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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Ästhetisches

dieser neue Naturalismus ja doch uur wieder eine Täuschung, eine Konvenienz
andrer Art, denn er ist nicht weniger willkürlich als die sogenannte geschlossene
Beleuchtung. Der Wetteifer mit der Natur ist für den Maler hoffnungslos,
denn das höchste Licht ist Heller als das Weiß der Palette, und ihr Schwarz
erreicht nicht die Tiefe des Nachtschattens. Die chemischen Farben geben die
Farbe, die wir an den Gegenständen sehen, die "Lokalfarbe," doch nur an¬
nähernd wieder, der Maler erreicht Wirkungen, mit denen der Betrachter so¬
zusagen sich einverstanden erklären muß. Seiner Seelenstimmung wird ent¬
sprochen durch eine gewisse Ton- und Farbenharmonie, ans der die "Bild¬
wirkung" beruht. Die Meisterwerke aller bisher dagewesenen Malerei, so ver¬
schieden sie nach Komposition, Formen und Stimmung sind, haben im Nein¬
malerischen gemeinsame Eigenschaften. Fast jedes dieser Bilder "stimmt, jedes
galt seinem Schöpfer als ein abgeschlossenes Ganzes, dem die Geschlossenheit
der Wirkung entsprechen mußte durch wohlbegrenzte Form, Kontrast von Licht
und Schatten, Wucht der Lokalfarbe und Fülle des Tons." Die alten Meister
wußten, daß Weiß stumpf ist, und farbiges Licht mehr leuchtet als Weißes,
weil die Jntensivfarbcn Grün, Gelb, Orange und Hochrot unsre Sehnerven
ungewöhnlich reizen, sie legten durchsichtige Schichten solcher Farben über
weißen oder hellen Grund und erreichten damit warmes, goldnes, stimmung¬
weckendes Licht, auf entsprechende Weise brachten sie klare, farbige Tiefen hervor,
Schatten, die dem Auge dunkler erscheinen als einfaches Schwarz, und da¬
zwischen die Dämmerungen des el^ir-ovsenr. Sie gingen der Farbencrscheinung
der sogenannten trüben Medien: Luft, Wolken, Wasser so gut nach, wie der
Wirkung des von festen, dichten Körpern zurückgestrahlten Lichts. Was sie
nun gegeben haben und was wir uns aus ihren Bildern herausnehmen, mag im
einzelnen eiuer größern Annäherung an die Natur fähig sein. Aber wird das
Ganze dadurch überzeugender? Kann eine Malerei überhaupt etwas andres
sein als ein Scheinbild, ein Ungefähr, eine Täuschung, die sich der Betrachtende
gefallen läßt, zu der er viele Voraussetzungen mitbringen muß? Wäre denn
das wirklich der höchste Triumph der Kunst. wenn einmal die Illusion voll¬
ständig erreicht würde, wenn ein Hund einen gemalten Hund anbellte oder einen
gemalten Hasen fassen wollte, oder wenn die Vögel wirklich die Trauben des
Zeuxis angepickt hätten? Und diese Illusion ließe sich doch nur bei den ein¬
fachsten Gegenstünden herstellen. Bei jeder Zusammensetzung höherer Art,
einer Landschaft, einer Figurenszene ist selbst durch Anwendung künstlicher
Beleuchtung, verbunden mit besondrer Aufstellung, z. B. in einem Panorama,
eine Verwechslung mit der Wirklichkeit niemals, sondern immer nur die Art
von "Täuschung" eingetreten, die der Mensch sich gefallen laßt, weil er gerne
zu Zeiten seiner Phantasie den Vortritt einräumt vor der unmittelbaren
Sinneswahrnehmung. Verglichen mit der Ruhe und Sammlung, die die alten,
Meisterwerke haben, mit dem Eindruck eiuer Natur, der sich jene Maler vor-


Ästhetisches

dieser neue Naturalismus ja doch uur wieder eine Täuschung, eine Konvenienz
andrer Art, denn er ist nicht weniger willkürlich als die sogenannte geschlossene
Beleuchtung. Der Wetteifer mit der Natur ist für den Maler hoffnungslos,
denn das höchste Licht ist Heller als das Weiß der Palette, und ihr Schwarz
erreicht nicht die Tiefe des Nachtschattens. Die chemischen Farben geben die
Farbe, die wir an den Gegenständen sehen, die „Lokalfarbe," doch nur an¬
nähernd wieder, der Maler erreicht Wirkungen, mit denen der Betrachter so¬
zusagen sich einverstanden erklären muß. Seiner Seelenstimmung wird ent¬
sprochen durch eine gewisse Ton- und Farbenharmonie, ans der die „Bild¬
wirkung" beruht. Die Meisterwerke aller bisher dagewesenen Malerei, so ver¬
schieden sie nach Komposition, Formen und Stimmung sind, haben im Nein¬
malerischen gemeinsame Eigenschaften. Fast jedes dieser Bilder „stimmt, jedes
galt seinem Schöpfer als ein abgeschlossenes Ganzes, dem die Geschlossenheit
der Wirkung entsprechen mußte durch wohlbegrenzte Form, Kontrast von Licht
und Schatten, Wucht der Lokalfarbe und Fülle des Tons." Die alten Meister
wußten, daß Weiß stumpf ist, und farbiges Licht mehr leuchtet als Weißes,
weil die Jntensivfarbcn Grün, Gelb, Orange und Hochrot unsre Sehnerven
ungewöhnlich reizen, sie legten durchsichtige Schichten solcher Farben über
weißen oder hellen Grund und erreichten damit warmes, goldnes, stimmung¬
weckendes Licht, auf entsprechende Weise brachten sie klare, farbige Tiefen hervor,
Schatten, die dem Auge dunkler erscheinen als einfaches Schwarz, und da¬
zwischen die Dämmerungen des el^ir-ovsenr. Sie gingen der Farbencrscheinung
der sogenannten trüben Medien: Luft, Wolken, Wasser so gut nach, wie der
Wirkung des von festen, dichten Körpern zurückgestrahlten Lichts. Was sie
nun gegeben haben und was wir uns aus ihren Bildern herausnehmen, mag im
einzelnen eiuer größern Annäherung an die Natur fähig sein. Aber wird das
Ganze dadurch überzeugender? Kann eine Malerei überhaupt etwas andres
sein als ein Scheinbild, ein Ungefähr, eine Täuschung, die sich der Betrachtende
gefallen läßt, zu der er viele Voraussetzungen mitbringen muß? Wäre denn
das wirklich der höchste Triumph der Kunst. wenn einmal die Illusion voll¬
ständig erreicht würde, wenn ein Hund einen gemalten Hund anbellte oder einen
gemalten Hasen fassen wollte, oder wenn die Vögel wirklich die Trauben des
Zeuxis angepickt hätten? Und diese Illusion ließe sich doch nur bei den ein¬
fachsten Gegenstünden herstellen. Bei jeder Zusammensetzung höherer Art,
einer Landschaft, einer Figurenszene ist selbst durch Anwendung künstlicher
Beleuchtung, verbunden mit besondrer Aufstellung, z. B. in einem Panorama,
eine Verwechslung mit der Wirklichkeit niemals, sondern immer nur die Art
von „Täuschung" eingetreten, die der Mensch sich gefallen laßt, weil er gerne
zu Zeiten seiner Phantasie den Vortritt einräumt vor der unmittelbaren
Sinneswahrnehmung. Verglichen mit der Ruhe und Sammlung, die die alten,
Meisterwerke haben, mit dem Eindruck eiuer Natur, der sich jene Maler vor-


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[0187] Ästhetisches dieser neue Naturalismus ja doch uur wieder eine Täuschung, eine Konvenienz andrer Art, denn er ist nicht weniger willkürlich als die sogenannte geschlossene Beleuchtung. Der Wetteifer mit der Natur ist für den Maler hoffnungslos, denn das höchste Licht ist Heller als das Weiß der Palette, und ihr Schwarz erreicht nicht die Tiefe des Nachtschattens. Die chemischen Farben geben die Farbe, die wir an den Gegenständen sehen, die „Lokalfarbe," doch nur an¬ nähernd wieder, der Maler erreicht Wirkungen, mit denen der Betrachter so¬ zusagen sich einverstanden erklären muß. Seiner Seelenstimmung wird ent¬ sprochen durch eine gewisse Ton- und Farbenharmonie, ans der die „Bild¬ wirkung" beruht. Die Meisterwerke aller bisher dagewesenen Malerei, so ver¬ schieden sie nach Komposition, Formen und Stimmung sind, haben im Nein¬ malerischen gemeinsame Eigenschaften. Fast jedes dieser Bilder „stimmt, jedes galt seinem Schöpfer als ein abgeschlossenes Ganzes, dem die Geschlossenheit der Wirkung entsprechen mußte durch wohlbegrenzte Form, Kontrast von Licht und Schatten, Wucht der Lokalfarbe und Fülle des Tons." Die alten Meister wußten, daß Weiß stumpf ist, und farbiges Licht mehr leuchtet als Weißes, weil die Jntensivfarbcn Grün, Gelb, Orange und Hochrot unsre Sehnerven ungewöhnlich reizen, sie legten durchsichtige Schichten solcher Farben über weißen oder hellen Grund und erreichten damit warmes, goldnes, stimmung¬ weckendes Licht, auf entsprechende Weise brachten sie klare, farbige Tiefen hervor, Schatten, die dem Auge dunkler erscheinen als einfaches Schwarz, und da¬ zwischen die Dämmerungen des el^ir-ovsenr. Sie gingen der Farbencrscheinung der sogenannten trüben Medien: Luft, Wolken, Wasser so gut nach, wie der Wirkung des von festen, dichten Körpern zurückgestrahlten Lichts. Was sie nun gegeben haben und was wir uns aus ihren Bildern herausnehmen, mag im einzelnen eiuer größern Annäherung an die Natur fähig sein. Aber wird das Ganze dadurch überzeugender? Kann eine Malerei überhaupt etwas andres sein als ein Scheinbild, ein Ungefähr, eine Täuschung, die sich der Betrachtende gefallen läßt, zu der er viele Voraussetzungen mitbringen muß? Wäre denn das wirklich der höchste Triumph der Kunst. wenn einmal die Illusion voll¬ ständig erreicht würde, wenn ein Hund einen gemalten Hund anbellte oder einen gemalten Hasen fassen wollte, oder wenn die Vögel wirklich die Trauben des Zeuxis angepickt hätten? Und diese Illusion ließe sich doch nur bei den ein¬ fachsten Gegenstünden herstellen. Bei jeder Zusammensetzung höherer Art, einer Landschaft, einer Figurenszene ist selbst durch Anwendung künstlicher Beleuchtung, verbunden mit besondrer Aufstellung, z. B. in einem Panorama, eine Verwechslung mit der Wirklichkeit niemals, sondern immer nur die Art von „Täuschung" eingetreten, die der Mensch sich gefallen laßt, weil er gerne zu Zeiten seiner Phantasie den Vortritt einräumt vor der unmittelbaren Sinneswahrnehmung. Verglichen mit der Ruhe und Sammlung, die die alten, Meisterwerke haben, mit dem Eindruck eiuer Natur, der sich jene Maler vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/187>, abgerufen am 04.07.2024.