Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Polenfrage

behauptet, daß Frankreich nach allen seinen Kriegen nicht weniger Einwohner
gehabt habe als vorher. Und da sollte Germania, die man wegen ihrer
Fruchtbarkeit auch schon Germinania genannt hat, nicht genug Söhne für die
eigne Erde haben? Freilich kann den preußischen Polen nicht verboten werden,
sich Arbeit zu suchen, wo sie wollen; aber man kann die gewerbsmäßige Ver¬
mittlung Polnischer Arbeit verbieten.

Solche Maßregeln würden nur eine fatale und doch eigentlich nicht fatale
Folge haben- Die Löhne würden zunächst proportional den Schwierigkeiten
der Neuerung steigen. Nun haben die landwirtschaftlichen Arbeitgeber schon
jetzt durch die Arbeiterwohlfahrtsgesetze großen Schaden gehabt, mehr als die
industriellen. Denn ein Fabrikant, der vielleicht nur den dritten Teil seines
umlaufenden Kapitals in Arbeitslöhnen anlegt, das andre in Rohmaterial, trägt
die erhöhten Kosten der Arbeit natürlich leichter als ein Landwirt, bei dem
es umgekehrt ist. Unter den heutigen Verhältnissen würden sie die neuen
Lasten nicht tragen können, würden bankrott werden, und wie der Verfasser
des genannten Aufsatzes betont, in erster Linie die Rittergutsbesitzer.

Er opfert die Rittergüter leichten Herzens. Er will Bauernkolonisativn.
Aber die ist ein langwieriges Ding. Er meint freilich, man könne zur Zu¬
friedenheit beider Teile Rittergüter in Bauerngüter verwandeln. Aber ich
glaube, daß nur bankrotte Rittergüter mit dauerndem Erfolg zu Bauern¬
gütern gemacht werden können, daß nur auf jungfräulichen, auf relativ un¬
belastetem Boden Kolonisation möglich ist. Sollte wirklich ein großes Gut
einen mit allen Kenntnissen der modernen Wissenschaft arbeitenden Landwirt,
auch wenn er standesgemäß lebt, schwerer tragen können als etwa zehn Bauern¬
familien? Der Großbetrieb ist doch sonst sparsamer. Wird ein großes Gut
in immer kleinere Wirtschaften geteilt, so trägt (oder bringt) es in Summa immer
weniger Arbeitslohn und immer mehr Rente. Nehmen wir an: hundert Arbeiter
seien nötig, um auf einem Gut einen bestimmten Ernteertrag zu erzielen.
Zuerst besteht dann der Ertrag des Landes in Rente für einen Besitzer und in
Arbeitslöhnen für neunundneunzig Arbeiter. Werden von den hundert Arbeitern
dreißig zu bäuerlichen Besitzern des Landes, so braucht das Land nur noch
Lohn für siebzig Arbeiter zu bringen. Alles andre heißt Rente, obwohl es
eigentlich Rente und Arbeitslohn ist. Weil es aber Rente heißt und Geld¬
ertrag bedeutet, so bestimmt es den Preis des Landes. Wird noch weiter
aufgeteilt, so verschwindet der Arbeitslohn, während der Besitzer und sogenannte
Rentner schließlich schlechter steht, als vorher der Lohnarbeiter. Er kommt
auf sein Existenzminimum. Dies wirtschaftliche Idyll nennt man Zwergwirt¬
schaft, worüber wir bei Friedrich List nachzulesen bitten. Da ist es möglich,
daß auch noch die in der Hausindustrie gewonnenen Löhne dem Boden als
Verdienst angerechnet werden und seinen Preis bestimmen. Bei dieser Art von
Kleinbetrieb, die man besser Schollensklaverei nennt, ist freilich der höhere


Zur Polenfrage

behauptet, daß Frankreich nach allen seinen Kriegen nicht weniger Einwohner
gehabt habe als vorher. Und da sollte Germania, die man wegen ihrer
Fruchtbarkeit auch schon Germinania genannt hat, nicht genug Söhne für die
eigne Erde haben? Freilich kann den preußischen Polen nicht verboten werden,
sich Arbeit zu suchen, wo sie wollen; aber man kann die gewerbsmäßige Ver¬
mittlung Polnischer Arbeit verbieten.

Solche Maßregeln würden nur eine fatale und doch eigentlich nicht fatale
Folge haben- Die Löhne würden zunächst proportional den Schwierigkeiten
der Neuerung steigen. Nun haben die landwirtschaftlichen Arbeitgeber schon
jetzt durch die Arbeiterwohlfahrtsgesetze großen Schaden gehabt, mehr als die
industriellen. Denn ein Fabrikant, der vielleicht nur den dritten Teil seines
umlaufenden Kapitals in Arbeitslöhnen anlegt, das andre in Rohmaterial, trägt
die erhöhten Kosten der Arbeit natürlich leichter als ein Landwirt, bei dem
es umgekehrt ist. Unter den heutigen Verhältnissen würden sie die neuen
Lasten nicht tragen können, würden bankrott werden, und wie der Verfasser
des genannten Aufsatzes betont, in erster Linie die Rittergutsbesitzer.

Er opfert die Rittergüter leichten Herzens. Er will Bauernkolonisativn.
Aber die ist ein langwieriges Ding. Er meint freilich, man könne zur Zu¬
friedenheit beider Teile Rittergüter in Bauerngüter verwandeln. Aber ich
glaube, daß nur bankrotte Rittergüter mit dauerndem Erfolg zu Bauern¬
gütern gemacht werden können, daß nur auf jungfräulichen, auf relativ un¬
belastetem Boden Kolonisation möglich ist. Sollte wirklich ein großes Gut
einen mit allen Kenntnissen der modernen Wissenschaft arbeitenden Landwirt,
auch wenn er standesgemäß lebt, schwerer tragen können als etwa zehn Bauern¬
familien? Der Großbetrieb ist doch sonst sparsamer. Wird ein großes Gut
in immer kleinere Wirtschaften geteilt, so trägt (oder bringt) es in Summa immer
weniger Arbeitslohn und immer mehr Rente. Nehmen wir an: hundert Arbeiter
seien nötig, um auf einem Gut einen bestimmten Ernteertrag zu erzielen.
Zuerst besteht dann der Ertrag des Landes in Rente für einen Besitzer und in
Arbeitslöhnen für neunundneunzig Arbeiter. Werden von den hundert Arbeitern
dreißig zu bäuerlichen Besitzern des Landes, so braucht das Land nur noch
Lohn für siebzig Arbeiter zu bringen. Alles andre heißt Rente, obwohl es
eigentlich Rente und Arbeitslohn ist. Weil es aber Rente heißt und Geld¬
ertrag bedeutet, so bestimmt es den Preis des Landes. Wird noch weiter
aufgeteilt, so verschwindet der Arbeitslohn, während der Besitzer und sogenannte
Rentner schließlich schlechter steht, als vorher der Lohnarbeiter. Er kommt
auf sein Existenzminimum. Dies wirtschaftliche Idyll nennt man Zwergwirt¬
schaft, worüber wir bei Friedrich List nachzulesen bitten. Da ist es möglich,
daß auch noch die in der Hausindustrie gewonnenen Löhne dem Boden als
Verdienst angerechnet werden und seinen Preis bestimmen. Bei dieser Art von
Kleinbetrieb, die man besser Schollensklaverei nennt, ist freilich der höhere


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0019" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225605"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Polenfrage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_36" prev="#ID_35"> behauptet, daß Frankreich nach allen seinen Kriegen nicht weniger Einwohner<lb/>
gehabt habe als vorher. Und da sollte Germania, die man wegen ihrer<lb/>
Fruchtbarkeit auch schon Germinania genannt hat, nicht genug Söhne für die<lb/>
eigne Erde haben? Freilich kann den preußischen Polen nicht verboten werden,<lb/>
sich Arbeit zu suchen, wo sie wollen; aber man kann die gewerbsmäßige Ver¬<lb/>
mittlung Polnischer Arbeit verbieten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_37"> Solche Maßregeln würden nur eine fatale und doch eigentlich nicht fatale<lb/>
Folge haben- Die Löhne würden zunächst proportional den Schwierigkeiten<lb/>
der Neuerung steigen. Nun haben die landwirtschaftlichen Arbeitgeber schon<lb/>
jetzt durch die Arbeiterwohlfahrtsgesetze großen Schaden gehabt, mehr als die<lb/>
industriellen. Denn ein Fabrikant, der vielleicht nur den dritten Teil seines<lb/>
umlaufenden Kapitals in Arbeitslöhnen anlegt, das andre in Rohmaterial, trägt<lb/>
die erhöhten Kosten der Arbeit natürlich leichter als ein Landwirt, bei dem<lb/>
es umgekehrt ist. Unter den heutigen Verhältnissen würden sie die neuen<lb/>
Lasten nicht tragen können, würden bankrott werden, und wie der Verfasser<lb/>
des genannten Aufsatzes betont, in erster Linie die Rittergutsbesitzer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_38" next="#ID_39"> Er opfert die Rittergüter leichten Herzens. Er will Bauernkolonisativn.<lb/>
Aber die ist ein langwieriges Ding. Er meint freilich, man könne zur Zu¬<lb/>
friedenheit beider Teile Rittergüter in Bauerngüter verwandeln. Aber ich<lb/>
glaube, daß nur bankrotte Rittergüter mit dauerndem Erfolg zu Bauern¬<lb/>
gütern gemacht werden können, daß nur auf jungfräulichen, auf relativ un¬<lb/>
belastetem Boden Kolonisation möglich ist. Sollte wirklich ein großes Gut<lb/>
einen mit allen Kenntnissen der modernen Wissenschaft arbeitenden Landwirt,<lb/>
auch wenn er standesgemäß lebt, schwerer tragen können als etwa zehn Bauern¬<lb/>
familien? Der Großbetrieb ist doch sonst sparsamer. Wird ein großes Gut<lb/>
in immer kleinere Wirtschaften geteilt, so trägt (oder bringt) es in Summa immer<lb/>
weniger Arbeitslohn und immer mehr Rente. Nehmen wir an: hundert Arbeiter<lb/>
seien nötig, um auf einem Gut einen bestimmten Ernteertrag zu erzielen.<lb/>
Zuerst besteht dann der Ertrag des Landes in Rente für einen Besitzer und in<lb/>
Arbeitslöhnen für neunundneunzig Arbeiter. Werden von den hundert Arbeitern<lb/>
dreißig zu bäuerlichen Besitzern des Landes, so braucht das Land nur noch<lb/>
Lohn für siebzig Arbeiter zu bringen. Alles andre heißt Rente, obwohl es<lb/>
eigentlich Rente und Arbeitslohn ist. Weil es aber Rente heißt und Geld¬<lb/>
ertrag bedeutet, so bestimmt es den Preis des Landes. Wird noch weiter<lb/>
aufgeteilt, so verschwindet der Arbeitslohn, während der Besitzer und sogenannte<lb/>
Rentner schließlich schlechter steht, als vorher der Lohnarbeiter. Er kommt<lb/>
auf sein Existenzminimum. Dies wirtschaftliche Idyll nennt man Zwergwirt¬<lb/>
schaft, worüber wir bei Friedrich List nachzulesen bitten. Da ist es möglich,<lb/>
daß auch noch die in der Hausindustrie gewonnenen Löhne dem Boden als<lb/>
Verdienst angerechnet werden und seinen Preis bestimmen. Bei dieser Art von<lb/>
Kleinbetrieb, die man besser Schollensklaverei nennt, ist freilich der höhere</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0019] Zur Polenfrage behauptet, daß Frankreich nach allen seinen Kriegen nicht weniger Einwohner gehabt habe als vorher. Und da sollte Germania, die man wegen ihrer Fruchtbarkeit auch schon Germinania genannt hat, nicht genug Söhne für die eigne Erde haben? Freilich kann den preußischen Polen nicht verboten werden, sich Arbeit zu suchen, wo sie wollen; aber man kann die gewerbsmäßige Ver¬ mittlung Polnischer Arbeit verbieten. Solche Maßregeln würden nur eine fatale und doch eigentlich nicht fatale Folge haben- Die Löhne würden zunächst proportional den Schwierigkeiten der Neuerung steigen. Nun haben die landwirtschaftlichen Arbeitgeber schon jetzt durch die Arbeiterwohlfahrtsgesetze großen Schaden gehabt, mehr als die industriellen. Denn ein Fabrikant, der vielleicht nur den dritten Teil seines umlaufenden Kapitals in Arbeitslöhnen anlegt, das andre in Rohmaterial, trägt die erhöhten Kosten der Arbeit natürlich leichter als ein Landwirt, bei dem es umgekehrt ist. Unter den heutigen Verhältnissen würden sie die neuen Lasten nicht tragen können, würden bankrott werden, und wie der Verfasser des genannten Aufsatzes betont, in erster Linie die Rittergutsbesitzer. Er opfert die Rittergüter leichten Herzens. Er will Bauernkolonisativn. Aber die ist ein langwieriges Ding. Er meint freilich, man könne zur Zu¬ friedenheit beider Teile Rittergüter in Bauerngüter verwandeln. Aber ich glaube, daß nur bankrotte Rittergüter mit dauerndem Erfolg zu Bauern¬ gütern gemacht werden können, daß nur auf jungfräulichen, auf relativ un¬ belastetem Boden Kolonisation möglich ist. Sollte wirklich ein großes Gut einen mit allen Kenntnissen der modernen Wissenschaft arbeitenden Landwirt, auch wenn er standesgemäß lebt, schwerer tragen können als etwa zehn Bauern¬ familien? Der Großbetrieb ist doch sonst sparsamer. Wird ein großes Gut in immer kleinere Wirtschaften geteilt, so trägt (oder bringt) es in Summa immer weniger Arbeitslohn und immer mehr Rente. Nehmen wir an: hundert Arbeiter seien nötig, um auf einem Gut einen bestimmten Ernteertrag zu erzielen. Zuerst besteht dann der Ertrag des Landes in Rente für einen Besitzer und in Arbeitslöhnen für neunundneunzig Arbeiter. Werden von den hundert Arbeitern dreißig zu bäuerlichen Besitzern des Landes, so braucht das Land nur noch Lohn für siebzig Arbeiter zu bringen. Alles andre heißt Rente, obwohl es eigentlich Rente und Arbeitslohn ist. Weil es aber Rente heißt und Geld¬ ertrag bedeutet, so bestimmt es den Preis des Landes. Wird noch weiter aufgeteilt, so verschwindet der Arbeitslohn, während der Besitzer und sogenannte Rentner schließlich schlechter steht, als vorher der Lohnarbeiter. Er kommt auf sein Existenzminimum. Dies wirtschaftliche Idyll nennt man Zwergwirt¬ schaft, worüber wir bei Friedrich List nachzulesen bitten. Da ist es möglich, daß auch noch die in der Hausindustrie gewonnenen Löhne dem Boden als Verdienst angerechnet werden und seinen Preis bestimmen. Bei dieser Art von Kleinbetrieb, die man besser Schollensklaverei nennt, ist freilich der höhere

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/19
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/19>, abgerufen am 29.12.2024.