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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Poesie des Sternenhimmels

nichtiges Gleichnis, und den Menschen, der sich bei solcher Betrachtung etwa
dem Blatte am Baume vergleicht, das grünt und welkt, um dann hinweg¬
geführt zu werden, kann nur das Gefühl der Ohnmacht und Nichtigkeit und
das Bewußtsein, den Kern der Dinge nicht fassen zu können, erfüllen und --
beugen, wenn ihn nicht der Gedanke aufrichtet, mit seinem Geiste, mit seiner
über die Materie triumphirenden Vernunft hie und da jene ewigen Gedanken
im Wandel der Sterne durch Rechnen nachdenken zu können.

Die Poesie des Sternen Himmels findet in der Dichtung alter und neuer
Zeit ihre Deutung, ihre Verherrlichung. So wollen wir denn einige Litteraturen
mit flüchtigen Schritten durchwandern, um diesem Motiv nachzugehen. Gehört
es doch zu den fesselndsten Studien, in historischer und vergleichender Be¬
trachtung ein und dieselbe dichterische Anschauung durch die Träume der Dichter
und die Räume der Zeiten bei den verschiednen Völkern zu verfolgen.

Den alten Hebräern ist die Natur wie ein Buch, in dem sie von den
Wunderthaten des allmächtigen Gottes lesen können. Seine erste Schöpfungs¬
that ist das Licht: "ein groß Licht, das den Tag regiere, und ein klein Licht,
das die Nacht regiere, dazu auch die Sterne." In der Zeit der Erzväter
werden die Sterne zum Gleichnis der zahllosen Menge des auserwählten
Volkes. Im Hiob wird mit hohem Schwunge die Herrlichkeit Gottes am
Himmel und in seinen Sternen gepriesen: "Er spricht zur Sonne, so geht sie
nicht auf, und versiegelt die Sterne; er breitet den Himmel aus allein und
gehet auf den Wogen des Meeres; er machet den Wagen am Himmel und
Orion und die Glucke und die Sterne gegen Mittag"; "die Säulen des Himmels
zittern und entsetzen sich vor seinem Schatten." niederschmetternd ist die
Frage des Allgewaltigen an Hiob: "Sage an, weißt du solches alles: Welches
ist der Weg, da das Licht wohnet, und welches ist der Finsternis Stätte?
Kannst du das Band der sieben Sterne zusammenbinden oder das Band des
Orion lösen? Kannst du den Morgenstern hervorbringen zu seiner Zeit oder
den Wagen am Himmel über seine Kinder führen? Weißt du, wie der Himmel
zu regieren ist?" Auf derselben Stufe der Bewunderung stehen die Psalmen;
sie preisen ihn, "der die Himmel herrlich gemacht hat, die großen Lichter,"
ja sie fordern sie selbst auf: "Lobet, ihr Himmel, den Herrn, lobet ihn, Sonne
und Mond und alle leuchtenden Sterne." Die Höhe und Weite des Firma¬
ments tritt uns in Gleichnissen entgegen, aber auch die Lichtfreude im Gegen¬
satze zu dem "Grauen des Nachts"; ja das Licht ist das Kleid Jehovahs (im
104. Psalm, wo überhaupt noch die ursprüngliche, den Naturgrund noch ver¬
ratende Anschauung Jehovahs als des Himmelsgottes >Me Indra, Zeus,
Wodans durchblickt). Auch Jesus Sirach preist das helle Licht, das vom
Himmel ausgeht und die Welt erleuchtet; und es scheint, als ob eine indivi¬
duellere, der Natur etwas mehr Selbständigkeit leidende Auffassung in den
schönen Worten durchbräche: "Wer kann sich an Gottes Herrlichkeit satt sehen?


Die Poesie des Sternenhimmels

nichtiges Gleichnis, und den Menschen, der sich bei solcher Betrachtung etwa
dem Blatte am Baume vergleicht, das grünt und welkt, um dann hinweg¬
geführt zu werden, kann nur das Gefühl der Ohnmacht und Nichtigkeit und
das Bewußtsein, den Kern der Dinge nicht fassen zu können, erfüllen und —
beugen, wenn ihn nicht der Gedanke aufrichtet, mit seinem Geiste, mit seiner
über die Materie triumphirenden Vernunft hie und da jene ewigen Gedanken
im Wandel der Sterne durch Rechnen nachdenken zu können.

Die Poesie des Sternen Himmels findet in der Dichtung alter und neuer
Zeit ihre Deutung, ihre Verherrlichung. So wollen wir denn einige Litteraturen
mit flüchtigen Schritten durchwandern, um diesem Motiv nachzugehen. Gehört
es doch zu den fesselndsten Studien, in historischer und vergleichender Be¬
trachtung ein und dieselbe dichterische Anschauung durch die Träume der Dichter
und die Räume der Zeiten bei den verschiednen Völkern zu verfolgen.

Den alten Hebräern ist die Natur wie ein Buch, in dem sie von den
Wunderthaten des allmächtigen Gottes lesen können. Seine erste Schöpfungs¬
that ist das Licht: „ein groß Licht, das den Tag regiere, und ein klein Licht,
das die Nacht regiere, dazu auch die Sterne." In der Zeit der Erzväter
werden die Sterne zum Gleichnis der zahllosen Menge des auserwählten
Volkes. Im Hiob wird mit hohem Schwunge die Herrlichkeit Gottes am
Himmel und in seinen Sternen gepriesen: „Er spricht zur Sonne, so geht sie
nicht auf, und versiegelt die Sterne; er breitet den Himmel aus allein und
gehet auf den Wogen des Meeres; er machet den Wagen am Himmel und
Orion und die Glucke und die Sterne gegen Mittag"; „die Säulen des Himmels
zittern und entsetzen sich vor seinem Schatten." niederschmetternd ist die
Frage des Allgewaltigen an Hiob: „Sage an, weißt du solches alles: Welches
ist der Weg, da das Licht wohnet, und welches ist der Finsternis Stätte?
Kannst du das Band der sieben Sterne zusammenbinden oder das Band des
Orion lösen? Kannst du den Morgenstern hervorbringen zu seiner Zeit oder
den Wagen am Himmel über seine Kinder führen? Weißt du, wie der Himmel
zu regieren ist?" Auf derselben Stufe der Bewunderung stehen die Psalmen;
sie preisen ihn, „der die Himmel herrlich gemacht hat, die großen Lichter,"
ja sie fordern sie selbst auf: „Lobet, ihr Himmel, den Herrn, lobet ihn, Sonne
und Mond und alle leuchtenden Sterne." Die Höhe und Weite des Firma¬
ments tritt uns in Gleichnissen entgegen, aber auch die Lichtfreude im Gegen¬
satze zu dem „Grauen des Nachts"; ja das Licht ist das Kleid Jehovahs (im
104. Psalm, wo überhaupt noch die ursprüngliche, den Naturgrund noch ver¬
ratende Anschauung Jehovahs als des Himmelsgottes >Me Indra, Zeus,
Wodans durchblickt). Auch Jesus Sirach preist das helle Licht, das vom
Himmel ausgeht und die Welt erleuchtet; und es scheint, als ob eine indivi¬
duellere, der Natur etwas mehr Selbständigkeit leidende Auffassung in den
schönen Worten durchbräche: „Wer kann sich an Gottes Herrlichkeit satt sehen?


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[0174] Die Poesie des Sternenhimmels nichtiges Gleichnis, und den Menschen, der sich bei solcher Betrachtung etwa dem Blatte am Baume vergleicht, das grünt und welkt, um dann hinweg¬ geführt zu werden, kann nur das Gefühl der Ohnmacht und Nichtigkeit und das Bewußtsein, den Kern der Dinge nicht fassen zu können, erfüllen und — beugen, wenn ihn nicht der Gedanke aufrichtet, mit seinem Geiste, mit seiner über die Materie triumphirenden Vernunft hie und da jene ewigen Gedanken im Wandel der Sterne durch Rechnen nachdenken zu können. Die Poesie des Sternen Himmels findet in der Dichtung alter und neuer Zeit ihre Deutung, ihre Verherrlichung. So wollen wir denn einige Litteraturen mit flüchtigen Schritten durchwandern, um diesem Motiv nachzugehen. Gehört es doch zu den fesselndsten Studien, in historischer und vergleichender Be¬ trachtung ein und dieselbe dichterische Anschauung durch die Träume der Dichter und die Räume der Zeiten bei den verschiednen Völkern zu verfolgen. Den alten Hebräern ist die Natur wie ein Buch, in dem sie von den Wunderthaten des allmächtigen Gottes lesen können. Seine erste Schöpfungs¬ that ist das Licht: „ein groß Licht, das den Tag regiere, und ein klein Licht, das die Nacht regiere, dazu auch die Sterne." In der Zeit der Erzväter werden die Sterne zum Gleichnis der zahllosen Menge des auserwählten Volkes. Im Hiob wird mit hohem Schwunge die Herrlichkeit Gottes am Himmel und in seinen Sternen gepriesen: „Er spricht zur Sonne, so geht sie nicht auf, und versiegelt die Sterne; er breitet den Himmel aus allein und gehet auf den Wogen des Meeres; er machet den Wagen am Himmel und Orion und die Glucke und die Sterne gegen Mittag"; „die Säulen des Himmels zittern und entsetzen sich vor seinem Schatten." niederschmetternd ist die Frage des Allgewaltigen an Hiob: „Sage an, weißt du solches alles: Welches ist der Weg, da das Licht wohnet, und welches ist der Finsternis Stätte? Kannst du das Band der sieben Sterne zusammenbinden oder das Band des Orion lösen? Kannst du den Morgenstern hervorbringen zu seiner Zeit oder den Wagen am Himmel über seine Kinder führen? Weißt du, wie der Himmel zu regieren ist?" Auf derselben Stufe der Bewunderung stehen die Psalmen; sie preisen ihn, „der die Himmel herrlich gemacht hat, die großen Lichter," ja sie fordern sie selbst auf: „Lobet, ihr Himmel, den Herrn, lobet ihn, Sonne und Mond und alle leuchtenden Sterne." Die Höhe und Weite des Firma¬ ments tritt uns in Gleichnissen entgegen, aber auch die Lichtfreude im Gegen¬ satze zu dem „Grauen des Nachts"; ja das Licht ist das Kleid Jehovahs (im 104. Psalm, wo überhaupt noch die ursprüngliche, den Naturgrund noch ver¬ ratende Anschauung Jehovahs als des Himmelsgottes >Me Indra, Zeus, Wodans durchblickt). Auch Jesus Sirach preist das helle Licht, das vom Himmel ausgeht und die Welt erleuchtet; und es scheint, als ob eine indivi¬ duellere, der Natur etwas mehr Selbständigkeit leidende Auffassung in den schönen Worten durchbräche: „Wer kann sich an Gottes Herrlichkeit satt sehen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/174>, abgerufen am 24.07.2024.