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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Religionsunterricht

haben, das jedesmal bis auf den letzten Platz gefüllt war, und um das sie
niemand beneidete. Das allerschönste aber war, daß ich in Neisse mit einem
maigesetzwidrigen Gottesdienst anfangen mußte. Die Anzeigepflicht hatte der
Bischof Reinkens selbstverständlich rechtzeitig erfüllt, aber als ich in Neisse
ankam, war die Erlaubnis des Oberpräsidenten zur Ausübung geistlicher Amts¬
verrichtungen noch nicht eingetroffen. Sonnabend telegrciphirte ich an den
Oberprüsidenten; die Antwort lautete: "Nicht in der Lage, Genehmigung zu
erteilen. Oberpräsident." So mußte ich denn am andern Morgen einen gesetz¬
widrigen Gottesdienst abhalten, und hätte sich ein Denunziant gefunden, so
hätte ich eben ins Loch spazieren müssen. Da erinnerte ich mich daran, daß
ich kurz vorher die Entlassung aus dem preußischen Unterthanenverbande nach¬
suchen (kostet 1.50 Mary und die Aufnahme in den badischen (kostet 2,50 Mary
hatte bewirken müssen, daß ich dann die Großherzogtreue wieder in die Königs¬
treue hatte zurückverwandeln müssen, und daß sich der Oberprüsident aus
Konstanz ein Führungszeugnis bestellt hatte, obwohl er wußte, wie genau ich
in Liegnitz bekannt war; hatte er mir doch ein paar Wochen vorher die Ent¬
lassungsurkunde durch den Regierungspräsidenten von Liegnitz zustellen lassen.
O Himmel, dachte ich, das nennt man also deutsches Vaterland! Das wäre
das glorreiche neue Reich und der große Zug der Zeit oder der Zug der
großen Zeit!

Da man mir geschrieben hatte, daß ich eine Amtswohnung vorfände, ge¬
dachte ich mirs gemütlich einzurichten und eine arme Verwandte als Wirt¬
schafterin zu mir zu nehmen; ich hatte die Wahl zwischen einer Base, die noch
vergebens auf den Mann wartete, und der mit drei Kindern gesegneten Witwe
eines Vetters. Aber unser Herrgott, der Kirchenvorstand und ein Kreuzherrn¬
prälat irgend eines frühern Jahrhunderts hatten es anders beschlossen. Für
mich stand nur ein einziges großes Zimmer zur Verfügung; die Wirtschafts¬
räume des wunderlich angelegten Hauses waren dem Küster Kreisel eingeräumt
worden, dessen Frau für meines Leibes Notdurft sorgen sollte. Der Küster
war ein Militürinvalid und ist einige Jahre später seinen mancherlei Leiden
erlegen, nachdem er sich bis zum Tode in allerlei Ämtchen, zuletzt als
Lvgenkastellan, redlich für die Seinen geplagt hatte. Seine sehr tüchtige und
gescheite Frau und die sieben Kinder hatten bald meine Sympathie gewonnen.
Als wir infolge der Beendigung des Kulturkampfes zu Neujahr 1882 aus
der'"Prälatur" ausgewiesen wurden, sagte ich: Was der Kirchenvorstand zu¬
sammengefügt hat, wollen wir nicht scheiden; wir bezogen zusammen eine Miet¬
wohnung, und uach dem Tode des Mannes wirtschaftete ich mit der Witwe
weiter. So war ich denn einigermaßen verheiratet. Auch hatte ich bald einige
liebe Freunde gefunden. Da war namentlich ein alter Schulkamerad von
Landeshut her, Ingenieur Habich, der sich hier als Rentner niedergelassen
hatte, dann der Dr. Ernst Metzer, der eine von den beiden noch übrigen An-


Religionsunterricht

haben, das jedesmal bis auf den letzten Platz gefüllt war, und um das sie
niemand beneidete. Das allerschönste aber war, daß ich in Neisse mit einem
maigesetzwidrigen Gottesdienst anfangen mußte. Die Anzeigepflicht hatte der
Bischof Reinkens selbstverständlich rechtzeitig erfüllt, aber als ich in Neisse
ankam, war die Erlaubnis des Oberpräsidenten zur Ausübung geistlicher Amts¬
verrichtungen noch nicht eingetroffen. Sonnabend telegrciphirte ich an den
Oberprüsidenten; die Antwort lautete: „Nicht in der Lage, Genehmigung zu
erteilen. Oberpräsident." So mußte ich denn am andern Morgen einen gesetz¬
widrigen Gottesdienst abhalten, und hätte sich ein Denunziant gefunden, so
hätte ich eben ins Loch spazieren müssen. Da erinnerte ich mich daran, daß
ich kurz vorher die Entlassung aus dem preußischen Unterthanenverbande nach¬
suchen (kostet 1.50 Mary und die Aufnahme in den badischen (kostet 2,50 Mary
hatte bewirken müssen, daß ich dann die Großherzogtreue wieder in die Königs¬
treue hatte zurückverwandeln müssen, und daß sich der Oberprüsident aus
Konstanz ein Führungszeugnis bestellt hatte, obwohl er wußte, wie genau ich
in Liegnitz bekannt war; hatte er mir doch ein paar Wochen vorher die Ent¬
lassungsurkunde durch den Regierungspräsidenten von Liegnitz zustellen lassen.
O Himmel, dachte ich, das nennt man also deutsches Vaterland! Das wäre
das glorreiche neue Reich und der große Zug der Zeit oder der Zug der
großen Zeit!

Da man mir geschrieben hatte, daß ich eine Amtswohnung vorfände, ge¬
dachte ich mirs gemütlich einzurichten und eine arme Verwandte als Wirt¬
schafterin zu mir zu nehmen; ich hatte die Wahl zwischen einer Base, die noch
vergebens auf den Mann wartete, und der mit drei Kindern gesegneten Witwe
eines Vetters. Aber unser Herrgott, der Kirchenvorstand und ein Kreuzherrn¬
prälat irgend eines frühern Jahrhunderts hatten es anders beschlossen. Für
mich stand nur ein einziges großes Zimmer zur Verfügung; die Wirtschafts¬
räume des wunderlich angelegten Hauses waren dem Küster Kreisel eingeräumt
worden, dessen Frau für meines Leibes Notdurft sorgen sollte. Der Küster
war ein Militürinvalid und ist einige Jahre später seinen mancherlei Leiden
erlegen, nachdem er sich bis zum Tode in allerlei Ämtchen, zuletzt als
Lvgenkastellan, redlich für die Seinen geplagt hatte. Seine sehr tüchtige und
gescheite Frau und die sieben Kinder hatten bald meine Sympathie gewonnen.
Als wir infolge der Beendigung des Kulturkampfes zu Neujahr 1882 aus
der'„Prälatur" ausgewiesen wurden, sagte ich: Was der Kirchenvorstand zu¬
sammengefügt hat, wollen wir nicht scheiden; wir bezogen zusammen eine Miet¬
wohnung, und uach dem Tode des Mannes wirtschaftete ich mit der Witwe
weiter. So war ich denn einigermaßen verheiratet. Auch hatte ich bald einige
liebe Freunde gefunden. Da war namentlich ein alter Schulkamerad von
Landeshut her, Ingenieur Habich, der sich hier als Rentner niedergelassen
hatte, dann der Dr. Ernst Metzer, der eine von den beiden noch übrigen An-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/159>, abgerufen am 29.12.2024.