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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Vererbung

üppiger wachsen macht, sondern sie auch in bestimmter Weise verändert, ist
bekannt, und es würde wunderbar sein, wenn nicht auch ihre Samen größer
und mit reichlicherer Nahrung versehen sein sollten. . . . Werden gewöhn¬
liche Pferde auf die Falklandsinseln gebracht, so nehmen sie schon in der
ersten dort gebornen Generation durch die schlechte Nahrung und das feuchte
Klima erheblich ab, und nach einigen Generationen sind sie ganz schlecht. Man
braucht hier nur anzunehmen, daß das für Pferde ungeeignete Klima und die
schlechte Nahrung nicht bloß die ganzen Tiere, sondern auch ihre Keimzellen
trifft" (V 113). Wir legten kürzlich die Ansicht solcher Weismannianer, für
deren Anhängerschaft sich der Meister wohl bedanken würde, einem Landwirt
vor und schlössen mit der Bemerkung: Demnach würden unsre Viehzüchter,
wenn die Fleisch- und Milchproduktion nicht mehr rentirte, aber Jungvieh im
Auslande noch vorteilhaft abgesetzt werden könnte, ihre Kühe und Zuchtstiere
in elenden Ställen elend füttern dürfen; vorausgesetzt nur, daß sie Rindvieh
von guter Nasse Hütten, würden die Kälber gut ausfallen. Der Gutsbesitzer
erwiderte: In der Wirklichkeit kommt ja der Fall nicht vor, da Vieh von
guter Rasse stets auch gut gepflegt wird, aber würde solches Vieh schlecht
gepflegt, so würde es selbstverständlich entarten: Futter ist alles! Natürlich
will der Mann damit nicht sagen, daß die Beschaffenheit des Stalles, Rein¬
lichkeit oder Unreinlichkeit, das richtige Maß von Bewegung und Ruhe und
die Temperatur gleichgültige Dinge wären; unter Futter ist eben hier, wie bei
Weismann unter Ernährung -- Ernährung im weitesten Sinne des Wortes,
die Gesamtheit aller Lebensbedingungen zu verstehen. Daß Weismann trotz
seiner nendarwinischen Theorie eigentlich nur ein verkappter Lamarckist und
der Streit zwischen ihm und seinen Gegnern, soweit es sich dabei nicht um
einzelne mikroskopische Wahrnehmungen, sondern um die Prinzipien handelt,
nur ein Streit um Worte ist, geht am deutlichsten aus folgender Stelle her¬
vor: "Ich habe niemals bezweifelt, daß Abänderungen, die auf einer Abänderung
des Keimplasmas, also der Fortpflanzungszellen beruhen, vererbt werden,
vielmehr habe ich gerade stets betont, daß sie und nur sie vererbt werdeu
müssen. Wer das Gegenteil behauptet, der kennt meine Arbeiten nicht. Wie
soll denn auch schließlich die Umwandlung der Arten zustande kommen, wenn
das Keimplasma nicht verändert werdeu und diese Veränderungen nicht auf
die folgende Generation vererbt werden können? Und was andres soll denn
das Keimplasma verändern als äußere Einwirkungen im weitesten Sinne des
Wortes?" (V 496). Büchner sieht die Sachen ganz so an wie wir und führt
eine Anzahl bedeutender Forscher an, darunter Moritz Wagner, die derselben
Ansicht sind. Sein oben erwähnter Aufsatz schließt mit folgendem Zitat aus
einer Schrift des Tübinger Professors Eimer: "Nach meiner Auffassung sind
die physikalischen und chemischen Veränderungen, die die Organismen während
ihres Lebens durch Anwesenheit oder Abwesenheit von Licht, durch Luft,


Grenzboten III 1897 17
Vererbung

üppiger wachsen macht, sondern sie auch in bestimmter Weise verändert, ist
bekannt, und es würde wunderbar sein, wenn nicht auch ihre Samen größer
und mit reichlicherer Nahrung versehen sein sollten. . . . Werden gewöhn¬
liche Pferde auf die Falklandsinseln gebracht, so nehmen sie schon in der
ersten dort gebornen Generation durch die schlechte Nahrung und das feuchte
Klima erheblich ab, und nach einigen Generationen sind sie ganz schlecht. Man
braucht hier nur anzunehmen, daß das für Pferde ungeeignete Klima und die
schlechte Nahrung nicht bloß die ganzen Tiere, sondern auch ihre Keimzellen
trifft" (V 113). Wir legten kürzlich die Ansicht solcher Weismannianer, für
deren Anhängerschaft sich der Meister wohl bedanken würde, einem Landwirt
vor und schlössen mit der Bemerkung: Demnach würden unsre Viehzüchter,
wenn die Fleisch- und Milchproduktion nicht mehr rentirte, aber Jungvieh im
Auslande noch vorteilhaft abgesetzt werden könnte, ihre Kühe und Zuchtstiere
in elenden Ställen elend füttern dürfen; vorausgesetzt nur, daß sie Rindvieh
von guter Nasse Hütten, würden die Kälber gut ausfallen. Der Gutsbesitzer
erwiderte: In der Wirklichkeit kommt ja der Fall nicht vor, da Vieh von
guter Rasse stets auch gut gepflegt wird, aber würde solches Vieh schlecht
gepflegt, so würde es selbstverständlich entarten: Futter ist alles! Natürlich
will der Mann damit nicht sagen, daß die Beschaffenheit des Stalles, Rein¬
lichkeit oder Unreinlichkeit, das richtige Maß von Bewegung und Ruhe und
die Temperatur gleichgültige Dinge wären; unter Futter ist eben hier, wie bei
Weismann unter Ernährung — Ernährung im weitesten Sinne des Wortes,
die Gesamtheit aller Lebensbedingungen zu verstehen. Daß Weismann trotz
seiner nendarwinischen Theorie eigentlich nur ein verkappter Lamarckist und
der Streit zwischen ihm und seinen Gegnern, soweit es sich dabei nicht um
einzelne mikroskopische Wahrnehmungen, sondern um die Prinzipien handelt,
nur ein Streit um Worte ist, geht am deutlichsten aus folgender Stelle her¬
vor: „Ich habe niemals bezweifelt, daß Abänderungen, die auf einer Abänderung
des Keimplasmas, also der Fortpflanzungszellen beruhen, vererbt werden,
vielmehr habe ich gerade stets betont, daß sie und nur sie vererbt werdeu
müssen. Wer das Gegenteil behauptet, der kennt meine Arbeiten nicht. Wie
soll denn auch schließlich die Umwandlung der Arten zustande kommen, wenn
das Keimplasma nicht verändert werdeu und diese Veränderungen nicht auf
die folgende Generation vererbt werden können? Und was andres soll denn
das Keimplasma verändern als äußere Einwirkungen im weitesten Sinne des
Wortes?" (V 496). Büchner sieht die Sachen ganz so an wie wir und führt
eine Anzahl bedeutender Forscher an, darunter Moritz Wagner, die derselben
Ansicht sind. Sein oben erwähnter Aufsatz schließt mit folgendem Zitat aus
einer Schrift des Tübinger Professors Eimer: „Nach meiner Auffassung sind
die physikalischen und chemischen Veränderungen, die die Organismen während
ihres Lebens durch Anwesenheit oder Abwesenheit von Licht, durch Luft,


Grenzboten III 1897 17
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[0137] Vererbung üppiger wachsen macht, sondern sie auch in bestimmter Weise verändert, ist bekannt, und es würde wunderbar sein, wenn nicht auch ihre Samen größer und mit reichlicherer Nahrung versehen sein sollten. . . . Werden gewöhn¬ liche Pferde auf die Falklandsinseln gebracht, so nehmen sie schon in der ersten dort gebornen Generation durch die schlechte Nahrung und das feuchte Klima erheblich ab, und nach einigen Generationen sind sie ganz schlecht. Man braucht hier nur anzunehmen, daß das für Pferde ungeeignete Klima und die schlechte Nahrung nicht bloß die ganzen Tiere, sondern auch ihre Keimzellen trifft" (V 113). Wir legten kürzlich die Ansicht solcher Weismannianer, für deren Anhängerschaft sich der Meister wohl bedanken würde, einem Landwirt vor und schlössen mit der Bemerkung: Demnach würden unsre Viehzüchter, wenn die Fleisch- und Milchproduktion nicht mehr rentirte, aber Jungvieh im Auslande noch vorteilhaft abgesetzt werden könnte, ihre Kühe und Zuchtstiere in elenden Ställen elend füttern dürfen; vorausgesetzt nur, daß sie Rindvieh von guter Nasse Hütten, würden die Kälber gut ausfallen. Der Gutsbesitzer erwiderte: In der Wirklichkeit kommt ja der Fall nicht vor, da Vieh von guter Rasse stets auch gut gepflegt wird, aber würde solches Vieh schlecht gepflegt, so würde es selbstverständlich entarten: Futter ist alles! Natürlich will der Mann damit nicht sagen, daß die Beschaffenheit des Stalles, Rein¬ lichkeit oder Unreinlichkeit, das richtige Maß von Bewegung und Ruhe und die Temperatur gleichgültige Dinge wären; unter Futter ist eben hier, wie bei Weismann unter Ernährung — Ernährung im weitesten Sinne des Wortes, die Gesamtheit aller Lebensbedingungen zu verstehen. Daß Weismann trotz seiner nendarwinischen Theorie eigentlich nur ein verkappter Lamarckist und der Streit zwischen ihm und seinen Gegnern, soweit es sich dabei nicht um einzelne mikroskopische Wahrnehmungen, sondern um die Prinzipien handelt, nur ein Streit um Worte ist, geht am deutlichsten aus folgender Stelle her¬ vor: „Ich habe niemals bezweifelt, daß Abänderungen, die auf einer Abänderung des Keimplasmas, also der Fortpflanzungszellen beruhen, vererbt werden, vielmehr habe ich gerade stets betont, daß sie und nur sie vererbt werdeu müssen. Wer das Gegenteil behauptet, der kennt meine Arbeiten nicht. Wie soll denn auch schließlich die Umwandlung der Arten zustande kommen, wenn das Keimplasma nicht verändert werdeu und diese Veränderungen nicht auf die folgende Generation vererbt werden können? Und was andres soll denn das Keimplasma verändern als äußere Einwirkungen im weitesten Sinne des Wortes?" (V 496). Büchner sieht die Sachen ganz so an wie wir und führt eine Anzahl bedeutender Forscher an, darunter Moritz Wagner, die derselben Ansicht sind. Sein oben erwähnter Aufsatz schließt mit folgendem Zitat aus einer Schrift des Tübinger Professors Eimer: „Nach meiner Auffassung sind die physikalischen und chemischen Veränderungen, die die Organismen während ihres Lebens durch Anwesenheit oder Abwesenheit von Licht, durch Luft, Grenzboten III 1897 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/137>, abgerufen am 24.07.2024.