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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Poesie des Sternenhimmels

Man siehet seine Herrlichkeit an der mächtigen, großen Höhe, an dem hellen
Firmament, an dein schönen Himmel. Die Sonne, wenn sie aufgeht, ver¬
kündiget den Tag; sie ist ein Wunderwerk des Höchsten. Es leuchtet auch
das ganze himmlische Heer am Firmament, und die hellen Sterne zieren den
Himmel. Also hat sie der Herr in der Höhe heißen die Welt erleuchten.
Durch Gottes Wort halten sie ihre Ordnung und wachen sich nicht müde."
Also des Himmels Schönheit ist die Pracht der Sterne! Und wie poetisch ist
die Beseelung, daß die das Dunkel erleuchtenden Sterne nicht ermatten im
Nachtwachen!

Den Griechen zeichnet ein tiefes, inniges Naturgeftthl aus. Es ist zu¬
nächst pandämvnistisch; die Bewegungen in der Natur, am Himmel, im Meer,
in den Strömen, in den Wäldern und Quellen, im Rauschen der Bäume, im
Brander und Flüstern der Wellen wandelte er um in "göttliche Wirksamkeiten,"
in menschenähnliche Wesen. So bevölkerte seine beseelende Phantasie die ge¬
samte Natur mit den lieblichsten und hehrsten Gestalten. So ward die Sonne
ein herrlicher Jüngling, der Mond eine strahlende Frauengestalt wie die
Morgenröte und der Regenbogen, und zahllos sind die Sagen und Mythen
von den Sternen und Sternbildern; so ist Phciethon der Morgenstern, der
vor der Sonne herreitet, so ist Hesperos der Abendstern, der das Zeichen zur
Nachtfeier Aphrodites giebt, das hochzeitliche Gestirn, aber er wird auch der
Stern der sich sehnenden, unerfüllten Liebe.

Durch Umwandlung der Naturmächte in sittliche Mächte wird die Natur selbst
freier und selbständiger. Die Natnrfreude Homers ist innig, naiv, unreflektirt.
Ihm ist der Himmel groß, sternenreich, weit; einfache Freude am Licht spricht
aus den Gleichnissen von den Sternen. So leuchtet Achilleus wie der Stern, der im
Herbst aufgeht und überschwünglich an Klarheit vor vielen Gestirnen scheint usw.
Die Stille der Nacht, das Unendliche des weiten Himmelsraumes und die
helle Beleuchtung, in die durch das Sternenlicht besonders die Höhen im
Gegensatze zu den tiefer sich ausbreitenden Schatten versetzt werden, treten in
jenem wundervollen Gleichnis hervor, das in seiner naiven Einfalt doch das
sinnigste Naturgefühl bekundet, auch wenn die epische Objektivität die Em¬
pfindung in die Seele eines andern verlegt: "Es loderten häufige Feuer, wie
wenn hoch am Himmel die Sterne um den leuchtenden Mond her scheinen in
herrlichem Glänze, wenn windstill ruhet der Äther; hell sind alle die Warten
und zackigen Gipfel, auch die Thäler; am Himmel breitet sich endlos der Äther;
alle Sterne erblickt man -- und herzlich freut sich der Hirte!"

Die griechische Lyrik gleicht einem Trümmerhaufen. In dem herrlichen
Alkmanschen Abendliede, das an das Goethische erinnert, fehlen die Zeilen,
die den Sternen galten. Sappho, die veilchenlockige, sucht Ruhe für ihr un¬
gestümes Herz in der Stille der Nacht, aber: "Verschwunden sind schon die
Sterne, hinunter ist der Mond; die Stunden verrinnen, und Mitternacht ists;


Die Poesie des Sternenhimmels

Man siehet seine Herrlichkeit an der mächtigen, großen Höhe, an dem hellen
Firmament, an dein schönen Himmel. Die Sonne, wenn sie aufgeht, ver¬
kündiget den Tag; sie ist ein Wunderwerk des Höchsten. Es leuchtet auch
das ganze himmlische Heer am Firmament, und die hellen Sterne zieren den
Himmel. Also hat sie der Herr in der Höhe heißen die Welt erleuchten.
Durch Gottes Wort halten sie ihre Ordnung und wachen sich nicht müde."
Also des Himmels Schönheit ist die Pracht der Sterne! Und wie poetisch ist
die Beseelung, daß die das Dunkel erleuchtenden Sterne nicht ermatten im
Nachtwachen!

Den Griechen zeichnet ein tiefes, inniges Naturgeftthl aus. Es ist zu¬
nächst pandämvnistisch; die Bewegungen in der Natur, am Himmel, im Meer,
in den Strömen, in den Wäldern und Quellen, im Rauschen der Bäume, im
Brander und Flüstern der Wellen wandelte er um in „göttliche Wirksamkeiten,"
in menschenähnliche Wesen. So bevölkerte seine beseelende Phantasie die ge¬
samte Natur mit den lieblichsten und hehrsten Gestalten. So ward die Sonne
ein herrlicher Jüngling, der Mond eine strahlende Frauengestalt wie die
Morgenröte und der Regenbogen, und zahllos sind die Sagen und Mythen
von den Sternen und Sternbildern; so ist Phciethon der Morgenstern, der
vor der Sonne herreitet, so ist Hesperos der Abendstern, der das Zeichen zur
Nachtfeier Aphrodites giebt, das hochzeitliche Gestirn, aber er wird auch der
Stern der sich sehnenden, unerfüllten Liebe.

Durch Umwandlung der Naturmächte in sittliche Mächte wird die Natur selbst
freier und selbständiger. Die Natnrfreude Homers ist innig, naiv, unreflektirt.
Ihm ist der Himmel groß, sternenreich, weit; einfache Freude am Licht spricht
aus den Gleichnissen von den Sternen. So leuchtet Achilleus wie der Stern, der im
Herbst aufgeht und überschwünglich an Klarheit vor vielen Gestirnen scheint usw.
Die Stille der Nacht, das Unendliche des weiten Himmelsraumes und die
helle Beleuchtung, in die durch das Sternenlicht besonders die Höhen im
Gegensatze zu den tiefer sich ausbreitenden Schatten versetzt werden, treten in
jenem wundervollen Gleichnis hervor, das in seiner naiven Einfalt doch das
sinnigste Naturgefühl bekundet, auch wenn die epische Objektivität die Em¬
pfindung in die Seele eines andern verlegt: „Es loderten häufige Feuer, wie
wenn hoch am Himmel die Sterne um den leuchtenden Mond her scheinen in
herrlichem Glänze, wenn windstill ruhet der Äther; hell sind alle die Warten
und zackigen Gipfel, auch die Thäler; am Himmel breitet sich endlos der Äther;
alle Sterne erblickt man — und herzlich freut sich der Hirte!"

Die griechische Lyrik gleicht einem Trümmerhaufen. In dem herrlichen
Alkmanschen Abendliede, das an das Goethische erinnert, fehlen die Zeilen,
die den Sternen galten. Sappho, die veilchenlockige, sucht Ruhe für ihr un¬
gestümes Herz in der Stille der Nacht, aber: „Verschwunden sind schon die
Sterne, hinunter ist der Mond; die Stunden verrinnen, und Mitternacht ists;


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[0175] Die Poesie des Sternenhimmels Man siehet seine Herrlichkeit an der mächtigen, großen Höhe, an dem hellen Firmament, an dein schönen Himmel. Die Sonne, wenn sie aufgeht, ver¬ kündiget den Tag; sie ist ein Wunderwerk des Höchsten. Es leuchtet auch das ganze himmlische Heer am Firmament, und die hellen Sterne zieren den Himmel. Also hat sie der Herr in der Höhe heißen die Welt erleuchten. Durch Gottes Wort halten sie ihre Ordnung und wachen sich nicht müde." Also des Himmels Schönheit ist die Pracht der Sterne! Und wie poetisch ist die Beseelung, daß die das Dunkel erleuchtenden Sterne nicht ermatten im Nachtwachen! Den Griechen zeichnet ein tiefes, inniges Naturgeftthl aus. Es ist zu¬ nächst pandämvnistisch; die Bewegungen in der Natur, am Himmel, im Meer, in den Strömen, in den Wäldern und Quellen, im Rauschen der Bäume, im Brander und Flüstern der Wellen wandelte er um in „göttliche Wirksamkeiten," in menschenähnliche Wesen. So bevölkerte seine beseelende Phantasie die ge¬ samte Natur mit den lieblichsten und hehrsten Gestalten. So ward die Sonne ein herrlicher Jüngling, der Mond eine strahlende Frauengestalt wie die Morgenröte und der Regenbogen, und zahllos sind die Sagen und Mythen von den Sternen und Sternbildern; so ist Phciethon der Morgenstern, der vor der Sonne herreitet, so ist Hesperos der Abendstern, der das Zeichen zur Nachtfeier Aphrodites giebt, das hochzeitliche Gestirn, aber er wird auch der Stern der sich sehnenden, unerfüllten Liebe. Durch Umwandlung der Naturmächte in sittliche Mächte wird die Natur selbst freier und selbständiger. Die Natnrfreude Homers ist innig, naiv, unreflektirt. Ihm ist der Himmel groß, sternenreich, weit; einfache Freude am Licht spricht aus den Gleichnissen von den Sternen. So leuchtet Achilleus wie der Stern, der im Herbst aufgeht und überschwünglich an Klarheit vor vielen Gestirnen scheint usw. Die Stille der Nacht, das Unendliche des weiten Himmelsraumes und die helle Beleuchtung, in die durch das Sternenlicht besonders die Höhen im Gegensatze zu den tiefer sich ausbreitenden Schatten versetzt werden, treten in jenem wundervollen Gleichnis hervor, das in seiner naiven Einfalt doch das sinnigste Naturgefühl bekundet, auch wenn die epische Objektivität die Em¬ pfindung in die Seele eines andern verlegt: „Es loderten häufige Feuer, wie wenn hoch am Himmel die Sterne um den leuchtenden Mond her scheinen in herrlichem Glänze, wenn windstill ruhet der Äther; hell sind alle die Warten und zackigen Gipfel, auch die Thäler; am Himmel breitet sich endlos der Äther; alle Sterne erblickt man — und herzlich freut sich der Hirte!" Die griechische Lyrik gleicht einem Trümmerhaufen. In dem herrlichen Alkmanschen Abendliede, das an das Goethische erinnert, fehlen die Zeilen, die den Sternen galten. Sappho, die veilchenlockige, sucht Ruhe für ihr un¬ gestümes Herz in der Stille der Nacht, aber: „Verschwunden sind schon die Sterne, hinunter ist der Mond; die Stunden verrinnen, und Mitternacht ists;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/175>, abgerufen am 24.07.2024.