Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.Dichter und Kritiker meister sein sollen, worunter sich vielleicht auch die Grenzboten als unverstanden Um uns den Boden für eine nutzbringende Betrachtung zu ebnen, müssen Dichter und Kritiker meister sein sollen, worunter sich vielleicht auch die Grenzboten als unverstanden Um uns den Boden für eine nutzbringende Betrachtung zu ebnen, müssen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0143" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225729"/> <fw type="header" place="top"> Dichter und Kritiker</fw><lb/> <p xml:id="ID_332" prev="#ID_331"> meister sein sollen, worunter sich vielleicht auch die Grenzboten als unverstanden<lb/> ansehen dürfen. Der Herausgeber hat also seine Teune gekehrt, und nachdem<lb/> er das Krankhafte und Unverständige beseitigt hat, möchte er allem ge¬<lb/> sunden und natürlichen den Boden bereiten. Sein Vorwort schließt: „Darum<lb/> giebt dieser Almanach hoffentlich Samenkörner, giebt er Geistessaat, in die<lb/> Furchen der Zeit gestreut, die einst im Laufe der Jahre mit Gottheitshilfe zu<lb/> prächtiger Vollblüte aufgehen wird. Zum Schluß allen Deutschen Herzcnsgruß,<lb/> soweit die deutsche Zunge klingt. Fest steht das Wort im Zeitensturm:<lb/> Deutschland bleibt deutsch in Ewigkeit." Die Absicht ist gut. Versuchen wir,<lb/> uns über das Erreichte Rechenschaft zu geben.</p><lb/> <p xml:id="ID_333" next="#ID_334"> Um uns den Boden für eine nutzbringende Betrachtung zu ebnen, müssen<lb/> wir zunächst das Geschäft mit der Worfschaufel noch etwas weiter fortsetze».<lb/> Da sind zuerst eine Anzahl Beiträge, sür die das Wort unanständig noch viel<lb/> zu anständig wäre, es werden Neste sein aus der frühern, überwundnen Periode,<lb/> deren Urheber die vom Herausgeber angezeigte Wandlung nicht mitgemacht<lb/> haben und nun unter dem Rcdaktionstisch durchgeschlüpft sind: „Tibers Tod,<lb/> psychopathische Studie," ferner zwei Gedichte: „Der Vcunpyr" und „Die<lb/> Horizontale." Das hat zum Glück mit dem Deutschtum, das der Herausgeber<lb/> fördern wollte, nicht das mindeste zu thun und hätte ohne Nachsicht weggekehrt<lb/> werden müssen. Auch haben wir sein Vorwort so verstanden, als hätte er<lb/> dem überkünstelten Impressionismus abgeschworen. Trotzdem bringt er „Flam¬<lb/> mende Sehnsucht, psychische Studie" und ein kränkliches Symbolistenexerzitium<lb/> mit der Überschrift „Frieden," worin es heißt: „Deine Wange lehnst du an<lb/> meine, ganz leise, ganz sacht, ich muß sie mehr ahnen, als fühlen usw.," und<lb/> sogar aus seinem eignen „Merkbüchlein" giebt er einen Prosaaufsatz über den<lb/> großen Nietzscheübermenschen Napoleon auf Se. Helena, dessen Tendenz in den<lb/> dreißiger Jahren unsers Jahrhunderts vielleicht verständlich gewesen wäre; in<lb/> die neue Zeit, die der Herausgeber ausdrücklich mit 1870 beginnen läßt, paßt<lb/> so etwas nicht. Ebenso wenig gehört eine lange Abhandlung über den Bild-<lb/> hauer Franz Flaum mit vielen Abbildungen weiblicher Nacktheiten in diese<lb/> Sammlung. Dem Künstler ist es offenbar Ernst mit der Sünde, die er<lb/> schildert, darin ist dem Verfasser des Textes zuzustimmen, aber wer mag sich<lb/> in diesen Schlamm versenken, vollends mit dieser analytischen Gründlichkeit?<lb/> Wer will das lesen in einem Musenalmanach? Der Band hat noch eine ganze<lb/> Anzahl sogenannter Kunstbeilagen, die ihm nicht zum Vorteil gereichen. Es<lb/> ist ja bei den Allerneusten Mode, bildende und redende Kunst zu verbinden,<lb/> mit welchem Erfolg, das zeigt z. B. der Pan. Es giebt wenig Menschen, die<lb/> beides zugleich zu beurteilen verstehen, und wenn der Herausgeber zu diesen<lb/> wenigen gehörte, so könnten diese Bilder nicht samt und sonders so unbedeutend<lb/> sein. Also: was nicht deines Amts ist, da laß deinen Fürwitz! Einen<lb/> Musenalmanach mit Schriftwerken anständig auszustatten, ist gerade Arbeit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0143]
Dichter und Kritiker
meister sein sollen, worunter sich vielleicht auch die Grenzboten als unverstanden
ansehen dürfen. Der Herausgeber hat also seine Teune gekehrt, und nachdem
er das Krankhafte und Unverständige beseitigt hat, möchte er allem ge¬
sunden und natürlichen den Boden bereiten. Sein Vorwort schließt: „Darum
giebt dieser Almanach hoffentlich Samenkörner, giebt er Geistessaat, in die
Furchen der Zeit gestreut, die einst im Laufe der Jahre mit Gottheitshilfe zu
prächtiger Vollblüte aufgehen wird. Zum Schluß allen Deutschen Herzcnsgruß,
soweit die deutsche Zunge klingt. Fest steht das Wort im Zeitensturm:
Deutschland bleibt deutsch in Ewigkeit." Die Absicht ist gut. Versuchen wir,
uns über das Erreichte Rechenschaft zu geben.
Um uns den Boden für eine nutzbringende Betrachtung zu ebnen, müssen
wir zunächst das Geschäft mit der Worfschaufel noch etwas weiter fortsetze».
Da sind zuerst eine Anzahl Beiträge, sür die das Wort unanständig noch viel
zu anständig wäre, es werden Neste sein aus der frühern, überwundnen Periode,
deren Urheber die vom Herausgeber angezeigte Wandlung nicht mitgemacht
haben und nun unter dem Rcdaktionstisch durchgeschlüpft sind: „Tibers Tod,
psychopathische Studie," ferner zwei Gedichte: „Der Vcunpyr" und „Die
Horizontale." Das hat zum Glück mit dem Deutschtum, das der Herausgeber
fördern wollte, nicht das mindeste zu thun und hätte ohne Nachsicht weggekehrt
werden müssen. Auch haben wir sein Vorwort so verstanden, als hätte er
dem überkünstelten Impressionismus abgeschworen. Trotzdem bringt er „Flam¬
mende Sehnsucht, psychische Studie" und ein kränkliches Symbolistenexerzitium
mit der Überschrift „Frieden," worin es heißt: „Deine Wange lehnst du an
meine, ganz leise, ganz sacht, ich muß sie mehr ahnen, als fühlen usw.," und
sogar aus seinem eignen „Merkbüchlein" giebt er einen Prosaaufsatz über den
großen Nietzscheübermenschen Napoleon auf Se. Helena, dessen Tendenz in den
dreißiger Jahren unsers Jahrhunderts vielleicht verständlich gewesen wäre; in
die neue Zeit, die der Herausgeber ausdrücklich mit 1870 beginnen läßt, paßt
so etwas nicht. Ebenso wenig gehört eine lange Abhandlung über den Bild-
hauer Franz Flaum mit vielen Abbildungen weiblicher Nacktheiten in diese
Sammlung. Dem Künstler ist es offenbar Ernst mit der Sünde, die er
schildert, darin ist dem Verfasser des Textes zuzustimmen, aber wer mag sich
in diesen Schlamm versenken, vollends mit dieser analytischen Gründlichkeit?
Wer will das lesen in einem Musenalmanach? Der Band hat noch eine ganze
Anzahl sogenannter Kunstbeilagen, die ihm nicht zum Vorteil gereichen. Es
ist ja bei den Allerneusten Mode, bildende und redende Kunst zu verbinden,
mit welchem Erfolg, das zeigt z. B. der Pan. Es giebt wenig Menschen, die
beides zugleich zu beurteilen verstehen, und wenn der Herausgeber zu diesen
wenigen gehörte, so könnten diese Bilder nicht samt und sonders so unbedeutend
sein. Also: was nicht deines Amts ist, da laß deinen Fürwitz! Einen
Musenalmanach mit Schriftwerken anständig auszustatten, ist gerade Arbeit
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