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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Poesie des Sternenhimmels

Von dem Laufe der Jahrhunderte; sie flößen uns Ehrfurcht ein durch ihre be¬
moosten Stämme, ihre verwitterten Äste, durch ihre Würde und Kraft, die
Wind und Wetter getrotzt hat. Und die jungen Stämme baden mit Wonne
ihre Häupter im Sonnenlicht, während die Vögel zwitschern und die
Rehe weiden; es ist uns, als träten wir in ein Reich der süßesten Einsam¬
keit, des sanftesten Naturfriedens. Ja selbst in der Gletscher- und Gebirgs-
welt mit ihrer starren Öde, wo uns das Gefühl überwältigt: hier ist nichts
Lebendes, hier ist keine bleibende Stätte für Wesen, die da atmen, überkommt
es uns, als spräche die Ewigkeit, die hier zu Eis erstarrt ist, zu uns von der
Nichtigkeit des Weltgetümmels, von der hehren Stille und dem hohen Frieden
einer übersinnlichen Welt. Oder wir denken uns hinein in jene treibenden
Kräfte, die einst diese Riesenblöcke hoben und dann erstarrten, und empfinden
die Kämpfe nach, in denen sich diese Formen aus tiefem Schoße emporrangen.

Doch der unentrinnbarste und allgemeinste und dabei der großartigste
Natnreindruck ist der Nachthimmel mit seinen Milliarden von Sternen. Fragen
wir uns zunächst, worin die Physiologie seines Eindrucks, d. h. das Elementare,
Objektive, und worin die Psychologie dieses Eindrucks, also das, was wir
(metaphorisch) von unserm Innenleben hinzuthun, besteht.

Hercckleitos nannte den Kampf den Vater aller Dinge. Kampf ist der
Urheber aller Harmonie. Er vernichtet nicht nur, er gleicht auch aus, und
damit wird er schöpferisch. In ihm wurzelt der Kontrast; nur durch den
Gegensatz können wir uns unsre -- relativen -- Begriffe klar machen. Aber
auch die ästhetischen Anschauungen können wir uns nur durch ihn verdeutlichen;
er hat etwas Wurzelhaftes, er ist die Seele des Komischen, die Seele des
Tragischen, des Erhabnen, des Romantischen. Aber auch in den sinnlichen
Eindrücken herrscht er. Das Helle ist ohne den Gegensatz des Dunkeln nicht
denkbar; auf diesem Gegensatz beruht der Reiz des Tages und der Schauer
der Nacht. Aber das Licht ist zugleich die Quelle der Wärme, und Wärme
ist Leben. Wie Licht und Schall, beruht die Wärme auf Schwingungen, sie
ist innere Schwingnngsbewegung, die die Ausdehnung des Körpers bestimmt.
Wird aber nun -- ich folge hier Orsted -- jeder Körper unaufhörlich von
Wärmestrahlen durchglüht, bei beständigem Geben und Empfangen in allen
seinen Teilen, so wird die Art seines Seins durch einen stetigen äußern und
innern Kampf bestimmt, wie aller scheinbare Stillstand nur ein Gleichgewicht
zwischen den entgegengesetzten, nie aussterbenden Wirksamkeiten ist. Die Licht-
und Wärmestrahlen, die die Allernührerin Sonne durch den weiten Himmels¬
raum sendet, sind die wirkenden Ursachen dieser innern Bewegung. Das Licht
enthält also den Keim zu der unaussprechlich mannichfaltigen, für den unmittel¬
baren Sinneneindruck verborgnen, innern Wirksamkeit, durch die die ganze
Körperwelt verhindert wird, zusammenzusinken. Es ist daher eine große Offen¬
barung des allgemeinen Naturlebens. Hörten die durch das Licht hervor-


Grenzboten III 1897 21
Die Poesie des Sternenhimmels

Von dem Laufe der Jahrhunderte; sie flößen uns Ehrfurcht ein durch ihre be¬
moosten Stämme, ihre verwitterten Äste, durch ihre Würde und Kraft, die
Wind und Wetter getrotzt hat. Und die jungen Stämme baden mit Wonne
ihre Häupter im Sonnenlicht, während die Vögel zwitschern und die
Rehe weiden; es ist uns, als träten wir in ein Reich der süßesten Einsam¬
keit, des sanftesten Naturfriedens. Ja selbst in der Gletscher- und Gebirgs-
welt mit ihrer starren Öde, wo uns das Gefühl überwältigt: hier ist nichts
Lebendes, hier ist keine bleibende Stätte für Wesen, die da atmen, überkommt
es uns, als spräche die Ewigkeit, die hier zu Eis erstarrt ist, zu uns von der
Nichtigkeit des Weltgetümmels, von der hehren Stille und dem hohen Frieden
einer übersinnlichen Welt. Oder wir denken uns hinein in jene treibenden
Kräfte, die einst diese Riesenblöcke hoben und dann erstarrten, und empfinden
die Kämpfe nach, in denen sich diese Formen aus tiefem Schoße emporrangen.

Doch der unentrinnbarste und allgemeinste und dabei der großartigste
Natnreindruck ist der Nachthimmel mit seinen Milliarden von Sternen. Fragen
wir uns zunächst, worin die Physiologie seines Eindrucks, d. h. das Elementare,
Objektive, und worin die Psychologie dieses Eindrucks, also das, was wir
(metaphorisch) von unserm Innenleben hinzuthun, besteht.

Hercckleitos nannte den Kampf den Vater aller Dinge. Kampf ist der
Urheber aller Harmonie. Er vernichtet nicht nur, er gleicht auch aus, und
damit wird er schöpferisch. In ihm wurzelt der Kontrast; nur durch den
Gegensatz können wir uns unsre — relativen — Begriffe klar machen. Aber
auch die ästhetischen Anschauungen können wir uns nur durch ihn verdeutlichen;
er hat etwas Wurzelhaftes, er ist die Seele des Komischen, die Seele des
Tragischen, des Erhabnen, des Romantischen. Aber auch in den sinnlichen
Eindrücken herrscht er. Das Helle ist ohne den Gegensatz des Dunkeln nicht
denkbar; auf diesem Gegensatz beruht der Reiz des Tages und der Schauer
der Nacht. Aber das Licht ist zugleich die Quelle der Wärme, und Wärme
ist Leben. Wie Licht und Schall, beruht die Wärme auf Schwingungen, sie
ist innere Schwingnngsbewegung, die die Ausdehnung des Körpers bestimmt.
Wird aber nun — ich folge hier Orsted — jeder Körper unaufhörlich von
Wärmestrahlen durchglüht, bei beständigem Geben und Empfangen in allen
seinen Teilen, so wird die Art seines Seins durch einen stetigen äußern und
innern Kampf bestimmt, wie aller scheinbare Stillstand nur ein Gleichgewicht
zwischen den entgegengesetzten, nie aussterbenden Wirksamkeiten ist. Die Licht-
und Wärmestrahlen, die die Allernührerin Sonne durch den weiten Himmels¬
raum sendet, sind die wirkenden Ursachen dieser innern Bewegung. Das Licht
enthält also den Keim zu der unaussprechlich mannichfaltigen, für den unmittel¬
baren Sinneneindruck verborgnen, innern Wirksamkeit, durch die die ganze
Körperwelt verhindert wird, zusammenzusinken. Es ist daher eine große Offen¬
barung des allgemeinen Naturlebens. Hörten die durch das Licht hervor-


Grenzboten III 1897 21
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[0169] Die Poesie des Sternenhimmels Von dem Laufe der Jahrhunderte; sie flößen uns Ehrfurcht ein durch ihre be¬ moosten Stämme, ihre verwitterten Äste, durch ihre Würde und Kraft, die Wind und Wetter getrotzt hat. Und die jungen Stämme baden mit Wonne ihre Häupter im Sonnenlicht, während die Vögel zwitschern und die Rehe weiden; es ist uns, als träten wir in ein Reich der süßesten Einsam¬ keit, des sanftesten Naturfriedens. Ja selbst in der Gletscher- und Gebirgs- welt mit ihrer starren Öde, wo uns das Gefühl überwältigt: hier ist nichts Lebendes, hier ist keine bleibende Stätte für Wesen, die da atmen, überkommt es uns, als spräche die Ewigkeit, die hier zu Eis erstarrt ist, zu uns von der Nichtigkeit des Weltgetümmels, von der hehren Stille und dem hohen Frieden einer übersinnlichen Welt. Oder wir denken uns hinein in jene treibenden Kräfte, die einst diese Riesenblöcke hoben und dann erstarrten, und empfinden die Kämpfe nach, in denen sich diese Formen aus tiefem Schoße emporrangen. Doch der unentrinnbarste und allgemeinste und dabei der großartigste Natnreindruck ist der Nachthimmel mit seinen Milliarden von Sternen. Fragen wir uns zunächst, worin die Physiologie seines Eindrucks, d. h. das Elementare, Objektive, und worin die Psychologie dieses Eindrucks, also das, was wir (metaphorisch) von unserm Innenleben hinzuthun, besteht. Hercckleitos nannte den Kampf den Vater aller Dinge. Kampf ist der Urheber aller Harmonie. Er vernichtet nicht nur, er gleicht auch aus, und damit wird er schöpferisch. In ihm wurzelt der Kontrast; nur durch den Gegensatz können wir uns unsre — relativen — Begriffe klar machen. Aber auch die ästhetischen Anschauungen können wir uns nur durch ihn verdeutlichen; er hat etwas Wurzelhaftes, er ist die Seele des Komischen, die Seele des Tragischen, des Erhabnen, des Romantischen. Aber auch in den sinnlichen Eindrücken herrscht er. Das Helle ist ohne den Gegensatz des Dunkeln nicht denkbar; auf diesem Gegensatz beruht der Reiz des Tages und der Schauer der Nacht. Aber das Licht ist zugleich die Quelle der Wärme, und Wärme ist Leben. Wie Licht und Schall, beruht die Wärme auf Schwingungen, sie ist innere Schwingnngsbewegung, die die Ausdehnung des Körpers bestimmt. Wird aber nun — ich folge hier Orsted — jeder Körper unaufhörlich von Wärmestrahlen durchglüht, bei beständigem Geben und Empfangen in allen seinen Teilen, so wird die Art seines Seins durch einen stetigen äußern und innern Kampf bestimmt, wie aller scheinbare Stillstand nur ein Gleichgewicht zwischen den entgegengesetzten, nie aussterbenden Wirksamkeiten ist. Die Licht- und Wärmestrahlen, die die Allernührerin Sonne durch den weiten Himmels¬ raum sendet, sind die wirkenden Ursachen dieser innern Bewegung. Das Licht enthält also den Keim zu der unaussprechlich mannichfaltigen, für den unmittel¬ baren Sinneneindruck verborgnen, innern Wirksamkeit, durch die die ganze Körperwelt verhindert wird, zusammenzusinken. Es ist daher eine große Offen¬ barung des allgemeinen Naturlebens. Hörten die durch das Licht hervor- Grenzboten III 1897 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/169>, abgerufen am 29.12.2024.