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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Jahre ihren Standort wechselnden Regimenter wohnen, vorher aber nicht in ihm
gedient haben. Hierauf zielt die abfällige Beurteilung des Gesetzes, die im Senat
in dem Vorgänger des jetzigen Kriegsministers, dem General Rieotti, einen fach¬
männisch sehr beschlagnen und kraftvollen Vertreter fand. Die Pellouxschen Friedens¬
kompagnien sind für gewöhnlich nur 83 Mann stark, und diese schwachen Kompagnien
werden durch Urlauber auf den Kriegsfuß von 250 Manu gebracht, die zum
größern Teil durch keine Baude der militärischen Erziehung und Überlieferung mit
dem Truppenteil und seinen Offizieren verbunden sind. So werde, meinte Ricotti,
eine zusammenhangslose. schwer lenkbare Masse und eine ernste Gefahr für die Auf¬
rechterhaltung der militärischen Zucht entstehen. Der Forderung Rieottis, dem
System der nationalen Ergänzung im Frieden das der nationalen Mobilmachung
an die Seite zu setzen, begegnete der Kriegsminister mit dem Hinweis auf die bei
den italienischen Eiseubahuverhttltnissen entstehenden großen Transportschwierigkeitcn
und auf die die äußerste Schnelligkeit der Kriegsbereitschaft anstrebenden Ein¬
richtungen. Mit dem letztern Gedanken ist der Kern der Frage berührt: bei einem
seiner Verpflichtungen gegen den Dreibuud ledigen Italien, dem keine Angriffsrolle,
namentlich nicht in den ersten Tagen nach Ausbruch eines Krieges zufällt, und das
für den Landkrieg nur an seine eigne Verteidigung zu denken hat, ist, namentlich
bei weiterer Ausgestaltung der in Frieden und Krieg sich territorial ergänzenden
Alpentruppen, eine nationale Mobilmachung sehr wohl denkbar. Ein solches Italien
aber schwebt wohl der Militärpartei Rieottis vor, die in Kammer und Senat auf
der äußersten Rechten ihren Platz hat und es bei der Abstimmung über das Pellouxsche
Gesetz im Senat auf 27 verwerfende Stimmen von 95 brachte. Im Rahmen
der Dreibundpolitik muß dos territoriale System der Mobilmachung, das einen
Gewinn von sechs Tagen für die so oft ausschlaggebenden ersten Feldzugs- und
Angriffsmaßregeln bedeutet, als das einzig richtige betrachtet, müssen seine Nachteile
mit in den Kauf genommen werden.

Immer im Hinblick auf Italien als Dreibundstaat erscheinen weiter als Vor¬
teile des Gesetzes: die Erhöhung der Aushebung um etwa 40 000 Mann, die
Absicht, eine Friedensdurchschnittsstärke von etwa 215 000 Mann zu unterhalten,
Erhöhung der Stärken von Landwehr- und Landsturmtruppeu, die Kräftigung ihrer
Verbände durch umfassendere Zuteilung von Offizieren. Mit allen diesen Ma߬
regeln und Absichten, ebenso wie mit der Aufrechterhaltung der zwölf Armeekorps,
sind die Hecresverminderungsgedaukeu, die im Mai 1892 das erste Ministerium
Nudini zu Fall brachten, endgiltig abgethan. Voraussetzung dafür ist allerdings,
daß sich der vergrößerte Heereskörper auch dauernd mit wirklichem Leben erfüllen
läßt, daß z. B. für ausreichende Landwehr- und Landsturmübungen, für Probe¬
mobilmachungen usw. Mittel gefunden werden. Verwaltungs- und Ersparuismaß-
regeln sollen nach der Versicherung des Ministers diese Mittel schaffen.

Den wohlberechneten und steten Angriffen der Linken der italienischen Kammer
auf Einrichtungen des Heeres von besonders konservativer Art fehlt leider unter
den Abgeordneten das rechte Gegengewicht. Es ist deshalb anzuerkennen, daß der
Minister Pelloux, verbindlicher in der Form als sein Vorgänger Ricotti, aber
widerstandsfähiger als dessen Vorgänger Mocenni, bis jetzt dem Ansturm auf
gänzliche Abschaffung der Kadcttenkorps -- Italien hat noch zwei -- und des
höchsten militärischen Gerichtshofs gegenüber Stand gehalten und diese Einrichtungen
aufrecht erhalten hat.

Alles in allem, ohne für die Schwächen des Gesetzes blind zu sein, darf man
sich freuen, daß ohne einschneidende Eingriffe in die bisherigen Verhältnisse dem


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Jahre ihren Standort wechselnden Regimenter wohnen, vorher aber nicht in ihm
gedient haben. Hierauf zielt die abfällige Beurteilung des Gesetzes, die im Senat
in dem Vorgänger des jetzigen Kriegsministers, dem General Rieotti, einen fach¬
männisch sehr beschlagnen und kraftvollen Vertreter fand. Die Pellouxschen Friedens¬
kompagnien sind für gewöhnlich nur 83 Mann stark, und diese schwachen Kompagnien
werden durch Urlauber auf den Kriegsfuß von 250 Manu gebracht, die zum
größern Teil durch keine Baude der militärischen Erziehung und Überlieferung mit
dem Truppenteil und seinen Offizieren verbunden sind. So werde, meinte Ricotti,
eine zusammenhangslose. schwer lenkbare Masse und eine ernste Gefahr für die Auf¬
rechterhaltung der militärischen Zucht entstehen. Der Forderung Rieottis, dem
System der nationalen Ergänzung im Frieden das der nationalen Mobilmachung
an die Seite zu setzen, begegnete der Kriegsminister mit dem Hinweis auf die bei
den italienischen Eiseubahuverhttltnissen entstehenden großen Transportschwierigkeitcn
und auf die die äußerste Schnelligkeit der Kriegsbereitschaft anstrebenden Ein¬
richtungen. Mit dem letztern Gedanken ist der Kern der Frage berührt: bei einem
seiner Verpflichtungen gegen den Dreibuud ledigen Italien, dem keine Angriffsrolle,
namentlich nicht in den ersten Tagen nach Ausbruch eines Krieges zufällt, und das
für den Landkrieg nur an seine eigne Verteidigung zu denken hat, ist, namentlich
bei weiterer Ausgestaltung der in Frieden und Krieg sich territorial ergänzenden
Alpentruppen, eine nationale Mobilmachung sehr wohl denkbar. Ein solches Italien
aber schwebt wohl der Militärpartei Rieottis vor, die in Kammer und Senat auf
der äußersten Rechten ihren Platz hat und es bei der Abstimmung über das Pellouxsche
Gesetz im Senat auf 27 verwerfende Stimmen von 95 brachte. Im Rahmen
der Dreibundpolitik muß dos territoriale System der Mobilmachung, das einen
Gewinn von sechs Tagen für die so oft ausschlaggebenden ersten Feldzugs- und
Angriffsmaßregeln bedeutet, als das einzig richtige betrachtet, müssen seine Nachteile
mit in den Kauf genommen werden.

Immer im Hinblick auf Italien als Dreibundstaat erscheinen weiter als Vor¬
teile des Gesetzes: die Erhöhung der Aushebung um etwa 40 000 Mann, die
Absicht, eine Friedensdurchschnittsstärke von etwa 215 000 Mann zu unterhalten,
Erhöhung der Stärken von Landwehr- und Landsturmtruppeu, die Kräftigung ihrer
Verbände durch umfassendere Zuteilung von Offizieren. Mit allen diesen Ma߬
regeln und Absichten, ebenso wie mit der Aufrechterhaltung der zwölf Armeekorps,
sind die Hecresverminderungsgedaukeu, die im Mai 1892 das erste Ministerium
Nudini zu Fall brachten, endgiltig abgethan. Voraussetzung dafür ist allerdings,
daß sich der vergrößerte Heereskörper auch dauernd mit wirklichem Leben erfüllen
läßt, daß z. B. für ausreichende Landwehr- und Landsturmübungen, für Probe¬
mobilmachungen usw. Mittel gefunden werden. Verwaltungs- und Ersparuismaß-
regeln sollen nach der Versicherung des Ministers diese Mittel schaffen.

Den wohlberechneten und steten Angriffen der Linken der italienischen Kammer
auf Einrichtungen des Heeres von besonders konservativer Art fehlt leider unter
den Abgeordneten das rechte Gegengewicht. Es ist deshalb anzuerkennen, daß der
Minister Pelloux, verbindlicher in der Form als sein Vorgänger Ricotti, aber
widerstandsfähiger als dessen Vorgänger Mocenni, bis jetzt dem Ansturm auf
gänzliche Abschaffung der Kadcttenkorps — Italien hat noch zwei — und des
höchsten militärischen Gerichtshofs gegenüber Stand gehalten und diese Einrichtungen
aufrecht erhalten hat.

Alles in allem, ohne für die Schwächen des Gesetzes blind zu sein, darf man
sich freuen, daß ohne einschneidende Eingriffe in die bisherigen Verhältnisse dem


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[0197] Maßgebliches und Unmaßgebliches Jahre ihren Standort wechselnden Regimenter wohnen, vorher aber nicht in ihm gedient haben. Hierauf zielt die abfällige Beurteilung des Gesetzes, die im Senat in dem Vorgänger des jetzigen Kriegsministers, dem General Rieotti, einen fach¬ männisch sehr beschlagnen und kraftvollen Vertreter fand. Die Pellouxschen Friedens¬ kompagnien sind für gewöhnlich nur 83 Mann stark, und diese schwachen Kompagnien werden durch Urlauber auf den Kriegsfuß von 250 Manu gebracht, die zum größern Teil durch keine Baude der militärischen Erziehung und Überlieferung mit dem Truppenteil und seinen Offizieren verbunden sind. So werde, meinte Ricotti, eine zusammenhangslose. schwer lenkbare Masse und eine ernste Gefahr für die Auf¬ rechterhaltung der militärischen Zucht entstehen. Der Forderung Rieottis, dem System der nationalen Ergänzung im Frieden das der nationalen Mobilmachung an die Seite zu setzen, begegnete der Kriegsminister mit dem Hinweis auf die bei den italienischen Eiseubahuverhttltnissen entstehenden großen Transportschwierigkeitcn und auf die die äußerste Schnelligkeit der Kriegsbereitschaft anstrebenden Ein¬ richtungen. Mit dem letztern Gedanken ist der Kern der Frage berührt: bei einem seiner Verpflichtungen gegen den Dreibuud ledigen Italien, dem keine Angriffsrolle, namentlich nicht in den ersten Tagen nach Ausbruch eines Krieges zufällt, und das für den Landkrieg nur an seine eigne Verteidigung zu denken hat, ist, namentlich bei weiterer Ausgestaltung der in Frieden und Krieg sich territorial ergänzenden Alpentruppen, eine nationale Mobilmachung sehr wohl denkbar. Ein solches Italien aber schwebt wohl der Militärpartei Rieottis vor, die in Kammer und Senat auf der äußersten Rechten ihren Platz hat und es bei der Abstimmung über das Pellouxsche Gesetz im Senat auf 27 verwerfende Stimmen von 95 brachte. Im Rahmen der Dreibundpolitik muß dos territoriale System der Mobilmachung, das einen Gewinn von sechs Tagen für die so oft ausschlaggebenden ersten Feldzugs- und Angriffsmaßregeln bedeutet, als das einzig richtige betrachtet, müssen seine Nachteile mit in den Kauf genommen werden. Immer im Hinblick auf Italien als Dreibundstaat erscheinen weiter als Vor¬ teile des Gesetzes: die Erhöhung der Aushebung um etwa 40 000 Mann, die Absicht, eine Friedensdurchschnittsstärke von etwa 215 000 Mann zu unterhalten, Erhöhung der Stärken von Landwehr- und Landsturmtruppeu, die Kräftigung ihrer Verbände durch umfassendere Zuteilung von Offizieren. Mit allen diesen Ma߬ regeln und Absichten, ebenso wie mit der Aufrechterhaltung der zwölf Armeekorps, sind die Hecresverminderungsgedaukeu, die im Mai 1892 das erste Ministerium Nudini zu Fall brachten, endgiltig abgethan. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß sich der vergrößerte Heereskörper auch dauernd mit wirklichem Leben erfüllen läßt, daß z. B. für ausreichende Landwehr- und Landsturmübungen, für Probe¬ mobilmachungen usw. Mittel gefunden werden. Verwaltungs- und Ersparuismaß- regeln sollen nach der Versicherung des Ministers diese Mittel schaffen. Den wohlberechneten und steten Angriffen der Linken der italienischen Kammer auf Einrichtungen des Heeres von besonders konservativer Art fehlt leider unter den Abgeordneten das rechte Gegengewicht. Es ist deshalb anzuerkennen, daß der Minister Pelloux, verbindlicher in der Form als sein Vorgänger Ricotti, aber widerstandsfähiger als dessen Vorgänger Mocenni, bis jetzt dem Ansturm auf gänzliche Abschaffung der Kadcttenkorps — Italien hat noch zwei — und des höchsten militärischen Gerichtshofs gegenüber Stand gehalten und diese Einrichtungen aufrecht erhalten hat. Alles in allem, ohne für die Schwächen des Gesetzes blind zu sein, darf man sich freuen, daß ohne einschneidende Eingriffe in die bisherigen Verhältnisse dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/197>, abgerufen am 29.12.2024.