Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Religionsunterricht

ja nicht bloß helfen, das bischen einseitige Schulsitte zu Pflegen, er solle
vielmehr die löblichen Gewohnheiten des Handelns durch Aufzeigung ihrer
Ursprünge und ihrer Notwendigkeit auf klare, feste Grundsätze stellen, er solle
anschauliche Bilder guter und schlechter Handlungen und Personen darreichen,
an denen sich das sittliche Urteil üben könne, deren Anblick das Wohlgefallen
am Guten, den Abscheu vorm Bösen verstärke, solle mancherlei Beweggründe
wecken, die geeignet seien, den guten Willen zu locken, zu treiben, im Gange zu
erhalten. Gewiß soll er das alles; aber soll es der übrige Unterricht etwa
nicht? Womit beschäftigt sich denn der.Sprachunterricht, soweit darin Lese¬
stücke vorgenommen werden, womit der Geschichtsunterricht, als mit der
Bildung des sittlichen Urteils, mit der Aus- und EinPrägung von Grund¬
sätzen, mit der Übermittlung oder Weckung von Beweggründen zum sittlichen
Handeln, mit der Darstellung anziehender Sittenbilder? Auch in Hinsicht
auf diese Art von Einwirkung bildet also der Religionsunterricht im besten
Falle nur ein Bruchstück des Gesamtunterrichts; im besten Falle, sage ich,
d. h. wenn er gut ist. Wird nun aber weiter gefragt, was denn zu einem
guten Religionsunterricht gehöre, so kann doch die Frage nach dem Unter¬
richtsstoff unmöglich umgangen oder als nebensächlich beiseite geschoben werden;
man kann sich nicht mit der Redensart um die Schwierigkeit herumdrücken,
es sei beim Religionsunterricht nicht sowohl auf die Beibringung von Kennt¬
nissen abgesehen, als auf die Charakterbildung und die Veredlung des Ge¬
mütes. Wenn irgend ein Unterricht etwas dergleichen leisten soll, so muß
der Lehrer vor allem ganz genau und bestimmt wissen, was er eigentlich zu
lehren hat; er und die Schüler müssen überzeugt sein und die Empfindung
haben, daß sie ein nützliches Stück Arbeit miteinander verrichten. Das thörichte
Gerede, daß der Religionsunterricht, ja der ganze Schulunterricht mehr erziehen
als unterrichten solle, und daß Unterricht ohne Erziehung mehr schade als
nütze, wobei also vorausgesetzt wird, daß Unterricht ohne Erziehung und Er¬
ziehung ohne Unterricht möglich sei, dieses thörichte Gerede hat Falk in einer
Kulturkampfdebatte mit der richtigen Bemerkung zurückgewiesen, daß es eben
der Unterricht sei, durch den der Lehrer erziehe, und daß ihm gar kein andres
Erziehungsmittel zur Verfügung stehe. Erbauliches Geschwätz ins Blaue
hinein ist besten Falls eine harmlose Unterhaltung, aber keine "sittlich-religiöse
Erziehung," und was sich sonst etwa die Frommen unter dem Ausdruck denken
mögen, davon kann ich mir keine Vorstellung machen.

(Fortsetzung folgt)




Religionsunterricht

ja nicht bloß helfen, das bischen einseitige Schulsitte zu Pflegen, er solle
vielmehr die löblichen Gewohnheiten des Handelns durch Aufzeigung ihrer
Ursprünge und ihrer Notwendigkeit auf klare, feste Grundsätze stellen, er solle
anschauliche Bilder guter und schlechter Handlungen und Personen darreichen,
an denen sich das sittliche Urteil üben könne, deren Anblick das Wohlgefallen
am Guten, den Abscheu vorm Bösen verstärke, solle mancherlei Beweggründe
wecken, die geeignet seien, den guten Willen zu locken, zu treiben, im Gange zu
erhalten. Gewiß soll er das alles; aber soll es der übrige Unterricht etwa
nicht? Womit beschäftigt sich denn der.Sprachunterricht, soweit darin Lese¬
stücke vorgenommen werden, womit der Geschichtsunterricht, als mit der
Bildung des sittlichen Urteils, mit der Aus- und EinPrägung von Grund¬
sätzen, mit der Übermittlung oder Weckung von Beweggründen zum sittlichen
Handeln, mit der Darstellung anziehender Sittenbilder? Auch in Hinsicht
auf diese Art von Einwirkung bildet also der Religionsunterricht im besten
Falle nur ein Bruchstück des Gesamtunterrichts; im besten Falle, sage ich,
d. h. wenn er gut ist. Wird nun aber weiter gefragt, was denn zu einem
guten Religionsunterricht gehöre, so kann doch die Frage nach dem Unter¬
richtsstoff unmöglich umgangen oder als nebensächlich beiseite geschoben werden;
man kann sich nicht mit der Redensart um die Schwierigkeit herumdrücken,
es sei beim Religionsunterricht nicht sowohl auf die Beibringung von Kennt¬
nissen abgesehen, als auf die Charakterbildung und die Veredlung des Ge¬
mütes. Wenn irgend ein Unterricht etwas dergleichen leisten soll, so muß
der Lehrer vor allem ganz genau und bestimmt wissen, was er eigentlich zu
lehren hat; er und die Schüler müssen überzeugt sein und die Empfindung
haben, daß sie ein nützliches Stück Arbeit miteinander verrichten. Das thörichte
Gerede, daß der Religionsunterricht, ja der ganze Schulunterricht mehr erziehen
als unterrichten solle, und daß Unterricht ohne Erziehung mehr schade als
nütze, wobei also vorausgesetzt wird, daß Unterricht ohne Erziehung und Er¬
ziehung ohne Unterricht möglich sei, dieses thörichte Gerede hat Falk in einer
Kulturkampfdebatte mit der richtigen Bemerkung zurückgewiesen, daß es eben
der Unterricht sei, durch den der Lehrer erziehe, und daß ihm gar kein andres
Erziehungsmittel zur Verfügung stehe. Erbauliches Geschwätz ins Blaue
hinein ist besten Falls eine harmlose Unterhaltung, aber keine „sittlich-religiöse
Erziehung," und was sich sonst etwa die Frommen unter dem Ausdruck denken
mögen, davon kann ich mir keine Vorstellung machen.

(Fortsetzung folgt)




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0167" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225753"/>
          <fw type="header" place="top"> Religionsunterricht</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_392" prev="#ID_391"> ja nicht bloß helfen, das bischen einseitige Schulsitte zu Pflegen, er solle<lb/>
vielmehr die löblichen Gewohnheiten des Handelns durch Aufzeigung ihrer<lb/>
Ursprünge und ihrer Notwendigkeit auf klare, feste Grundsätze stellen, er solle<lb/>
anschauliche Bilder guter und schlechter Handlungen und Personen darreichen,<lb/>
an denen sich das sittliche Urteil üben könne, deren Anblick das Wohlgefallen<lb/>
am Guten, den Abscheu vorm Bösen verstärke, solle mancherlei Beweggründe<lb/>
wecken, die geeignet seien, den guten Willen zu locken, zu treiben, im Gange zu<lb/>
erhalten. Gewiß soll er das alles; aber soll es der übrige Unterricht etwa<lb/>
nicht? Womit beschäftigt sich denn der.Sprachunterricht, soweit darin Lese¬<lb/>
stücke vorgenommen werden, womit der Geschichtsunterricht, als mit der<lb/>
Bildung des sittlichen Urteils, mit der Aus- und EinPrägung von Grund¬<lb/>
sätzen, mit der Übermittlung oder Weckung von Beweggründen zum sittlichen<lb/>
Handeln, mit der Darstellung anziehender Sittenbilder? Auch in Hinsicht<lb/>
auf diese Art von Einwirkung bildet also der Religionsunterricht im besten<lb/>
Falle nur ein Bruchstück des Gesamtunterrichts; im besten Falle, sage ich,<lb/>
d. h. wenn er gut ist. Wird nun aber weiter gefragt, was denn zu einem<lb/>
guten Religionsunterricht gehöre, so kann doch die Frage nach dem Unter¬<lb/>
richtsstoff unmöglich umgangen oder als nebensächlich beiseite geschoben werden;<lb/>
man kann sich nicht mit der Redensart um die Schwierigkeit herumdrücken,<lb/>
es sei beim Religionsunterricht nicht sowohl auf die Beibringung von Kennt¬<lb/>
nissen abgesehen, als auf die Charakterbildung und die Veredlung des Ge¬<lb/>
mütes. Wenn irgend ein Unterricht etwas dergleichen leisten soll, so muß<lb/>
der Lehrer vor allem ganz genau und bestimmt wissen, was er eigentlich zu<lb/>
lehren hat; er und die Schüler müssen überzeugt sein und die Empfindung<lb/>
haben, daß sie ein nützliches Stück Arbeit miteinander verrichten. Das thörichte<lb/>
Gerede, daß der Religionsunterricht, ja der ganze Schulunterricht mehr erziehen<lb/>
als unterrichten solle, und daß Unterricht ohne Erziehung mehr schade als<lb/>
nütze, wobei also vorausgesetzt wird, daß Unterricht ohne Erziehung und Er¬<lb/>
ziehung ohne Unterricht möglich sei, dieses thörichte Gerede hat Falk in einer<lb/>
Kulturkampfdebatte mit der richtigen Bemerkung zurückgewiesen, daß es eben<lb/>
der Unterricht sei, durch den der Lehrer erziehe, und daß ihm gar kein andres<lb/>
Erziehungsmittel zur Verfügung stehe. Erbauliches Geschwätz ins Blaue<lb/>
hinein ist besten Falls eine harmlose Unterhaltung, aber keine &#x201E;sittlich-religiöse<lb/>
Erziehung," und was sich sonst etwa die Frommen unter dem Ausdruck denken<lb/>
mögen, davon kann ich mir keine Vorstellung machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_393"> (Fortsetzung folgt)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0167] Religionsunterricht ja nicht bloß helfen, das bischen einseitige Schulsitte zu Pflegen, er solle vielmehr die löblichen Gewohnheiten des Handelns durch Aufzeigung ihrer Ursprünge und ihrer Notwendigkeit auf klare, feste Grundsätze stellen, er solle anschauliche Bilder guter und schlechter Handlungen und Personen darreichen, an denen sich das sittliche Urteil üben könne, deren Anblick das Wohlgefallen am Guten, den Abscheu vorm Bösen verstärke, solle mancherlei Beweggründe wecken, die geeignet seien, den guten Willen zu locken, zu treiben, im Gange zu erhalten. Gewiß soll er das alles; aber soll es der übrige Unterricht etwa nicht? Womit beschäftigt sich denn der.Sprachunterricht, soweit darin Lese¬ stücke vorgenommen werden, womit der Geschichtsunterricht, als mit der Bildung des sittlichen Urteils, mit der Aus- und EinPrägung von Grund¬ sätzen, mit der Übermittlung oder Weckung von Beweggründen zum sittlichen Handeln, mit der Darstellung anziehender Sittenbilder? Auch in Hinsicht auf diese Art von Einwirkung bildet also der Religionsunterricht im besten Falle nur ein Bruchstück des Gesamtunterrichts; im besten Falle, sage ich, d. h. wenn er gut ist. Wird nun aber weiter gefragt, was denn zu einem guten Religionsunterricht gehöre, so kann doch die Frage nach dem Unter¬ richtsstoff unmöglich umgangen oder als nebensächlich beiseite geschoben werden; man kann sich nicht mit der Redensart um die Schwierigkeit herumdrücken, es sei beim Religionsunterricht nicht sowohl auf die Beibringung von Kennt¬ nissen abgesehen, als auf die Charakterbildung und die Veredlung des Ge¬ mütes. Wenn irgend ein Unterricht etwas dergleichen leisten soll, so muß der Lehrer vor allem ganz genau und bestimmt wissen, was er eigentlich zu lehren hat; er und die Schüler müssen überzeugt sein und die Empfindung haben, daß sie ein nützliches Stück Arbeit miteinander verrichten. Das thörichte Gerede, daß der Religionsunterricht, ja der ganze Schulunterricht mehr erziehen als unterrichten solle, und daß Unterricht ohne Erziehung mehr schade als nütze, wobei also vorausgesetzt wird, daß Unterricht ohne Erziehung und Er¬ ziehung ohne Unterricht möglich sei, dieses thörichte Gerede hat Falk in einer Kulturkampfdebatte mit der richtigen Bemerkung zurückgewiesen, daß es eben der Unterricht sei, durch den der Lehrer erziehe, und daß ihm gar kein andres Erziehungsmittel zur Verfügung stehe. Erbauliches Geschwätz ins Blaue hinein ist besten Falls eine harmlose Unterhaltung, aber keine „sittlich-religiöse Erziehung," und was sich sonst etwa die Frommen unter dem Ausdruck denken mögen, davon kann ich mir keine Vorstellung machen. (Fortsetzung folgt)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/167
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/167>, abgerufen am 29.12.2024.