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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Neue Beweise für den landwirtschaftlichen Notstand

Durch diese Zahlen soll nach Hoppenstedt bewiesen sein, daß bei der
heutigen Verwertung der landwirtschaftlichen Produkte nicht die Rente erzielt
werde, die dem Landwirt die Mittel gewährt, "sorgenfrei zu leben, d. h. den
mannichfachen Verpflichtungen, die ihm der Staat, seine Stellung und die
Familie gegenwärtig und für die Zukunft auferlegen, nachzukommen, den Ge¬
fahren und Verlusten, denen er ausgesetzt sei, Stand zu halten und seinen
Beruf so auszufüllen, wie es mit Recht von ihm verlangt werden könne, und
wie es erforderlich sei, um seinem Betrieb die höchste Rente abzugewinnen."

Auf diese Weise beweist eine Leuchte unter den westelbischen Landwirten
nicht nur den Notstand, sondern noch mehr: die Notwendigkeit neuerer größerer
Staatshilfe auf andrer Leute Kosten! Oder will Hoppenstedt nur beweisen,
was jedermann zugiebt, daß viele Domänenpachtungen auch auf gutem Boden
noch viel zu hoch sind? Will er die Staats Hilfe nur für die Domünenpächter,
die von dem Pacht erdrückt werden, in Anspruch nehmen in der Form von
Pachtermäßigungcn? Dann würden wir ihm unter Umständen gern zustimmen,
denn der Staat soll nicht härter sein als ein Privatverpächter, er soll nicht schroff
auf seinem Schein bestehen, wenn er sieht, daß sich ein tüchtiger Pächter an
Bedingungen, die er unter andern Aussichten übernommen hat, verblutet. Hat
der Fiskus die fetten Jahrzehnte mitgenommen, so soll er auch die magern
hinnehmen wie der Privatmann. Aber aus keinen Fall kann man den land¬
wirtschaftlichen Notstand überhaupt und die Unmöglichkeit, sich in schlechten
Zeiten durchzuschlagen, und vollends die Notwendigkeit weiterer Staatshilfe
mit diesen Zahlen beweisen wollen. Wo in aller Welt nimmt man das Recht
her, zu behaupten, der Boden werfe keine Rente mehr ab, wenn der Eigentümer
eines Ritterguts mittlerer Größe einen Jahrespacht von 30000 bis 40000 Mark
daraus beanspruchen zu dürfen glaubt? Auch wenn er in schlechten Zeiten
fünfundzwanzig und dreißig Prozent von diesem Pachtgelde nachlassen muß,
sodaß der Pächter zu einem leidlichen Überschuß kommt, kann von der Unmög¬
lichkeit, den Pflichten gegen Staat und Familie nachzukommen, nicht die Rede
sein. Und dann, was sind denn die "heutigen" Preise im Wechsel der guten
und schlechten Jahre, wie er sich auch seit Ende der achtziger Jahre, d. h. seit
Beginn der Krisis oder des Niedergangs der Konjunktur auf dem Weltmarkt,
geltend macht? Hat nicht das Jahr 1891 sehr hohe, das Jahr 1892 noch
ganz erträgliche Weizenpreise gehabt? Ist nicht 1896 schon wieder eine
Besserung eingetreten, die, so viel uns bekannt ist, in der ersten Hälfte des
laufenden Jahres fortgeschritten ist? Daß Domünenpächter, die vor zwölf,
vor achtzehn Jahren gepachtet und keinen Pachtnachlaß erreicht und dabei viel
Geld in den Betrieb hineingesteckt haben, in nicht geringer Zahl ihr Vermögen
zugesetzt haben, das ist ja zuzugeben; aber wo sind denn die in Vermögens¬
verfall geratnen Besitzer? Die Statistik weiß nichts davon. Freilich ein¬
schränken müssen sich die, die viel Schulden haben, vielleicht noch auf Jahre


Neue Beweise für den landwirtschaftlichen Notstand

Durch diese Zahlen soll nach Hoppenstedt bewiesen sein, daß bei der
heutigen Verwertung der landwirtschaftlichen Produkte nicht die Rente erzielt
werde, die dem Landwirt die Mittel gewährt, „sorgenfrei zu leben, d. h. den
mannichfachen Verpflichtungen, die ihm der Staat, seine Stellung und die
Familie gegenwärtig und für die Zukunft auferlegen, nachzukommen, den Ge¬
fahren und Verlusten, denen er ausgesetzt sei, Stand zu halten und seinen
Beruf so auszufüllen, wie es mit Recht von ihm verlangt werden könne, und
wie es erforderlich sei, um seinem Betrieb die höchste Rente abzugewinnen."

Auf diese Weise beweist eine Leuchte unter den westelbischen Landwirten
nicht nur den Notstand, sondern noch mehr: die Notwendigkeit neuerer größerer
Staatshilfe auf andrer Leute Kosten! Oder will Hoppenstedt nur beweisen,
was jedermann zugiebt, daß viele Domänenpachtungen auch auf gutem Boden
noch viel zu hoch sind? Will er die Staats Hilfe nur für die Domünenpächter,
die von dem Pacht erdrückt werden, in Anspruch nehmen in der Form von
Pachtermäßigungcn? Dann würden wir ihm unter Umständen gern zustimmen,
denn der Staat soll nicht härter sein als ein Privatverpächter, er soll nicht schroff
auf seinem Schein bestehen, wenn er sieht, daß sich ein tüchtiger Pächter an
Bedingungen, die er unter andern Aussichten übernommen hat, verblutet. Hat
der Fiskus die fetten Jahrzehnte mitgenommen, so soll er auch die magern
hinnehmen wie der Privatmann. Aber aus keinen Fall kann man den land¬
wirtschaftlichen Notstand überhaupt und die Unmöglichkeit, sich in schlechten
Zeiten durchzuschlagen, und vollends die Notwendigkeit weiterer Staatshilfe
mit diesen Zahlen beweisen wollen. Wo in aller Welt nimmt man das Recht
her, zu behaupten, der Boden werfe keine Rente mehr ab, wenn der Eigentümer
eines Ritterguts mittlerer Größe einen Jahrespacht von 30000 bis 40000 Mark
daraus beanspruchen zu dürfen glaubt? Auch wenn er in schlechten Zeiten
fünfundzwanzig und dreißig Prozent von diesem Pachtgelde nachlassen muß,
sodaß der Pächter zu einem leidlichen Überschuß kommt, kann von der Unmög¬
lichkeit, den Pflichten gegen Staat und Familie nachzukommen, nicht die Rede
sein. Und dann, was sind denn die „heutigen" Preise im Wechsel der guten
und schlechten Jahre, wie er sich auch seit Ende der achtziger Jahre, d. h. seit
Beginn der Krisis oder des Niedergangs der Konjunktur auf dem Weltmarkt,
geltend macht? Hat nicht das Jahr 1891 sehr hohe, das Jahr 1892 noch
ganz erträgliche Weizenpreise gehabt? Ist nicht 1896 schon wieder eine
Besserung eingetreten, die, so viel uns bekannt ist, in der ersten Hälfte des
laufenden Jahres fortgeschritten ist? Daß Domünenpächter, die vor zwölf,
vor achtzehn Jahren gepachtet und keinen Pachtnachlaß erreicht und dabei viel
Geld in den Betrieb hineingesteckt haben, in nicht geringer Zahl ihr Vermögen
zugesetzt haben, das ist ja zuzugeben; aber wo sind denn die in Vermögens¬
verfall geratnen Besitzer? Die Statistik weiß nichts davon. Freilich ein¬
schränken müssen sich die, die viel Schulden haben, vielleicht noch auf Jahre


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[0157] Neue Beweise für den landwirtschaftlichen Notstand Durch diese Zahlen soll nach Hoppenstedt bewiesen sein, daß bei der heutigen Verwertung der landwirtschaftlichen Produkte nicht die Rente erzielt werde, die dem Landwirt die Mittel gewährt, „sorgenfrei zu leben, d. h. den mannichfachen Verpflichtungen, die ihm der Staat, seine Stellung und die Familie gegenwärtig und für die Zukunft auferlegen, nachzukommen, den Ge¬ fahren und Verlusten, denen er ausgesetzt sei, Stand zu halten und seinen Beruf so auszufüllen, wie es mit Recht von ihm verlangt werden könne, und wie es erforderlich sei, um seinem Betrieb die höchste Rente abzugewinnen." Auf diese Weise beweist eine Leuchte unter den westelbischen Landwirten nicht nur den Notstand, sondern noch mehr: die Notwendigkeit neuerer größerer Staatshilfe auf andrer Leute Kosten! Oder will Hoppenstedt nur beweisen, was jedermann zugiebt, daß viele Domänenpachtungen auch auf gutem Boden noch viel zu hoch sind? Will er die Staats Hilfe nur für die Domünenpächter, die von dem Pacht erdrückt werden, in Anspruch nehmen in der Form von Pachtermäßigungcn? Dann würden wir ihm unter Umständen gern zustimmen, denn der Staat soll nicht härter sein als ein Privatverpächter, er soll nicht schroff auf seinem Schein bestehen, wenn er sieht, daß sich ein tüchtiger Pächter an Bedingungen, die er unter andern Aussichten übernommen hat, verblutet. Hat der Fiskus die fetten Jahrzehnte mitgenommen, so soll er auch die magern hinnehmen wie der Privatmann. Aber aus keinen Fall kann man den land¬ wirtschaftlichen Notstand überhaupt und die Unmöglichkeit, sich in schlechten Zeiten durchzuschlagen, und vollends die Notwendigkeit weiterer Staatshilfe mit diesen Zahlen beweisen wollen. Wo in aller Welt nimmt man das Recht her, zu behaupten, der Boden werfe keine Rente mehr ab, wenn der Eigentümer eines Ritterguts mittlerer Größe einen Jahrespacht von 30000 bis 40000 Mark daraus beanspruchen zu dürfen glaubt? Auch wenn er in schlechten Zeiten fünfundzwanzig und dreißig Prozent von diesem Pachtgelde nachlassen muß, sodaß der Pächter zu einem leidlichen Überschuß kommt, kann von der Unmög¬ lichkeit, den Pflichten gegen Staat und Familie nachzukommen, nicht die Rede sein. Und dann, was sind denn die „heutigen" Preise im Wechsel der guten und schlechten Jahre, wie er sich auch seit Ende der achtziger Jahre, d. h. seit Beginn der Krisis oder des Niedergangs der Konjunktur auf dem Weltmarkt, geltend macht? Hat nicht das Jahr 1891 sehr hohe, das Jahr 1892 noch ganz erträgliche Weizenpreise gehabt? Ist nicht 1896 schon wieder eine Besserung eingetreten, die, so viel uns bekannt ist, in der ersten Hälfte des laufenden Jahres fortgeschritten ist? Daß Domünenpächter, die vor zwölf, vor achtzehn Jahren gepachtet und keinen Pachtnachlaß erreicht und dabei viel Geld in den Betrieb hineingesteckt haben, in nicht geringer Zahl ihr Vermögen zugesetzt haben, das ist ja zuzugeben; aber wo sind denn die in Vermögens¬ verfall geratnen Besitzer? Die Statistik weiß nichts davon. Freilich ein¬ schränken müssen sich die, die viel Schulden haben, vielleicht noch auf Jahre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/157>, abgerufen am 29.12.2024.