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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Religionsunterricht

Hängern des früher auch von mir hochgeschätzten Philosophen Günther -- der
andre ist der jetzige altkatholische Bischof Weber --, und der durch mannich-
fache gemeinnützige Thätigkeit in weitern Kreisen bekannte Professor Heinrich
Rose, in dessen Familie ich bis heute jeden Sonntag Nachmittag ein Plauder¬
stündchen genieße.

Die altkathvlische Seelsorgestelle war keine anerkannte Pfarrei, gewährte
also keine sichere Versorgung, und ich bemerkte bald, daß es mit den Finanzen
der Gemeinde nicht zum besten stehe. Ein Versuch, die Anerkennung der
hiesigen Altkatholikengemeinschaft als einer Pfarrei zu erlangen, war bei der
damaligen kirchenpolitischen Lage verspätet, und so beschloß ich denn, mich drei
Jahre lang von den Kämpfen, Ärgernissen und Arbeiten der letzten fünftehalb
Jahre zu erholen und dann dem geistlichen Stande Valet zu sagen. Vorüber¬
gehend dachte ich noch einmal an ein evangelisches Pfarramt. Es war eine
lächerliche Kleinigkeit, die mir den letzten Nest von Luft benahm. Ich sah in
einer biblischen Geschichte die Überschrift: "Vom Königischen." Da sagte ich
mir: was für abgeschmackte Sachen würdest du dir doch auch als evangelischer
Geistlicher gefallen lassen und selbst mitmachen müssen! Du würdest dir bald
wieder einmal dein loses Maul verbrennen, und nachdem du römisch-katholisch
und altkatholisch exkommunizirt worden bist, würdest du auch noch die evan¬
gelisch-lutherische Exkommunikation zu schmecken bekommen. Nun halte ichs
zwar sonst mit dem Sprüchlein: onus trimim xertsotum, und gehe z. B. von
einer verschlossenen Thür nie eher fort, als bis ich dreimal am Klingelgriff
gezogen oder auf den Knopf gedrückt habe; aber vor der dritten Exkommuni¬
kation graute mir, ich hatte an zweien genug.

Und gerade um des Religionsunterrichts willen, der mir früher so viel
Freude gemacht hatte, war es mir lieb, daß mich die Verhältnisse aus dem
geistlichen Stande hinaustrieben. Nicht die Schwerhörigkeit allein verleidete
mir ihn; die wäre hier kein so großes Hindernis gewesen; die Zahl der
Schüler war klein, und es ließ sich voraussehen, daß sie bald nur noch ein
halbes Dutzend betragen würde. Auch litt ich nicht an einem Übel, das
manchen evangelischen Geistlichen viel zu schaffen zu machen scheint: der Furcht
vor der modernen Bibelkritik; der Wert der Bibel steht mir so fest, daß
meinen Glauben an ihre Göttlichkeit nichts erschüttern kann; die Ergebnisse
der modernen Forschung auf diesem Gebiete stören mich so wenig in ihrer
Lektüre, als es mir die Freude an Lessing und Shakespeare raubt, wenn ein
Narr den ersten zum Plagiator und ein andrer Narr den zweiten zum Deck¬
blatt für Bacon macht. Mag das Buch Daniel unter einem Achümeniden
oder unter einem Seleuciden geschrieben sein, die Riesengestalt des Propheten,
der das Mene, Tekel, Upharsin deutet, bleibt gleich groß, und alle modernen
Propheten und Staatsweisen erscheinen wie Gewürm neben dem Manne, der
den Gewaltigen und seine Höflingsschar mit dem Worte niederschmettert:


Religionsunterricht

Hängern des früher auch von mir hochgeschätzten Philosophen Günther — der
andre ist der jetzige altkatholische Bischof Weber —, und der durch mannich-
fache gemeinnützige Thätigkeit in weitern Kreisen bekannte Professor Heinrich
Rose, in dessen Familie ich bis heute jeden Sonntag Nachmittag ein Plauder¬
stündchen genieße.

Die altkathvlische Seelsorgestelle war keine anerkannte Pfarrei, gewährte
also keine sichere Versorgung, und ich bemerkte bald, daß es mit den Finanzen
der Gemeinde nicht zum besten stehe. Ein Versuch, die Anerkennung der
hiesigen Altkatholikengemeinschaft als einer Pfarrei zu erlangen, war bei der
damaligen kirchenpolitischen Lage verspätet, und so beschloß ich denn, mich drei
Jahre lang von den Kämpfen, Ärgernissen und Arbeiten der letzten fünftehalb
Jahre zu erholen und dann dem geistlichen Stande Valet zu sagen. Vorüber¬
gehend dachte ich noch einmal an ein evangelisches Pfarramt. Es war eine
lächerliche Kleinigkeit, die mir den letzten Nest von Luft benahm. Ich sah in
einer biblischen Geschichte die Überschrift: „Vom Königischen." Da sagte ich
mir: was für abgeschmackte Sachen würdest du dir doch auch als evangelischer
Geistlicher gefallen lassen und selbst mitmachen müssen! Du würdest dir bald
wieder einmal dein loses Maul verbrennen, und nachdem du römisch-katholisch
und altkatholisch exkommunizirt worden bist, würdest du auch noch die evan¬
gelisch-lutherische Exkommunikation zu schmecken bekommen. Nun halte ichs
zwar sonst mit dem Sprüchlein: onus trimim xertsotum, und gehe z. B. von
einer verschlossenen Thür nie eher fort, als bis ich dreimal am Klingelgriff
gezogen oder auf den Knopf gedrückt habe; aber vor der dritten Exkommuni¬
kation graute mir, ich hatte an zweien genug.

Und gerade um des Religionsunterrichts willen, der mir früher so viel
Freude gemacht hatte, war es mir lieb, daß mich die Verhältnisse aus dem
geistlichen Stande hinaustrieben. Nicht die Schwerhörigkeit allein verleidete
mir ihn; die wäre hier kein so großes Hindernis gewesen; die Zahl der
Schüler war klein, und es ließ sich voraussehen, daß sie bald nur noch ein
halbes Dutzend betragen würde. Auch litt ich nicht an einem Übel, das
manchen evangelischen Geistlichen viel zu schaffen zu machen scheint: der Furcht
vor der modernen Bibelkritik; der Wert der Bibel steht mir so fest, daß
meinen Glauben an ihre Göttlichkeit nichts erschüttern kann; die Ergebnisse
der modernen Forschung auf diesem Gebiete stören mich so wenig in ihrer
Lektüre, als es mir die Freude an Lessing und Shakespeare raubt, wenn ein
Narr den ersten zum Plagiator und ein andrer Narr den zweiten zum Deck¬
blatt für Bacon macht. Mag das Buch Daniel unter einem Achümeniden
oder unter einem Seleuciden geschrieben sein, die Riesengestalt des Propheten,
der das Mene, Tekel, Upharsin deutet, bleibt gleich groß, und alle modernen
Propheten und Staatsweisen erscheinen wie Gewürm neben dem Manne, der
den Gewaltigen und seine Höflingsschar mit dem Worte niederschmettert:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/160>, abgerufen am 24.07.2024.