für das Volk herzustellen, so ist es doch wahrscheinlich, daß die rationelle Arbeit des Rittergutsbesitzers fruchtbarer und darum wertvoller ist. Erzeugt er mehr Korn, so nährt er auch mehr Leute, trotzdem daß er weniger beschäftigt als der Kleinbetrieb. Denn ungegesfen bleibt nichts. Freilich mag es wünschenswert sein, auf bantrotten Rittergütern im Osten einen neuen Bauernstand aufzubauen. Aber der braucht lange Zeit. Unter¬ dessen könnte längst unser Landvolk polnisch oder katholisch geworden sein. Alle Rittergüter auf einmal durch Chilenen der Gesetzgebung in den Bankrott zu stürzen, um Platz für Bauern zu gewinnen, das wäre ein Plan von so teuflischer Größe, daß ich ihn auch unsern Demokraten nicht zutraue, ge¬ schweige denn seine Ausführung. Außerdem wäre eine solche Unternehmung, wie der Verfasser selbst sagt, ohne Revolution unmöglich. Zunächst ist die konservative Partei oder sagen wir: der konservative Teil des Volkes der einzig regierungsfähige. Er allein fühlt die Verantwortung für den Schutz des Landes nach außen und anch der Ordnung im Innern, er allein hat Ver¬ ständnis für die Nöte einer Negierung und deren Motto: Gut oder schlecht, regiert muß werden. So große, weitausholende Aktionen könnten zunächst nur mit, nicht gegen die konservativen Innrer gemacht werden. Will man also die Polenpolikik nicht ganz aufgeben, so wird man einen Weg suchen müssen, den die Junker mitmachen können, ohne die Beine zu brechen, was man doch nicht gut verlangen kann. Verspräche man den Landwirten höhere Preise, so würden sie ohne Zweifel mitmachen. Sie würden für den Schutz der nationalen Arbeit sorgen, nicht nur in dem bisherigen, sondern im vollen Sinne des Wortes; denn zur deutschen Landwirtschaft gehört auch ein deutscher Arbeiter. Freilich, Korn¬ zölle im Interesse der Arbeiter, das klingt fast wie Verrat und Betrug; und doch bitte ich die Freunde der Arbeiter, wieder einmal zu überlegen, ob denn wirklich Kornzölle eine Last für das Volk sind. Wenn bei uns der Roggen künstlich gesteigert würde, würde denn nicht ebenso viel Korn im Lande gebaut werden wie heute? Würde die für den einheimischen Markt arbeitende Industrie, die die überschüssige Ernte in Zahlung nimmt, nicht ebenso viel Arbeiter unterhalten können? Würden diese Arbeiter nicht ebenso viel Güter, nämlich Kleider, Bier und Cigarren herstellen als vorher? Das Volk würde also auch ebenso viel konsumiren. Nichts ist trügerischer in volkswirtschaftlichen Betrachtungen als die Zahlen, die Geld bedeuten. Was hat es zu sagen, wenn der Roggen gegen die ausländische Ware Gold das doppelte gilt, zumal wenn die meisten Waren mit ihm steigen, und man vom Auslande nichts nötiges braucht? Wenn es ebenso viel Roggen giebt, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/20>, abgerufen am 24.07.2024.