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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Poesie des Sternenhimmels

ich aber, ich schlafe allein." Ein andermal singt sie: "Wo Selene glänzt, da
verbirgt der Sterne Chor mit einmal ihr erleuchtet Antlitz, wenn sie voll in
silberner Klarheit strahlet über den Erdkreis."

In den Schilderungen und Vergleichen der Tragiker bricht in immer
bezeichnenderem Ausdruck die Bewunderung "der nächtigen Sterne, der lichten
Herrscher, der im Äther strahlenden Gestirne" hindurch; die Beiwörter des
Nachthimmels werden immer bildlicher. Ausdrücke wie "mit den Sternen
sehend," "Glut hauchende Sterne," "der schauervolle Kreis der Nacht" u. ä.
begegnen uns bei Sophokles. Euripides läßt oft seine Helden schwelgen in
der Wonne der leuchtenden Sternennacht; immer wieder rufen sie in ihrer Not
die Gestirne an oder die heilige, ehrwürdige Nacht. Aber auch alttestament-
liche Empfindungsweisen weckt den Griechen der Sternenhimmel in seiner
Ordnung und Schönheit; anch sie weist er hin auf die Wundernacht der
Götter, die das alles "so weislich geordnet" haben. So berichtet Cicero von
einer Verlornen Stelle bei Aristoteles, wo sich in kühnem Fluge der Phantasie
der sonst so nüchterne Philosoph die bewunderungsvollen Empfindungen von
Menschenwesen ausmalt, die stets in unterirdischen, wenn auch noch so herr¬
lichen Wohnungen gelebt hätten und von Göttern nur vom Hörensagen wüßten
und nun plötzlich auf die Oberfläche unsrer Erde emporstiegen: "Wenn sie
plötzlich Erde und Meer und Himmel erblickten, die Größe der Wolken und
der Winde Kraft, die Sonne und ihre Größe, Schönheit und Wirkungen, wenn
sie ferner, sobald die Nacht die Erde überschattete und den ganzen Himmel mit
Sternen zeichnete und schmückte, den Wechsel des wachsenden und abnehmenden
Mondlichtes, den Auf- und Niedergang aller Gestirne und ihren für alle
Ewigkeit geordneten, unveränderlichen Lauf wahrnahmen: wenn sie dies alles
sähen, wahrhaftig, sie würden überzeugt sein, daß es Götter gebe, und daß
alle diese Herrlichkeiten nur Werke der Götter seien."

In der empfindsamen Erotik des Hellenismus, dieser sentimentalen Zeit
des Griechentums, spielt natürlich auch die Sternennacht eine bedeutende Rolle.
Bei Theokrit stellt die Liebende die friedliche Mondnacht der Unruhe ihres
Herzens gegenüber. Apollonios schildert den zcinberhaften Reiz des Sternen¬
himmels auf ein schwärmerisches Gemüt; er vergleicht Jason dem glänzenden
Stern, den im Gemach verschlossene Mägdlein erblicken, während er über die
Wohnung hellfuukelnd emporsteigt. In der bläulichen Luft mit holdanlächelndem
Schimmer ergötzt er ihnen die Augen; auch freut sich seiner die Jungfrau,
die sich sehnt nach dem fernen Geliebten. Pseudo-Platon wünscht in der
Anthologie: "schaust du zu den Sternen auf, mein Stern, wünsch ich eins
mir nur: ich möchte gern selbst der Himmel sein. Ich sähe dich mit vielen
tausend Augen an."

Aratos machte den Sternenhimmel zum Gegenstand einer eignen Dichtung
in seinen Phainomeua. Auf pantheistischer Grundlage, auf der Idee des Zeus,


Die Poesie des Sternenhimmels

ich aber, ich schlafe allein." Ein andermal singt sie: „Wo Selene glänzt, da
verbirgt der Sterne Chor mit einmal ihr erleuchtet Antlitz, wenn sie voll in
silberner Klarheit strahlet über den Erdkreis."

In den Schilderungen und Vergleichen der Tragiker bricht in immer
bezeichnenderem Ausdruck die Bewunderung „der nächtigen Sterne, der lichten
Herrscher, der im Äther strahlenden Gestirne" hindurch; die Beiwörter des
Nachthimmels werden immer bildlicher. Ausdrücke wie „mit den Sternen
sehend," „Glut hauchende Sterne," „der schauervolle Kreis der Nacht" u. ä.
begegnen uns bei Sophokles. Euripides läßt oft seine Helden schwelgen in
der Wonne der leuchtenden Sternennacht; immer wieder rufen sie in ihrer Not
die Gestirne an oder die heilige, ehrwürdige Nacht. Aber auch alttestament-
liche Empfindungsweisen weckt den Griechen der Sternenhimmel in seiner
Ordnung und Schönheit; anch sie weist er hin auf die Wundernacht der
Götter, die das alles „so weislich geordnet" haben. So berichtet Cicero von
einer Verlornen Stelle bei Aristoteles, wo sich in kühnem Fluge der Phantasie
der sonst so nüchterne Philosoph die bewunderungsvollen Empfindungen von
Menschenwesen ausmalt, die stets in unterirdischen, wenn auch noch so herr¬
lichen Wohnungen gelebt hätten und von Göttern nur vom Hörensagen wüßten
und nun plötzlich auf die Oberfläche unsrer Erde emporstiegen: „Wenn sie
plötzlich Erde und Meer und Himmel erblickten, die Größe der Wolken und
der Winde Kraft, die Sonne und ihre Größe, Schönheit und Wirkungen, wenn
sie ferner, sobald die Nacht die Erde überschattete und den ganzen Himmel mit
Sternen zeichnete und schmückte, den Wechsel des wachsenden und abnehmenden
Mondlichtes, den Auf- und Niedergang aller Gestirne und ihren für alle
Ewigkeit geordneten, unveränderlichen Lauf wahrnahmen: wenn sie dies alles
sähen, wahrhaftig, sie würden überzeugt sein, daß es Götter gebe, und daß
alle diese Herrlichkeiten nur Werke der Götter seien."

In der empfindsamen Erotik des Hellenismus, dieser sentimentalen Zeit
des Griechentums, spielt natürlich auch die Sternennacht eine bedeutende Rolle.
Bei Theokrit stellt die Liebende die friedliche Mondnacht der Unruhe ihres
Herzens gegenüber. Apollonios schildert den zcinberhaften Reiz des Sternen¬
himmels auf ein schwärmerisches Gemüt; er vergleicht Jason dem glänzenden
Stern, den im Gemach verschlossene Mägdlein erblicken, während er über die
Wohnung hellfuukelnd emporsteigt. In der bläulichen Luft mit holdanlächelndem
Schimmer ergötzt er ihnen die Augen; auch freut sich seiner die Jungfrau,
die sich sehnt nach dem fernen Geliebten. Pseudo-Platon wünscht in der
Anthologie: „schaust du zu den Sternen auf, mein Stern, wünsch ich eins
mir nur: ich möchte gern selbst der Himmel sein. Ich sähe dich mit vielen
tausend Augen an."

Aratos machte den Sternenhimmel zum Gegenstand einer eignen Dichtung
in seinen Phainomeua. Auf pantheistischer Grundlage, auf der Idee des Zeus,


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[0176] Die Poesie des Sternenhimmels ich aber, ich schlafe allein." Ein andermal singt sie: „Wo Selene glänzt, da verbirgt der Sterne Chor mit einmal ihr erleuchtet Antlitz, wenn sie voll in silberner Klarheit strahlet über den Erdkreis." In den Schilderungen und Vergleichen der Tragiker bricht in immer bezeichnenderem Ausdruck die Bewunderung „der nächtigen Sterne, der lichten Herrscher, der im Äther strahlenden Gestirne" hindurch; die Beiwörter des Nachthimmels werden immer bildlicher. Ausdrücke wie „mit den Sternen sehend," „Glut hauchende Sterne," „der schauervolle Kreis der Nacht" u. ä. begegnen uns bei Sophokles. Euripides läßt oft seine Helden schwelgen in der Wonne der leuchtenden Sternennacht; immer wieder rufen sie in ihrer Not die Gestirne an oder die heilige, ehrwürdige Nacht. Aber auch alttestament- liche Empfindungsweisen weckt den Griechen der Sternenhimmel in seiner Ordnung und Schönheit; anch sie weist er hin auf die Wundernacht der Götter, die das alles „so weislich geordnet" haben. So berichtet Cicero von einer Verlornen Stelle bei Aristoteles, wo sich in kühnem Fluge der Phantasie der sonst so nüchterne Philosoph die bewunderungsvollen Empfindungen von Menschenwesen ausmalt, die stets in unterirdischen, wenn auch noch so herr¬ lichen Wohnungen gelebt hätten und von Göttern nur vom Hörensagen wüßten und nun plötzlich auf die Oberfläche unsrer Erde emporstiegen: „Wenn sie plötzlich Erde und Meer und Himmel erblickten, die Größe der Wolken und der Winde Kraft, die Sonne und ihre Größe, Schönheit und Wirkungen, wenn sie ferner, sobald die Nacht die Erde überschattete und den ganzen Himmel mit Sternen zeichnete und schmückte, den Wechsel des wachsenden und abnehmenden Mondlichtes, den Auf- und Niedergang aller Gestirne und ihren für alle Ewigkeit geordneten, unveränderlichen Lauf wahrnahmen: wenn sie dies alles sähen, wahrhaftig, sie würden überzeugt sein, daß es Götter gebe, und daß alle diese Herrlichkeiten nur Werke der Götter seien." In der empfindsamen Erotik des Hellenismus, dieser sentimentalen Zeit des Griechentums, spielt natürlich auch die Sternennacht eine bedeutende Rolle. Bei Theokrit stellt die Liebende die friedliche Mondnacht der Unruhe ihres Herzens gegenüber. Apollonios schildert den zcinberhaften Reiz des Sternen¬ himmels auf ein schwärmerisches Gemüt; er vergleicht Jason dem glänzenden Stern, den im Gemach verschlossene Mägdlein erblicken, während er über die Wohnung hellfuukelnd emporsteigt. In der bläulichen Luft mit holdanlächelndem Schimmer ergötzt er ihnen die Augen; auch freut sich seiner die Jungfrau, die sich sehnt nach dem fernen Geliebten. Pseudo-Platon wünscht in der Anthologie: „schaust du zu den Sternen auf, mein Stern, wünsch ich eins mir nur: ich möchte gern selbst der Himmel sein. Ich sähe dich mit vielen tausend Augen an." Aratos machte den Sternenhimmel zum Gegenstand einer eignen Dichtung in seinen Phainomeua. Auf pantheistischer Grundlage, auf der Idee des Zeus,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/176>, abgerufen am 24.07.2024.