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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Dichter und Antiker

König der Aphorismen, schließt mit den Worten: "der Aphorismen König,
Hille." Es ist uns aber nicht gelungen, in diesem Königreich auch nur einen
der Aufzeichnung werten Gedanken zu finden. Die gegenseitige Verhimmelung
der sehr irdischen Teilnehmer eines kleines Kreises, die sich durch das ganze
Album hindurchzieht, ist ja gewiß ganz aufrichtig gemeint. Aber ist sie auch
klug, zumal da sie zusammengeht mit einer sehr abfälligen Kritik aller dichtenden
Konkurrenten und einer recht hochmütigen Stimmung gegen das übrige
Publikum? Den Dichtern kann es doch nicht genügen, wenn nur sie selbst
auf das Album subskribiren und sie sich untereinander lesen und verehren.
Glauben sie aber, daß sich das so brüskirte Publikum das Vergnügen machen
wird, das Buch zu kaufen und die vielerlei Anzüglichkeiten für ebenso viel
litterarische Genüsse gelten zu lassen?

Viel besser als die gereimten Sachen sind im allgemeinen die Prosa¬
beiträge, kleinen Erzählungen und dramatischen Szenen. Sie sind unterhaltend,
und manche von ihnen sind auch in der Form recht gelungen: der Ausdruck
ist sorgfältig und bezeichnend, das Eigentümliche einzelner deutscher Stämme
tritt hervor, die Litteratur kann aus den Anregungen hie und da eine Be¬
reicherung gewinnen. Wenn man auf die ja nun ein Vierteljahrhundert alte
Bewegung der Modernen zurückblickt, so scheint ihr einziger Erfolg in dem
Gewinn zu liegen, den sie einer realistischen, mehr an die Redeweise des Volks
angeschlossene Prosasprache gebracht hat. Wenn man das Derbe und Rohe,
das sich nach berühmten Mustern gern als Sturm und Drang geberdet, aus¬
scheidet, so bleibt ein Nest von Sprachgut, der vielleicht weiter leben wird.
Aber sehr viel ist es nicht. Vor allem wird man dahin nicht rechnen dürfen
die sehr überHand nehmenden kurzen Betrachtungen, die sich selbst Wohl als
Prosadichtungen einführen, und die ihren Verfassern jedenfalls leichter werden,
als wenn sie dergleichen noch in Verse zu bringen hätten. Diese anspruchs¬
vollen Capriccios haben etwas so willkürliches, daß sie schwerlich einen andern,
als der sie geschrieben hat, interesstren können. Daß eine spätere Zeit der¬
gleichen sammeln und darnach Schriftstellerindividualitüten bestimmen sollte,
ist ganz ausgeschlossen. Es sind also nur Stilübungen einzelner Menschen,
verspätete Seknndaneraufsätze. Die Litteratur der Modernen zeigt eine Er¬
scheinung, die sich ebenso im Bereich der modernen Malerei kundgiebt, und
beide gehen ja in vielen Dingen gemeinsame Wege: während man früher meinte,
daß sich wahre Meisterschaft erst in der Vollendung und an dem Fertig¬
gemachten erweise, wird jetzt Reklame gemacht mit Entwürfen und Skizzen,
mit Andeutungen und Verheißungen. Auf die Erfüllung wartet man dann
vielleicht für immer. Fruchtbare Zeiten und kräftige Menschen schaffen und
bringen ans Licht und haben keine Zeit zu Programmen. Für den wirklichen
Künstler sind Skizzen Interna seines Ateliers, die höchstens ein Freund zu
sehen bekommt, Zukunftsmusikanten aber bringen ihre Entwürfe auf den Markt


Dichter und Antiker

König der Aphorismen, schließt mit den Worten: „der Aphorismen König,
Hille." Es ist uns aber nicht gelungen, in diesem Königreich auch nur einen
der Aufzeichnung werten Gedanken zu finden. Die gegenseitige Verhimmelung
der sehr irdischen Teilnehmer eines kleines Kreises, die sich durch das ganze
Album hindurchzieht, ist ja gewiß ganz aufrichtig gemeint. Aber ist sie auch
klug, zumal da sie zusammengeht mit einer sehr abfälligen Kritik aller dichtenden
Konkurrenten und einer recht hochmütigen Stimmung gegen das übrige
Publikum? Den Dichtern kann es doch nicht genügen, wenn nur sie selbst
auf das Album subskribiren und sie sich untereinander lesen und verehren.
Glauben sie aber, daß sich das so brüskirte Publikum das Vergnügen machen
wird, das Buch zu kaufen und die vielerlei Anzüglichkeiten für ebenso viel
litterarische Genüsse gelten zu lassen?

Viel besser als die gereimten Sachen sind im allgemeinen die Prosa¬
beiträge, kleinen Erzählungen und dramatischen Szenen. Sie sind unterhaltend,
und manche von ihnen sind auch in der Form recht gelungen: der Ausdruck
ist sorgfältig und bezeichnend, das Eigentümliche einzelner deutscher Stämme
tritt hervor, die Litteratur kann aus den Anregungen hie und da eine Be¬
reicherung gewinnen. Wenn man auf die ja nun ein Vierteljahrhundert alte
Bewegung der Modernen zurückblickt, so scheint ihr einziger Erfolg in dem
Gewinn zu liegen, den sie einer realistischen, mehr an die Redeweise des Volks
angeschlossene Prosasprache gebracht hat. Wenn man das Derbe und Rohe,
das sich nach berühmten Mustern gern als Sturm und Drang geberdet, aus¬
scheidet, so bleibt ein Nest von Sprachgut, der vielleicht weiter leben wird.
Aber sehr viel ist es nicht. Vor allem wird man dahin nicht rechnen dürfen
die sehr überHand nehmenden kurzen Betrachtungen, die sich selbst Wohl als
Prosadichtungen einführen, und die ihren Verfassern jedenfalls leichter werden,
als wenn sie dergleichen noch in Verse zu bringen hätten. Diese anspruchs¬
vollen Capriccios haben etwas so willkürliches, daß sie schwerlich einen andern,
als der sie geschrieben hat, interesstren können. Daß eine spätere Zeit der¬
gleichen sammeln und darnach Schriftstellerindividualitüten bestimmen sollte,
ist ganz ausgeschlossen. Es sind also nur Stilübungen einzelner Menschen,
verspätete Seknndaneraufsätze. Die Litteratur der Modernen zeigt eine Er¬
scheinung, die sich ebenso im Bereich der modernen Malerei kundgiebt, und
beide gehen ja in vielen Dingen gemeinsame Wege: während man früher meinte,
daß sich wahre Meisterschaft erst in der Vollendung und an dem Fertig¬
gemachten erweise, wird jetzt Reklame gemacht mit Entwürfen und Skizzen,
mit Andeutungen und Verheißungen. Auf die Erfüllung wartet man dann
vielleicht für immer. Fruchtbare Zeiten und kräftige Menschen schaffen und
bringen ans Licht und haben keine Zeit zu Programmen. Für den wirklichen
Künstler sind Skizzen Interna seines Ateliers, die höchstens ein Freund zu
sehen bekommt, Zukunftsmusikanten aber bringen ihre Entwürfe auf den Markt


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[0146] Dichter und Antiker König der Aphorismen, schließt mit den Worten: „der Aphorismen König, Hille." Es ist uns aber nicht gelungen, in diesem Königreich auch nur einen der Aufzeichnung werten Gedanken zu finden. Die gegenseitige Verhimmelung der sehr irdischen Teilnehmer eines kleines Kreises, die sich durch das ganze Album hindurchzieht, ist ja gewiß ganz aufrichtig gemeint. Aber ist sie auch klug, zumal da sie zusammengeht mit einer sehr abfälligen Kritik aller dichtenden Konkurrenten und einer recht hochmütigen Stimmung gegen das übrige Publikum? Den Dichtern kann es doch nicht genügen, wenn nur sie selbst auf das Album subskribiren und sie sich untereinander lesen und verehren. Glauben sie aber, daß sich das so brüskirte Publikum das Vergnügen machen wird, das Buch zu kaufen und die vielerlei Anzüglichkeiten für ebenso viel litterarische Genüsse gelten zu lassen? Viel besser als die gereimten Sachen sind im allgemeinen die Prosa¬ beiträge, kleinen Erzählungen und dramatischen Szenen. Sie sind unterhaltend, und manche von ihnen sind auch in der Form recht gelungen: der Ausdruck ist sorgfältig und bezeichnend, das Eigentümliche einzelner deutscher Stämme tritt hervor, die Litteratur kann aus den Anregungen hie und da eine Be¬ reicherung gewinnen. Wenn man auf die ja nun ein Vierteljahrhundert alte Bewegung der Modernen zurückblickt, so scheint ihr einziger Erfolg in dem Gewinn zu liegen, den sie einer realistischen, mehr an die Redeweise des Volks angeschlossene Prosasprache gebracht hat. Wenn man das Derbe und Rohe, das sich nach berühmten Mustern gern als Sturm und Drang geberdet, aus¬ scheidet, so bleibt ein Nest von Sprachgut, der vielleicht weiter leben wird. Aber sehr viel ist es nicht. Vor allem wird man dahin nicht rechnen dürfen die sehr überHand nehmenden kurzen Betrachtungen, die sich selbst Wohl als Prosadichtungen einführen, und die ihren Verfassern jedenfalls leichter werden, als wenn sie dergleichen noch in Verse zu bringen hätten. Diese anspruchs¬ vollen Capriccios haben etwas so willkürliches, daß sie schwerlich einen andern, als der sie geschrieben hat, interesstren können. Daß eine spätere Zeit der¬ gleichen sammeln und darnach Schriftstellerindividualitüten bestimmen sollte, ist ganz ausgeschlossen. Es sind also nur Stilübungen einzelner Menschen, verspätete Seknndaneraufsätze. Die Litteratur der Modernen zeigt eine Er¬ scheinung, die sich ebenso im Bereich der modernen Malerei kundgiebt, und beide gehen ja in vielen Dingen gemeinsame Wege: während man früher meinte, daß sich wahre Meisterschaft erst in der Vollendung und an dem Fertig¬ gemachten erweise, wird jetzt Reklame gemacht mit Entwürfen und Skizzen, mit Andeutungen und Verheißungen. Auf die Erfüllung wartet man dann vielleicht für immer. Fruchtbare Zeiten und kräftige Menschen schaffen und bringen ans Licht und haben keine Zeit zu Programmen. Für den wirklichen Künstler sind Skizzen Interna seines Ateliers, die höchstens ein Freund zu sehen bekommt, Zukunftsmusikanten aber bringen ihre Entwürfe auf den Markt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/146>, abgerufen am 24.07.2024.