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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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nicht verstand, und fanden daher keine Käufer. Jetzt haben einsichtige Kunst¬
freunde größere Kreise für die Freude am Heimischen zu gewinnen gesucht.
Liebhaber Photographiren, zeichnen, radiren, andre wieder schriftstellern, sie alle
suchen das ältere, äußerlich der modernen Bauentwicklung weichende Hamburg
in der Erinnerung festzuhalten. Der Dilettantismus wird organisirt und
nützlich gemacht, aber er hält sich nicht für Künstlertum und drängt keinem
seine Leistungen auf, der nichts mit ihm zu thun haben mag; die Publika¬
tionen sind zum Teil nicht einmal im Buchhandel zu haben. Es ist also ein
Vereinsleben, wie man es vielerorten kennt, nur daß es dort einen besonders
wertvollen Inhalt hat. In diesen Vereinen beschäftigt man sich aber nicht
nur mit dem Ausüben, sondern auch mit dem Verstehen der Kunst. Man
sucht von da aus ästhetische Bildung in die Massen zu tragen, was z. B.,
da der angenehmste Weg jedenfalls der beliebteste sein wird, zunächst durch
billige Volkskonzerte geschehen ist. Der erläuternde Ästhetiker bemerkt darüber
am Schluß seines Aufsatzes: "Der Andrang des Publikums ist ganz enorm
und sein Dank enthusiastisch. Wer es noch nicht glaubt, der kommt vielleicht
durch dergleichen Konzerte zu der Überzeugung, daß die Kunst, die souveräne,
vom Kapitalismus und vom Akademismus befreite Kunst die Erzieherin der
Zukunft ist." Schade, daß wir zu spät auf die Welt gekommen sind, um die
Vorteile einer so einfachen Erziehung noch zu genießen.

Aber es werden doch auch noch andre Versuche gemacht. Es soll, wie
es in einem andern Aufsatze heißt, versucht werden, "auf der Basis der Kunst
etwas wie eine Schulgemeinde zu gründen." Die Schulkinder werden nämlich
in die Kunstsammlungen geführt und dann nebst ihren Eltern zu Unterhaltungs¬
abenden eingeladen, wobei der lehrhafte Anstrich möglichst vermieden wird;
Vorlesungen aus Schriftstellern wechseln dann mit Quartettmusik und Chor¬
gesang ab. "Die Seele dieser Bestrebungen bilden die Lehrer an den Volks¬
schulen, die überhaupt im geistigen Leben Hamburgs eine Rolle spielen. Die
Gründung der Litterarischen Gesellschaft ist von ihnen ausgegangen, einige der
namhaftesten Hamburgischen Schriftsteller gehören ihnen an oder stehen ihrem
Kreis nahe. Es wirft ein scharfes Licht auf die Jsolirung der Hamburger
Gesellschaft, daß die Volksschullehrer den direkten Verkehr mit den hervor¬
ragenden Schriftstellern des Inlandes vermitteln." Die Volksschullehrer haben
es also jedenfalls dort sehr gut, wenn sie nicht inzwischen vielleicht schon durch
den stärken, Zufluß begehrlicher Kollegen von auswärts etwas beeinträchtigt
morden sind. Für die Spitzen der Gesellschaft ist ja das Zeugnis weniger
schmeichelhaft, aber der "Pan" wird wissen, was er zu sagen hat, und sie müssen
sich dadurch schadlos halten, daß einige Seiten weiter oben der Hamburgische
Großkaufmann an Intelligenz und Umfang der Kenntnisse über die meisten
Gelehrten gestellt wird. "Auf daß jedes was habe," Pflegte bei solchen Gelegen¬
heiten Goethe zu sagen.


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nicht verstand, und fanden daher keine Käufer. Jetzt haben einsichtige Kunst¬
freunde größere Kreise für die Freude am Heimischen zu gewinnen gesucht.
Liebhaber Photographiren, zeichnen, radiren, andre wieder schriftstellern, sie alle
suchen das ältere, äußerlich der modernen Bauentwicklung weichende Hamburg
in der Erinnerung festzuhalten. Der Dilettantismus wird organisirt und
nützlich gemacht, aber er hält sich nicht für Künstlertum und drängt keinem
seine Leistungen auf, der nichts mit ihm zu thun haben mag; die Publika¬
tionen sind zum Teil nicht einmal im Buchhandel zu haben. Es ist also ein
Vereinsleben, wie man es vielerorten kennt, nur daß es dort einen besonders
wertvollen Inhalt hat. In diesen Vereinen beschäftigt man sich aber nicht
nur mit dem Ausüben, sondern auch mit dem Verstehen der Kunst. Man
sucht von da aus ästhetische Bildung in die Massen zu tragen, was z. B.,
da der angenehmste Weg jedenfalls der beliebteste sein wird, zunächst durch
billige Volkskonzerte geschehen ist. Der erläuternde Ästhetiker bemerkt darüber
am Schluß seines Aufsatzes: „Der Andrang des Publikums ist ganz enorm
und sein Dank enthusiastisch. Wer es noch nicht glaubt, der kommt vielleicht
durch dergleichen Konzerte zu der Überzeugung, daß die Kunst, die souveräne,
vom Kapitalismus und vom Akademismus befreite Kunst die Erzieherin der
Zukunft ist." Schade, daß wir zu spät auf die Welt gekommen sind, um die
Vorteile einer so einfachen Erziehung noch zu genießen.

Aber es werden doch auch noch andre Versuche gemacht. Es soll, wie
es in einem andern Aufsatze heißt, versucht werden, „auf der Basis der Kunst
etwas wie eine Schulgemeinde zu gründen." Die Schulkinder werden nämlich
in die Kunstsammlungen geführt und dann nebst ihren Eltern zu Unterhaltungs¬
abenden eingeladen, wobei der lehrhafte Anstrich möglichst vermieden wird;
Vorlesungen aus Schriftstellern wechseln dann mit Quartettmusik und Chor¬
gesang ab. „Die Seele dieser Bestrebungen bilden die Lehrer an den Volks¬
schulen, die überhaupt im geistigen Leben Hamburgs eine Rolle spielen. Die
Gründung der Litterarischen Gesellschaft ist von ihnen ausgegangen, einige der
namhaftesten Hamburgischen Schriftsteller gehören ihnen an oder stehen ihrem
Kreis nahe. Es wirft ein scharfes Licht auf die Jsolirung der Hamburger
Gesellschaft, daß die Volksschullehrer den direkten Verkehr mit den hervor¬
ragenden Schriftstellern des Inlandes vermitteln." Die Volksschullehrer haben
es also jedenfalls dort sehr gut, wenn sie nicht inzwischen vielleicht schon durch
den stärken, Zufluß begehrlicher Kollegen von auswärts etwas beeinträchtigt
morden sind. Für die Spitzen der Gesellschaft ist ja das Zeugnis weniger
schmeichelhaft, aber der „Pan" wird wissen, was er zu sagen hat, und sie müssen
sich dadurch schadlos halten, daß einige Seiten weiter oben der Hamburgische
Großkaufmann an Intelligenz und Umfang der Kenntnisse über die meisten
Gelehrten gestellt wird. „Auf daß jedes was habe," Pflegte bei solchen Gelegen¬
heiten Goethe zu sagen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/192>, abgerufen am 24.07.2024.